Zur Korrektur verfassungswidrigen Verfassungsschutzrechts

Stellungnahme zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes des Freistaates Bayern im Rahmen der Anhörung des Ausschusses für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport zum Gesetzentwurf der Staatsregierung zur Änderung des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes und des Bayerischen Datenschutzgesetzes (Drs. 18/21537) unter Einbeziehung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion (18/25825)

(23. Juli 2023) Es ist bemerkenswert, daß ausgerechnet das Recht zu einer besonderen Einrichtung zum Schutze der Verfassung, nämlich zum „Verfassungsschutz“, in zentralen Punkten verfassungswidrig ist. Man könnte sich fragen, ob sich hierbei eine – vom Bundesverfassungsgericht zumindest implizit festgestellte – verfassungsfeindliche Einstellung der parlamentarischen Mehrheit zum Ausdruck bringt, die diese verfassungswidrige Gesetzgebung zu verantworten hat, wobei diese teilweise als verfassungswidrig erkannte Gesetzgebung die Grundlage zur Bekämpfung einer unerwünschten politischen Konkurrenz darstellt: Muß man da nicht von einem „Verfassungsschutzextremismus“ sprechen? Wie er gelegentlich durchaus gerichtlich festgestellt wird (allerdings in keinem der sog. VS-Berichte genannt wird):

„Mit seiner Entscheidung vom 26.04.2022 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) weite Teile des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes (BayVSG) für verfassungswidrig erklärt (BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 26.04.2022 – 1 BvR 1619/17). Unter anderem hat es eine präzisere und verfassungsschutzspezifische Regelung der Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz angemahnt, eine stärkere Berücksichtigung des angemessenen Verhältnisses von Beobachtungsbedürftigkeit verfassungsfeindlicher Bestrebungen einerseits und der Eingriffsintensität von Überwachungsmaßnahmen andererseits gefordert, die Zulässigkeit von Datenübermittlungen durch den Verfassungsschutz an andere Behörden mit operativen Anschlussbefugnissen stark eingeschränkt und detaillierte Vorgaben zu einer engeren Kontrolle der Tätigkeit des Landesamts durch eine unabhängige Stelle gemacht,“ so zutreffend und hervorragend zusammenfassend die einleitende Begründung des Gesetzentwurfs der SPD-Fraktion des Bayerischen Landtags zu einer Neufassung des Landesverfassungsschutzgesetzes – gemäß Landtags-Drucksache 18/25825 vom 20.12.2022.

Schon eine vorausgegangene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, womit Teile des einschlägigen Bundesrecht hinsichtlich der Datenübermittlung als verfassungswidrig erkannt wurden, hat die Bayerische Staatsregierung veranlaßt, einen Gesetzentwurf zur Änderung des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes zu erarbeiten (s. LT-Drucksache 18/21537 vom 02.03.2022), welcher dann aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Entscheidung zum bayerischen VS-Gesetz durch einen umfassenden Antrag der CSU-Fraktion erweitert worden ist (s. LT-Drs. 18/26159 vom 24.01.2023).

Diesem CSU-Entwurf stellte die SPD-Fraktion ihren schon angeführten Entwurf entgegen. Als Besonderheit des CSU-Entwurfs kann dabei festgehalten werden, daß nach diesem Entwurf rechtmäßig in Erscheinung tretende Opposition, nur weil sie bei Wahlen erfolgreich gewesen ist und damit einen gewissen Einfluß bekommen mag, in der Gefährlichkeit, die das Ausmaß der Beobachtungsbedürftigkeit bestimmen soll – und woran dann gesteigerte Eingriffsmöglichkeiten wie V-Mann-Einsatz, Wohnungs- und online-Überwachung geknüpft werden – mit politisch motivierten kriminellen Gruppierungen wertungsmäßig gleichgestellt werden soll: Wobei als Rechtfertigung für diese sicherlich von der Menschenwürdegarantie gebotenen Gleichordnung die rechtmäßige Ausübung der Meinungsfreiheit darstellt, die dabei irgendwie falsch ausgeübt wird, was dann die Ausübung von Meinungsfreiheit und eine dabei zum Ausdruck gebrachte oppositionellen Haltung „extremistisch“ (wie dies letztlich bei Verwendung rechtswidriger Begrifflichkeit so behauptet wird) macht!

Zu diesen Gesetzentwürfen, primär zu dem Entwurf der CSU-Fraktion, wurde eine Anhörung des Innenausschusses des Bayerischen Landtags anberaumt, für die auch der Verfasser der hiermit online gestellten Stellungnahme als Experte benannt worden ist.

