Gedankenpolizeilicher Verfassungsschutzextremismus in Hamburg

Josef Schüßlburner

(10.02.2024) Anliegend wird auf dieser Internetseite das Gutachten online gestellt, zu dessen Erstellung der Verfasser von der Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft e. V. (SWG) in Hamburg beauftragt worden ist. Dieser Verein ist nach Ankündigung der Innenbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg nach 60 Jahren seines Bestehens seit 2023 als „erwiesen rechtsextrem“ eingestuft worden.
Die Erstellung des Gutachtens bot dem Verfasser eine gute Möglichkeit, demonstriert an einem neuen Beobachtungsfall, zusammenfassend die wesentlichen Argumente gegen die bundesdeutsche Verfassungsschutzkonzeption darzustellen, die in einer detaillierteren Weise zahlreichen Veröffentlichungen auf dieser Website zu entnehmen sind, insbesondere unter den Rubriken

Wie mittlerweile nahezu typisch, werden konkret auch dem „beobachteten“ Verein als neuem Beobachtungsobjekt keine Rechtsverletzungen oder zumindest die Absicht hierzu vorgeworfen, sondern lediglich rechtmäßig geäußerte Meinungen. Dabei besteht der Hauptvorwurf wohl im sog. „Geschichtsrevisionismus“, also vor allem in der Bekundung einer abweichenden, „revidierenden“ Sicht etwa der Kriegsursachen, die Problematisierung des Befreiungscharakters eines alliierten Militärregimes in Deutschland und dergleichen mehr.

Siehe zum Vorwurf des „Revisionismus“: Der Vorwurf des „Revisionismus“ durch den bundesdeutschen „Verfassungsschutz“ und in kommunistischen Regimes.

Derartige Vorwürfe wären in einer normalen Demokratie entsprechend auch der Rechtslage der freien Weimarer Reichsverfassung (WRV) und derjenigen von „liberalen Demokratien des Westens“ (so das Bundesverfassungsgericht zur Abgrenzung gegenüber der bundesdeutschen Parteiverbotsdemokratie) nicht nur völlig irrelevant, sondern das Handeln der quasi-polizeilichen Nachzensurbehörde würde als rechtswidrig eingestuft werden, da gegen die Vereinigungs- und Meinungsfreiheit gerichtet.

Schon beim zentralen Beispiel „Geschichtsrevisionismus“ wird deutlich, daß die amtlichen Bewertungskriterien keine rechtlichen sein können wie rechtsstaatlich geboten, sondern ideologische: Welches Verfassungsprinzip soll denn gefährdet oder gar verletzt sein, weil man etwa die Wehrmacht auch als militärisches Vorbild der Bundeswehr ansieht? Etwa die Unabhängigkeit der Gerichte? Gefährdet kann hier nur eine Verfassungsideologie sein bzw. die Verfassung als Ideologie (und nicht als Rechtsdokument).

Wie kommt es zu einer derartigen Ideologisierung des Verfassungsrechts? Gegenüber der freien WRV wird mit dem Grundgesetz die Vereinigungsfreiheit neben der Strafrechtsrelevanz zusätzlich durch die „verfassungsmäßige Ordnung“ eingeschränkt, was in etwa mit „freiheitliche demokratische Grundordnung“ gleichgesetzt wird, die das Schutzgut des Parteiverbots darstellt. Diese Grundordnung wiederum hat das Bundesverfassungsgericht als Prinzipienkatalog verstanden, zu dem vor allem das Demokratieprinzip gehört. Da sich unter den Bedingungen eines Verbotssystems dann niemand gegen das Demokratieprinzip aussprechen wird, sondern sich alle dazu bekennen (müssen), war von Anfang der Partei- und Vereinsverbotsrechtsprechung das geheime Parteiprogramm bzw. die geheime Agenda im Interesse des Staatsschutzes von zentraler Bedeutung, was es durch geheimdienstliches Gedankenlesen verschwörungstheoretisch durch die Analyse von „Chiffren“ und „Codes“ zu ermitteln gilt. Ansatz hierfür wiederum ist dann das Abstellen auf weltanschauliche Bekundungen, bei denen unterstellt wird, daß der Vertreter einer derartigen Weltanschauung, etwa ein „Nationalist“, nur ein „Verfassungsfeind“ sein kann, was mit „Extremist“ zum Ausdruck gebracht wird. Die Verwendung dieses rechtsfremden Begriffs hat den Vorteil, dass dann bei Nicht-Extremisten, nämlich der etablierten „Mitte“ von vornherein amtlich nicht gesucht werden darf und selbstverständlich dann auch nichts gefunden werden kann. So wird aus dem Verfassungsschutz ein Instrument der Oppositionsbekämpfung, die allerdings nicht gegen etablierte oppositionelle „Demokraten“ gerichtet werden kann. Hinzu kommt, daß der Verfassungsschutz die Verfassung ohnehin nicht schützen kann, weil er genau den Bereich nicht beobachten darf, bei dem die Verfassung wirklich gefährdet werden kann, nämlich durch machthabende Politiker: In VS-Berichten sind denn auch nicht einmal die zahlreichen Gerichtsentscheidungen aufgeführt, die verfassungswidriges Handeln der etablierten Politik gerichtlich festgestellt haben und deshalb zu prüfen wäre, ob sich dabei der Verdacht der Verfassungsfeindlichkeit ergeben könnte, wobei hier nicht einmal irgendwelche Codes zu knacken wären.   

Diese Immunisierung der etablierten Strömungen von Christdemokratie, Sozialdemokratie und Liberalismus ist bei dem praktizierten ideologiepolitischen / politikwissenschaftlichen Ansatz selbstverständlich nicht gerechtfertigt, wofür nur der Hinweis genügen soll, dass Politiker dieser Parteien etwa die DDR-Diktatur verwaltet hatten. Schon deshalb sollte es sich verbieten, verfassungsfeindliche Tendenzen bei

a priori auszuschließen.

