Das Grundgesetz als Übergangsverfassung

Von Josef Schüßlburner

(10.04.2024) Anläßlich des 75. Jahrestags des Grundgesetzerlasses und damit auch der formalen Gründung der Bundesrepublik Deutschland wird nachfolgend textlich unverändert ein Artikel zum 50. Jahrestag online gestellt, der 1999 in der Zeitschrift „Staatsbriefe“ und nachfolgend in deren Online-Ausgabe veröffentlicht worden ist. In dieser Online-Ausgabe wurden die 170 Anmerkungen des gedruckten Textes nicht veröffentlicht. Auch nachfolgend wird davon abgesehen und es werden stattdessen ein paar Verlinkungen zu Texten der vorliegenden Internetseite hinzugefügt, bei denen man die Nachweise (und ergänzendes) finden kann. Die damals aktuellen Bezugnahmen etwa auch die „derzeitige Regierung“ werden die Leser dabei zu berücksichtigen haben und statt der Partei „Die Republikaner“ kann nunmehr fast ohne Abstriche: Alternative für Deutschland (AfD) gelesen werden.  

Die 1999 kritisierte Situation hat sich in der Zwischenzeit zumindest nicht verbessert. Einige Probleme wie vor allem die Sperrklausel des Wahlrechts, die bis zum Aufkommen der AfD in Kombination mit dem Einsatz des Inlandsgeheimdienstes als staatliches Propagandainstrument durch Erhöhung der Sperrwirkung dieser Klauseln den Aufstieg einer Rechtspartei verhindert hat, mögen für die derzeit vom Demokratie-Sonderweg BRD betroffene Partei gegenwärtig kaum mehr eine Rolle spielen; diese Problematik muß aber trotzdem hervorgehoben werden, weil sich gerade anhand dieser wahlrechtlichen Sperrklausel darstellen läßt, daß die bundesdeutsche Rechtslage bei Ausblenden des alliierten Militärregimes, der Besatzungsherrschaft nicht begriffen werden kann. Nach der Entscheidungslage im Parlamentarischen Rat hätte es eine derartige Sperrklausel nämlich nicht geben dürfen (wie einiges andere mehr).

Da im Beitrag die problematischen Erscheinungen der bundesdeutschen Verfassungssituation hervorgehoben werden, sei zunächst betont, daß angesichts der Situation, die der Parlamentarische Rat vorgefunden hat, der Erlaß des Grundgesetzes wohl die beste Möglichkeit für die (Bundes-)Deutschen dargestellt hat; die Alternative wäre die weitgehende Rechtlosigkeit unter einem ausschließlich maßgeblichen Besatzungsregimes gewesen. Allerdings sollte dann nicht vergessen werden, weshalb der Parlamentarische Rat gegenüber der Besatzungsherrschaft einen Artikel 146 GG durchgesetzt hat, der auf eine Ablösung des Grundgesetzes durch eine Verfassung gerichtet ist, „die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist“ (wovon man beim GG-Erlaß nicht ohne weiteres sprechen kann). Der Beitrag zum Grundgesetzjubiläum ist genau auf diese Problematik ausgerichtet, also auf eine zentrale Bestimmung des Grundgesetzes, die in den offiziellen Jubelreden nicht vorkommt und damit in einer maßgeblichen Weise die politische Wirklichkeit verfehlt, wobei dieses Verkennen der Situation der deutschen (verfassungs-) politischen Lage auch ein wesentlicher Grund für aktuelles Politikversagen darstellt, was sich in einer negativen Weise zu potenzieren scheint. Das amtliche Fehlverständnis der wirklichen Situation fängt schon damit an, daß maßgebliche Jahrestage ausgeblendet werden wie der 12. Mai oder der 21. September, obwohl diese beide Jahrestage für Existenz und Wesen der Bundesrepublik Deutschland und der durch das Grundgesetz mit begründeten Herrschaftsordnung von vielleicht entscheidenderer Bedeutung sind als der 23. Mai, welcher zugleich den (verschwiegenen) Jahrestag der Verhaftung der letzten Reichsregierung darstellt. Vom 12. Mai 1949 datiert nämlich das Genehmigungsschreiben der Militärgouverneure zum Grundgesetz und an diesem Tag ist gleichzeitig ein das Grundgesetz überlagerndes und substantiell modifizierendes Besatzungsstatut erlassen worden, welches am 21. September 1949, einen Tag nach Bildung der ersten Bundesregierung, in Kraft getreten ist.

Gerade das letztgenannte Dokument hat aus dem Grundgesetz zunächst nur so etwas werden lassen wie eine „deutsche Gemeindeordnung höchster Stufe mit der Tendenz, Verfassung eines Staates zu werden, in dem das Staatsvolk die alleinige Machtgrundlage ist… Für die jetzige Ordnung der Herrschaft (von 1950, Anm.) in den drei Zonen ist die Urkunde von Bonn nicht das Grundgesetz, die lex fundamentalis; denn sie ruht auf fremd-herrschaftlicher Grundordnung; deren Gesetze bilden den Grund“ (so Prof. Jahreiss). Bis zum Ablauf des Besatzungsstatuts am 5.5.1955 (in Berlin hat dies noch bis 1990 gewirkt) sind jedoch die maßgeblichen Entscheidungen zu Verfassungsschutz, Parteiverbotskonzept, politisches Strafrecht, Wahlrecht mit Sperrklausel und auch zur Flüchtlingspolitik etc. getroffen worden, die bis heute fortwirken und aus der Bundesrepublik Deutschland einen „neuen Typ der demokratischen Staatsform“ gemacht haben. Diese erkennbar illiberale Demokratieform kann vielleicht mit einiger Berechtigung mit dem maßgeblichen Grundgesetzkommentar am Grundgesetz selbst festgemacht werden, wodurch dann eine Parteiverbotskonzeption durchgesetzt wurde, die im Freiheitgrad unter dem Niveau des deutschen Kaiserreichs zurückbleibt. Diese Parteiverbotskonzeption wird als permanenter ideologie-politischer Notstand in Form von Parteiverbotsdrohungen gegen unerwünschte Opposition als Form eines amtlichen Verfassungsschutzextremismus durchgezogen. Die BRD unterscheidet sich daher in einer maßgeblichen Weise von einer „liberalen Demokratie des Westens“ (so die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts als Abgrenzung der GG-Demokratie von „normalen“ Demokratien).

Diese Freiheitsbedrohung und massive Demokratierelativierung legen eine Erinnerung an das Freiheitsversprechen von Artikel 146 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und die Gründe für dieses Verspechen nahe. Daher sollte Artikel 146 Grundgesetz bei einer alternativen Würdigung des Grundgesetzes in das Zentrum der Betrachtung gestellt werden. Mag Artikel 146 GG auch nicht formell zur Anwendung kommen: Seine Würdigung kann einen zentralen Beitrag leisten, in der BRD doch noch eine liberale Demokratie einzuführen, in der die Ausübung rechtmäßiger politischer Opposition wie etwa von der AfD praktiziert ohne Risiko einer ideologie-politischen Diskriminierung möglich wird.

Hinweis
Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem ARNSHAUGK VERLAG für die Zustimmung zur Online-Stellung des vorliegenden Beitrags auf dieser Internetseite. Bei diesem Verlag können weiterhin die Ausgaben der Zeitschrift „Staatsbriefe“ bezogen werden: ARNSHAUGK VERLAG Dabei sind Ausgaben mit Veröffentlichungen des Verfassers hier zu finden.     

„75 Jahre Grundgesetz“

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