Bei dieser Stellungnahme bot sich die Gelegenheit, fast schon offiziell auf die eigentliche Grundproblematik des bundesdeutschen Verfassungsschutzrechts hinzuweisen, nämlich die staatliche Bekämpfung oppositioneller Bestrebungen, die sich rechtmäßig verhalten: eine grundlegende Abweichung vom Normalstandards westlicher Demokratien. Diese Abweichung vom Normalstandard einer normalen Demokratie im Staatsschutzrecht der Bundesrepublik Deutschland gehe dabei auf eine Parteiverbotskonzeption zurück, womit der Freiheitsgrad der BRD geringer ausfällt als das Freiheitsniveau des deutschen Kaiserreichs.

Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips müsse dazu führen, daß der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel gegen Opposition, die sich rechtmäßig verhält, grundsätzlich, wenn nicht gar generell, ausgeschlossen wird, zumindest generell unter einen Richtervorbehalt zu stellen ist. Dies müsse, neben begleitenden zusätzlichen Regelungen wie Ausschluß von V-Leuten mit krimineller Vergangenheit bei der (eigentlich als unzulässig anzusehenden) Infiltration von sich rechtmäßig verhaltenen oppositionellen Gruppierungen, durch eine klare Definition der unterschiedlichen Grade der Beobachtungsbedürftigkeit vom Gesetzgeber klargestellt werden.

Sollten sich die Sicherheitsbedenken, die sich aufgrund der vom Bundesverfassungsgericht geforderten Beschränkung der Datenübermittlung von den Verfassungsschutzämtern auf die Strafverfolgungsbehörden ergeben, nicht ausräumen lassen, sei letztlich die Integration des Verfassungsschutzamtes in die Kriminalpolizei erforderlich. Damit könnte endlich auch die ausschließlich strafrechtsbezogene Ausrichtung des Staatsschutzes verwirklicht werden und somit ein deutscher Demokratiesonderweg, der an die Gedankenpolizei nach japanischem Vorkriegsrecht gemahnt, entsprechend den Empfehlungen des Venedig Kommission des Europarats zu Parteiverboten und vergleichbaren Maßnahmen beendet werden. Wobei insofern sicherlich primär der Bundesgesetzgeber angesprochen wäre. Nur durch den Übergang zum Normalfall westlicher Demokratien beim VS-Recht könnten das Verfassungsprinzip der Ausübung politischer Opposition und vor allem das für eine Demokratie zentrale Grundrecht der Meinungsfreiheit unverbrüchlich gewährleistet werden. Gerichtsentscheidungen, die immer wieder in diesen Fragen den Verfassungsschutz in Schranken weisen müssen, wie zuletzt im Falle der Zeitgeschichtlichen Forschungsstelle Ingolstadt könnten dann von vornherein vermieden werden.

Vorzug wird dem Gesetzentwurf der SPD gegeben, welcher zahlreiche Wertungswidersprüche des CSU-Antrags vermeidet und ein in sich stimmiges Konzept zum Ausdruck bringt. Allerdings müßten im Interesse der unverbrüchlichen Gewährleistung von Meinungsfreiheit und Parteienpluralismus folgende Änderungen vorgenommen werden:

  • Bei Artikel 1 (2) müßte der Verfassungsgrundsatz „das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition“ entsprechend der Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts erweitert werden auf: „das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition“, um die Rechtsstellung einer sich rechtmäßig verhaltende Oppositionspartei gegenüber dem Verfassungsschutz unverbrüchlich zu gewährleisten
  • Bei Artikel 3 (2) ist die zur Ideologiestaatlichkeit führende Formulierung: „Verfassungsfeindliche Bestrebungen können auch Handlungen sein, die nicht

gegen die Rechtsordnung verstoßen“, im Interesse der weltanschaulichen Neutralität des Rechtsstaats und zur unzweideutigen Gewährleistung des Verfassungsprinzips der Bildung und Ausübung einer politischen Opposition dahingehend zu ändern: “Das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung hat zur Voraussetzung, dass die Verfassungsgrundsätze im Sinne von Artikel 1 Absatz 2 rechtswidrig beeinträchtigt werden sollen.“ Um einen Konflikt mit dem bestehenden (wenngleich entsprechend zu ändernden) Bundesrecht zu vermeiden, wäre dies unter den Vorbehalt des Bundesrechts zu stellen, so daß Artikel 3 (2) des Gesetzentwurfs insgesamt vielleicht wie folgt zu formulieren wäre:

„Vorbehaltlich anderweitiger Regelungen nach Bundesrecht, hat das Vorliegen einer verfassungsfeindlichen Bestrebung zur Voraussetzung, dass die Verfassungsgrundsätze im Sinne von Artikel 1 Abs. 2 von einer derartigen Bestrebung rechtswidrig beeinträchtigt werden sollen.“

  • Die Regelungen zu den Verfassungsschutzberichten (Artikel 25 und 26 des SPD-Entwurfs), die als solche nicht Gegenstand der parlamentarischen Anhörung waren, wären mit Modifikationen in einer Weise zu fassen, wie dies in einem früheren Gesetzesvorschlag der AfD-Fraktion als Neufassung von Artikel 26 des bestehenden Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes vorgeschlagen worden ist:

                    Öffentlichkeitarbeit der Regierung und ihre Begrenzung

(1) Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit über … Bestrebungen und Tätigkeiten nach Art. 3 Abs. 1, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen. Derartige Anhaltspunkte liegen bei einer Bestrebung im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 Buchst. c BVerfSchG und von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BVerfSchG nur bei gerichtlich erwiesenen rechtswidrigen Verhaltensweisen vor.

