Sozialismusbewältigung Teil 30

30. Teil: Extremistische Umsetzung des sozialistischen Antisemitismuss“

Josef Schüßlburner

(30.10.2023) Im Lichte des vorausgehend, d.h. im 29. Teil der vorliegenden Serie zur Sozialismusbewältigung dargestellten Antisemitismus der politischen Linken stellt sich wie von selbst die Frage, ob man auf der Grundlage etwa der Position des SPD-Chefideologen Karl Kautsky, wonach beim Eintritt des Sozialismus mit dem Kapitalismus auch das Judentum verschwinden würde, wirklich überzeugend gegen jemanden argumentieren konnte, der revolutionär den Kapitalismus dadurch überwinden wollte, indem er gezielt das Judentum irgendwie zum Verschwinden bringen will, um auf diese Weise beschleunigt das Schöne und Gute herbei zu führen, das der Advent des Sozialismus verheißt, nämlich – so der theoretisch wohl extremste sozialistische Antisemit Deutschlands, Eugen Dühring,  – die „Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, eine Gesellschaft von Freien und Gleichen.“

Im Text wird dargelegt, daß die Weltanschauung des maßgeblichen antisemitischen Politikers der NS-Herrschaft, nämlich von Joseph Goebbels, in diese Tradition des „linken Antisemitismus“ (Arendt) verortet werden muß, deren Kern im sozialistischen Antikapitalismus bestand, wobei Goebbels die rassenpolitische Ableitung des Antisemitismus als „Rassenfimmel“ verspottet hat. Kern des Goebbelsschen Antisemitismus stellte die auf Marx zurückgehende Vorstellung dar, die „den Juden“ mit dem „Geld“ (Kapitalismus) verbindet, welches dessen wesentliches internationales Machtinstrument darstelle und der Verwirklichung wahrer Volksherrschaft entgegenstünde. Antisemitismus ist daher bei Goebbels Funktion seines extremistischen Sozialismus, der den Kapitalismus und damit die „Herrschaft des Judentums“ überwindet: „Wenn ich sozialistisch denke, dann muß ich Antisemit sein, denn der Jude ist die Inkarnation des Kapitalismus“ (Nachweis im Text).  Dieser Ansatz deckt sich weitgehend mit der umfassendsten Erläuterung der Motive des NS-Antisemitismus aus dem Jahr 1920 durch Hitler selbst: „Warum sind wir Antisemiten?“: „Alles, was Menschen zu Höherem streben läßt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld- und Herrschgier zu befriedigen“ (so Hitler in einem anderen Zusammenhang, Nachweis im Text). Vom NS wurde deshalb der Sowjetunion nicht der Kommunismus vorgeworfen, sondern – entsprechend der innersozialistischen Kritik von Dühring und Bakunin am Marxismus als jüdischer Lehre und Verfälschung des wahren Sozialismus – daß es sich bei dem zeitgenössischen Sowjetregime um ein vom Judentum beherrschtes staatskapitalistisches System handeln würde. Eine Ansicht, die durch das Vorgehen von Stalin gegen die Revolutionsgarde Lenins etwas erschüttert wurde, wo man dann doch irgendwie annehmen mußte, daß sich das Sowjetsystem durch Zurückdrängen des Judentums dem deutschen NS annähern würde – was dann dem sog. Hitler-Stalin-Pakt als Voraussetzung des Zweiten Weltkriegs auch eine gewisse ideologische Abstützung geben konnte.  