Die durch den rechtlich unbrauchbaren Begriff des „Extremismus“ herbeigeführte anti-oppositionelle Positionierung des „Verfassungsschutzes“ erleichtert dann die Dramatisierung, ja Dämonisierung oppositioneller Äußerungen, weil vergleichbare oder gar schlimmere Äußerungen, wie etwa die Ausrufung einer sich rechtmäßig verhaltenden Oppositionspartei zum „parlamentarischen Arm des Rechtsterrorismus“ einfach die VS-Relevanz abgesprochen und dies dann nicht als Demokratieverachtung festgemacht wird, weil die bei einer freien Demokratie zentrale Oppositionsausübung delegitimiert wird. Es ist, als wenn bei einer Wirtshausschlägerei nur die Verhaltensweisen der einen Seite begutachtet würde, nicht aber das Verhalten der anderen Seite, obwohl beides zusammenhängt. Es werden die Splitter im Auge von Beobachteten gründlich analysiert, die Balken im Auge der Nichtbeobachteten eben nicht.

Formal-rechtlich könnte man sagen, daß eine Rechtsschutzlücke insofern besteht, weil eine beobachtete Vereinigung den „Verfassungsschutz“ nicht zur Überwachung einer in der Meinungsbildung konkurrierenden Vereinigung verklagen kann, die für die Verfassungsordnung viel gefährlicher ist als ein beobachteter Verein. Sogar im Parteiverbotsverfahren, als einem besonderen Vereinigungsverbot, hat eine mit Brandmauern einzumauernde Oppositionspartei (die Bilder der DDR-Diktatur kommen da zum Vorschein) nicht die Möglichkeit, ein Parteiverbotsverfahren zu beantragen; dies können nur etablierte Parteien, die über die antragsberechtigten Staatsorgane verfügen. Diese etablierten Parteien können dann „Verbotsdiskussionen“ eröffnen, die die Wirkung eines förmlichen Verbots herbeiführen sollen, ohne als Befürworter diktatorischer Maßnahmen auftreten zu müssen (Parteiverbot ist das maßgebende Diktaturinstrument im 20. Jahrhundert gewesen).

Schon diese Verfahrensungleichheit macht deutlich, warum die Beschreitung des Rechtswegs allein nicht ausreichend ist, in der Bundesrepublik Deutschland eine liberale Demokratie des Westens zu verwirklichen. Hinzu kommt, dass die zu behandelnde Problematik mit einer Schlagseite „gegen rechts“ weitgehend die Justiz, insbesondere das Bundesverfassungsgericht zu verantworten hat.

Man hätte bei einem mehr der politischen Freiheit verpflichteten Vorverständnis das Grundgesetz hinsichtlich des Parteiverbots als Ausgangspunkt der besonderen Demokratieverhältnisse in der BRD, wohl doch anders verstehen können, um dann vielleicht zu einem Parteiverbotskonzept zu gelangen, das wenigstens dem Freiheitsniveau des deutschen Kaiserreichs entspricht.  

Geboten ist daher eine politische Lösung: Es sind Rechtsänderungen zu fordern, die darauf abzielen, bei der Feststellung einer Staatsgefährdung mit speziellen Eingriffsbefugnissen die zur Ideologie-Grenze gemachte Werte-Grenze durch eine Gewaltgrenze zu ersetzen: Nur wer seine Meinungen gewaltsam durchsetzen will und damit auch auf einen illegalen Machterwerb abzielt, kann Objekt des Staatsschutzes / Verfassungsschutzes sein.

Dann wäre die Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) ohne staatliche Delegitimierung verwirklicht, der zentrale Grundsatz, daß niemand wegen seiner politischen Anschauungen bevorzugt oder benachteiligt werden kann (Art. 3 Abs. 3 GG), würde endlich gelten und es wäre dann vor allem dem Grundsatz Rechnung getragen, daß keine Staatskirche (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 Abs. 1 WRV), also auch keine vom Verfassungsschutz zu verwaltende Staatsideologie besteht.

Diese Wende im Staatsschutzrecht ist dringend anzustreben, weil sonst die Gefahr der Verwirklichung einer DDR-light droht. Das DDR-Potential mit der „kämpferischen Demokratie“ ist in der Tat im Konzept der „wehrhaften Demokratie“ angelegt, wie sich schon daraus ergibt, daß im Zusammenhang mit dem Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ der „Volksdemokratie“ im Parlamentarischen Rat die demokratische Legitimität zugesprochen wurde: als zwar weniger frei, aber doch demokratisch. Die DDR-Demokratie hat im Interesse des Demokratieschutzes von vornherein eine Diktatur praktiziert, die auf der Erwägung beruht, daß „Demokraten“ nicht diskriminiert werden dürfen, etwa durch die Ausübung eines freien Wahlrechts. Die Verbotsforderungen gegen die Oppositionspartei AfD sind sehr ähnlich, also DDR-demokratisch, ausgerichtet. Die Demokratiebedrohung, die durch derartige Verbotsforderungen gegen ein Drittel der Wähler  hervorgerufen wird, wobei letztlich allen Wählern eine Wahloption amtlich verwehrt werden soll, kann nur durch das Konzept der „liberalen Demokratie des Westens“ abgewehrt werden: Eine derartige freie Demokratie ist dann gegeben, wenn die Anschuldigungen gegen die SWG als rechtlich völlig irrelevant angesehen werden und zwar in einer Weise, daß von vornherein die Beschreitung des Rechtswegs nicht erforderlich ist, weil es darüber gerichtlich nichts zu klären gibt.    

„SWG-Gutachten“

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