Kritik des Parteiverbotssurrogats Teil 35:

Teil 35: (Ideologiepolitische) Parteiverbotskonzeption als strukturelle Gefährdung der Meinungsfreiheit

Von Josef Schüßlburner

(Stand: 23.04.2024) Der vorliegende Beitrag macht deutlich, daß mit der besonderen, gegen Ideen gerichteten Parteiverbotskonzeption das große Versprechung der Meinungsfreiheit, das mit dem sog. Lüth-Urteil vom Bundesverfassungsgericht als Grundlage der (politischen) Freiheit überhaupt und konstituierend für eine demokratische Staatsordnung gemacht worden ist, entschieden zurückgenommen wird. Und zwar potentiell in einem Ausmaß, daß die Meinungsfreiheit nur noch als zu verehrender Wert verbleibt (deren Geltung als verfassungsgerichtlich angeordnete Wahrheit jedoch nicht bestritten werden darf), während etwa für Beamte, die unerwünschten Parteien angehören, die Meinungsfreiheit bei Bedarf auf den Stand des Jahres 1555 vermindert wird (so ein ehemaliger Verfassungsrichter, s. Nachweis im Text). Ausgangspunkt für diese prekäre Situation der Meinungsfreiheit ist die besondere Parteiverbotskonzeption, die als permanent wirkendes Parteiverbotssurrogat extrem negativen Auswirkungen zeitigt, also durch Auflistung in sog. VS-Berichten als Nachzensur mit zahlreichen Sanktionen, die insgesamt die Wirkung der verfassungsrechtlich explizit verbotenen Vorzensur haben, nämlich das staatliche Ausscheiden unerwünschter Ideen: wie im ersten Parteiverbotsurteil gegen rechts vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als Zweck eines Parteiverbots postuliert! 

Nun ist der Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie vom Verfassungsgericht in der Tat richtig erkannt. Dieser Zusammenhang stellt den zentralen Kern der antiken Demokratiekonzeption dar wie dies in Bezug insbesondere auf Athen nachweisbar ist. Es findet sich beim Dichter Homer erstmalige ein Begriff, nämlich „Vielherrschaft“, der das zum Ausdruck bringt, was dann als Demokratie bezeichnet wurde und dabei von Anfang an mit dem Verständnis verbunden war, daß diese von Homer noch abgelehnte „Vielherrschaft“ eine gleichberechtigte Ausübung der Meinungsfreiheit bedeutet. Dabei ist auch schon in der Antike um die Grenzen der Meinungsfreiheit gerungen worden, wofür insbesondere der Prozeß gegen den Philosophen Sokrates steht, bei dem es um die Behandlung eines Demokratieskeptikers ging. Auch der Zusammenhang von Vereinigungsfreiheit und Meinungsfreiheit ist erkannt worden, zumal in Athen die Meinungsfreiheit zwar als maßgebliches Konzept praktiziert wurde, jedoch die Vereinigungsfreiheit nach einem auf den großen Gesetzgeber Solon zurückgehenden Gesetz rechtlich formalisiert war und dabei auch als implizite rechtliche Gewährleistung der Meinungsfreiheit verstanden wurde, was durch eine Klage graphe paranomon (Feststellung der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes) gegenüber einer beschränkenden Gesetzgebung wie staatlicher Genehmigungsvorbehalt von privaten Akademien (Philosophenschulen) auch rechtlich geltend gemacht werden konnte.  

Aufgrund der Darstellung dieses geschichtlich fundierten Zusammenhangs wird verständlich, weshalb sich die besondere Parteiverbotskonzeption nach dem Grundgesetz im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts generell negativ auf die Meinungsfreiheit auswirken muß. Dies wird schon bei einer genauen Analyse der „Magna Charta“ der bundesdeutschen Meinungsfreiheit, eben des Lüth-Urteils deutlich, bei dem letztlich ein subjektives Motiv den Ausschlag gibt: Diese Subjektivierung macht die Garantie der Meinungsfreiheit unberechenbar, weil dies der Gerichtsbarkeit in der Tat zwar sehr „liberale“ Entscheidungen erlaubt, aber – bei politischem Bedarf – auch das ziemliche Gegenteil. Für die dann eben doch prekäre Lage der Meinungsfreiheit steht etwa die Nachzensur durch VS-Berichte, bei denen die Gerichtsbarkeit grundlegend verkennt, daß die wirkliche Zensur als Instrument der Meinungsunterdrückung in der Tat die Nachzensur mit dem damit einhergehenden Sanktionen-System darstellt (wogegen sich die klassische Vorzensur eher harmlos ausnimmt).

Für das Parteiverbotssurrogat ist dann schließlich der spezielle Jugendschutz bedeutsam, welcher als solcher sicherlich eine legitime Begrenzung der Meinungsfreiheit darstellt, aber seit den 1970er Jahren zunehmend ideologie-politisch manipuliert worden ist und zwar ausschließlich gegen rechts. Eine entscheidende, bis zur Abschaffung der Meinungsfreiheit gehend stellt dann die weitgehende Herausnahme von bestimmten Tatsachen von der Meinungsfreiheit dar, wofür vor allem § 130 StGB („Volksverhetzung“) steht.