(2) Bei Fehlen der Voraussetzung gemäß Abs. 1 Satz 2 ist eine Unterrichtung

der Öffentlichkeit im Falle einer organisatorischen Verfestigung nur zulässig bei einem plausiblen Verdacht der Bereitschaft zu politisch motiviertem rechtswidrigem Verhalten und nach Anhörung der betroffenen Organisation, über die die Öffentlichkeit unterrichtet werden soll. Wird nach der Anhörung die Unterrichtung trotzdem vorgenommen, ist bei einer Unterrichtung zusammenfassend die Stellungnahme der Organisation mitzuteilen.

(3) Abs. 1 und 2 gelten entsprechend für das Staatsministerium, das höchstens

einmal jährlich einen zusammenfassenden Bericht zu aktuellen Entwicklungen veröffentlicht. … Außerdem sind in dem Bericht die haushaltsmäßigen Aufwendungen für das Landesamt für Verfassungsschutz und die jeweilige Gesamtzahl ihrer Bediensteten anzugeben.

(4) Berichte nach Abs. 3 sind entsprechend der Aufzählung der Bestrebungen

in § 4 Abs. 1 Satz 1 BVerfSchG in Verbindung mit den Verfassungsgrundsätzen nach § 4 Abs. 2 BVerfSchG … zu gliedern. Ergänzend ist nach der Aufzählung der Aufgaben nach § 3 Abs. 1 BVerfSchG zu gliedern.

(5) Bei einer Unterrichtung nach den vorgenannten Absätzen dürfen auch personenbezogene Daten bekanntgeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen.

(6) Unterrichtungen der Öffentlichkeit im Sinne der vorstehenden Absätze haben keine rechtliche Bindungswirkung.“

s. dazu auch hier:

  • Die Regelungen zu einem „Verfassungsschutzbeauftragten“ nach dem SPD-Entwurf sind zu streichen. Gegen diese Einrichtung hat der Verfasser der nachfolgend online gestellten Stellungnahme in der mündlichen Anhörung vor dem Innenausschuß am 25. April 2023 entschieden Stellung bezogen. Es würde dadurch neben dem staatlichen Verfassungsschutzbericht auch noch ein parlamentarischer Bericht institutionalisiert werden, wodurch die regierungsfreie Meinungsbildung des Volks (als Voraussetzung freier Wahlen) immer weniger gewährleistet wäre.

Die hiermit vorgeschlagenen Regelungen basierend auf dem Gesetzgebungsvorschlag der SPD-Fraktion würden noch keine zur Verwirklichung einer liberalen Demokratie gebotene grundlegende Reform des Verfassungsschutzrechts darstellen,

s. dazu: Thesen zur empfohlenen politischen VS-Strategie der AfD, und hier, aber doch schon weitgehend in diese Richtung führen.

Der sich für den bayerischen Landesgesetzgeber aus der Verfassungsrechtsprechung ergebende Handlungsbedarf ist von allgemeinem Interesse, weil diese Rechtsprechung auch auf andere Landesgesetze Auswirkungen haben wird. Hinsichtlich eines prozessualen Vorgehens gegen VS-Maßnahmen, s. dazu: Gesichtspunkte eines gerichtlichen Vorgehens gegen den sog. „Verfassungsschutz“ im Falle der AfD, und hier, ist diese Rechtsprechung deshalb von Bedeutung, weil damit unter Bezugnahme auf den zentralen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Rechtswidrigkeit des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel gegen Opposition, die sich rechtmäßig verhält, geltend gemacht werden kann, auch wenn damit noch keine Lösung des Problems des VS-Berichts impliziert ist. Letzteres ist in der Tat das entscheidende Problem, weil mit Hilfe des VS-Berichts maßgeblich die für eine liberale Demokratie des Westens befremdliche Oppositionsbekämpfung durchgeführt wird, die sich nicht nur zum Nachteil einer staatlich bekämpften Partei auswirkt, sondern das Vorliegen freier Parlamentswahlen in Frage stellen könnte.

Stellungnahme zur Änderung des Verfassungsschutzgesetzes des Freistaates Bayern

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