Eine berechenbare Gewährleistung der Meinungsfreiheit gebietet die konsequente Anwendung der Lehre vom Verbot des Sondergesetzes. Es geht dabei um die Auslegung des Begriffs „allgemeines Gesetz“ als gesetzliche Schranke der Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 2 GG. Diese Allgemeinheit ist dann gegeben, wenn das die Meinungsfreiheit beschränkende Gesetz den Artikel 3 Abs. 3 GG beachtet, wonach niemand wegen seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Die konsequente Anwendung dieses Verständnisses von Meinungsfreiheit, die auf das maßgebliche Verständnis zur Garantie der Meinungsfreiheit nach der Weimarer Reichsverfassung zurückgeht, würde jedoch wesentliche Teile des politischen Strafrechts der BRD und insbesondere auch das Parteiverbotssurrogat (insbesondere ideologische Beamtendiskriminierung) verfassungswidrig erscheinen lassen. Deshalb greift insbesondere das Verfassungsgericht bei Bedarf auf eine ebenfalls schon unter der Weimarer Reichsverfassung entwickelte Lehre einer damaligen Mindermeinung zurück. Danach liegen „allgemeine Gesetze“ vor, wenn das in den betreffenden Gesetzen geschützte gesellschaftliche Gut höherrangig als die Meinungsfreiheit ist. Folgt man dieser Ansicht, dann hat mangels überzeugender Begründbarkeit eines Rangcharakters von Rechtswerten „das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit im Konfliktfall jedem anderen, auch noch so unbedeutenden Rechtsgut zu weichen“ (so die zutreffende Erkenntnis von Bundespräsident Herzog als GG-Kommentator). Die darauf basierende Abwägungslehre – ironisch auch „Schaukeltheorie“ genannt – versucht zwar den Wert der Meinungsfreiheit bei überragenden Werten doch irgendwie zu sichern, aber letztlich ist das Ergebnis der Abwägung dezisionistisch, d.h. nicht wirklich berechenbar. Dies kommt vor allem in der Wunsiedel-Entscheidung zum Ausdruck, wo das Bundesverfassungsgericht zwar eindeutig erkannt hat, dass bei § 130 Abs. 4 StGB kein „allgemeines Gesetz“ im Sinne der erstgenannten Lehre vorliegt, aber dann die Verfassungswidrigkeit trotzdem verneint hat mit dem ad hoc entwickelten Konzept des „Gegenentwurfs“, was dann der extrem ideologisierbaren und manipulierbaren Werte-Lehre entnommen ist.

Aufgrund der Darstellung dieses geschichtlich fundierten Zusammenhangs wird verständlich, weshalb sich die besondere Parteiverbotskonzeption nach dem Grundgesetz im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts generell negativ auf die Meinungsfreiheit auswirken muß. Dies wird schon bei einer genauen Analyse der „Magna Charta“ der bundesdeutschen Meinungsfreiheit, eben des Lüth-Urteils deutlich, bei dem letztlich ein subjektives Motiv den Ausschlag gibt: Diese Subjektivierung macht die Garantie der Meinungsfreiheit unberechenbar, weil dies der Gerichtsbarkeit in der Tat zwar sehr „liberale“ Entscheidungen erlaubt, aber – bei politischem Bedarf – auch das ziemliche Gegenteil. Für die dann eben doch prekäre Lage der Meinungsfreiheit steht etwa die Nachzensur durch VS-Berichte, bei denen die Gerichtsbarkeit grundlegend verkennt, daß die wirkliche Zensur als Instrument der Meinungsunterdrückung in der Tat die Nachzensur mit dem damit einhergehenden Sanktionen-System darstellt (wogegen sich die klassische Vorzensur eher harmlos ausnimmt).

Die Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland wird daher erst dann in einer berechenbaren Weise dem Rechtsstaatsgebot entsprechend gewährleistet sein, wenn das Parteiverbotskonzept geändert wird dahingehend, daß bloße Meinungsäußerungen keine Verfassungswidrigkeit begründen können und darauf weder ein Parteiverbot noch ein Vereinsverbot gestützt werden kann und selbstverständlich eine Auflistung in sog. Verfassungsschutzberichten deswegen nicht möglich ist. Spezifisch auf die Garantie der Meinungsfreiheit bezogen muß bei der Definition des „allgemeinen Gesetzes“ als vorgesehene Schranke der Meinungsfreiheit die uneingeschränkte Beachtung von Artikel 3 Abs. 3 des Grundgesetzes gefordert werden, wonach niemand wegen seiner politischen Anschauungen bevorzugt oder benachteiligt werden kann. Bei konsequenter Anwendung dieser verfassungsrechtlichen Bestimmung gibt es kaum nennenswerte Abgrenzungsprobleme, die jedoch bei einer Betrachtung nach staatlichen Werten von vornherein gegeben sind. Diese Wertemodifizierungen der Meinungsfreiheit sind jedoch bei Aufrechterhaltung des letztlich ideologischen Parteiverbotskonzepts unvermeidbar. Demnach ist die Änderung der Parteiverbotskonzeption von zentraler Bedeutung für die Garantie der Meinungsfreiheit als Grundlage der Freiheit überhaupt und als essentiell für die Demokratie. Dieses auf die griechische Antike zurückgehende Verständnis von Demokratie wird zwar in der Bundesrepublik Deutschland durchaus zelebriert, aber nicht in einer berechenbaren Weise verwirklicht. Dagegen steht der „Verfassungsschutz“ im engeren und weiteren Verständnis! 

Hinweis
Die vorliegende Abhandlung stellt auch eine Ergänzung zum Gutachten des Verfassers zum Fall der SWG dar mit dem Titel: Gedankenpolizeilicher Verfassungsschutzextremismus in Hamburg. In diesem Gutachten wird die Bedrohung der Meinungsfreiheit durch den „Verfassungsschutz“ am Beispiel des konkreten Falls der SWG dargestellt. Die nachfolgend online gestellte Abhandlung ordnet diese Bedrohung der Meinungsfreiheit in der BRD und damit der politischen Freiheit überhaupt in einen größeren rechtsgeschichtlichen und rechtsdogmatischen Rahmen ein.

“Kritik des Parteiverbotssurrogats – Teil 35”

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