Die Entwicklung in der zeitgenössischen Sowjetunion zeigt auf, wie man aufgrund der Marxschen Lehren fast nahtlos vom expliziten Philosemitismus der sowjetischen Gründungsphase zu einem sehr hinterhältigen Antisemitismus übergehen konnte. Die Anfangsphase der Sowjetunion ist wie folgt gekennzeichnet worden: “Jewish Bolsheviks were numerous in the Cheka (secret police), as commissars, tax inspectors and bureaucrats … to the peasant, the Soviet regime and the Jewish middlemen were identical.” Der „nicht selten gebrochen Russisch sprechende jüdische (lettische) Kommissar mit Lederjacke und Mauserpistole“ wurde „typisch für das Erscheinungsbild der revolutionären Macht“ (Nachweise im Text, die dabei – die verfolgungspolitisch ausgerichtete Bewältigungsdoktrin gebietet diesen Hinweis – nicht von Antisemiten stammen). Da der zeitgenössische Sowjetterror in Form einer Kollektivschuld mit dem Judentum identifiziert wurde, liegt hier das Aufleben des Antisemitismus in der Phase nach dem Ersten Weltkrieg begründet und dies für Taten, die von „bewußt nicht-jüdischen Juden“, die allerdings doch in einer (letztlich gnostischen) jüdischen Tradition  stehen, „mit Angstschweiß auf der Stirn“ begangen wurden, welche sich für das Sowjetsystem einsetzten, weil dieses entsprechend der Marxschen Verheißung versprach, daß es dann im verwirklichten Sozialismus nur noch „Menschen“ geben würde und so das Judentum, mit dem die jüdisch-stämmigen Täter die (persönliche) Marxsche Problematik unauflösbar verband, verschwinden und die „Entfremdung“ in seiner für diese Täter spezifischen Bedeutung aufhören würde.      

Stalin fühlte sich dann nach Ende des Zweiten Weltkrieges vor allem vom jüdischen Nationalismus, also dem Zionismus, herausgefordert, der die Erwartung der sozialistischen Doktrin widerlegte, wonach mit dem Eintritt des Sozialismus das Judentum als „chimäre Nation“ (so Marx) verschwinden würde. Damit war für Stalin klar, daß Juden nicht assimiliert werden könnten und es sich bei der Fortexistenz des Judentums im realen Sozialismus nicht nur um fortwirkende psychologische Reste einer kapitalistischen Mentalität  handelte, sondern durch den Zionismus, den man dann nur als neue Erscheinungsform des Kapitalismus und des amerikanischen Imperialismus  begreifen konnte, die Existenz des Sozialismus überhaupt auf dem Spiel stand. Die nationalistisch begründete Existenz Israels widerlegt dann den Sozialismus, zumindest den internationalistisch ausgerichteten.

Es kann aufgrund des rechtzeitigen Todes des Sowjettyrannen nicht bewiesen werden, ob Stalin wirklich eine umfassende Judenvernichtung plante, wie einige Personen annehmen, denen man dabei keine Verschwörungstheorie im bundesdeutschen VS-Sinne vorwerfen kann. Jedoch sind die antisemitischen Erscheinungen in der Endphase der Stalinära unbestritten, angefangen von der Auflösung des Jüdisch-Antifaschistischen Komitees und der staatlichen Ermordung seiner führenden Funktionäre bis zur Dienstentlassung jüdisch-stämmigen Personals, etwa von 63 Generälen und 260 Hauptleuten. Insbesondere in der Ukraine wurde eine offen antisemitische Politik propagiert, mit der Preisgabe der jüdischen Namen von Funktionären, die für die Fehler des Systems verantwortlich gemacht wurden: „Jews were arrested, forced from their jobs, insulted, and beaten in the streets. Cases of pogroms were reported in Kiev, Kharkov und elsewhere in the Ukraine. Secret quotas were set limiting employment for Jews as well as access to higher education“ (Nachweis im Text). Im sowjetisierten Osteuropa spiegelt sich der sowjetische Antisemitismus etwa im Slansky-Prozeß in der Tschechoslowakei. Der sozialistische Antisemitismus in der Sowjetunion überlebte Stalin, auch wenn er nicht mehr die letalen Konsequenzen hatte oder ein Vernichtungsszenario heraufbeschwor, so wie spätestens unter Breschnew der ideologische Fanatismus des Sowjetregimes im Totalbürokratismus korrumpierend ersterben sollte. Dies führte dann in den Anti-Zionismus über, wobei es der sowjetischen Politik in den 1970er Jahren gelingen sollte, den Zionismus als Form des Rassismus von der UN-Generalversammlung verurteilen zu lassen.  

Abschließend wird auf die pseudoreligiös / pseudoatheistische Wurzel des (national-) sozialistischen Antisemitismus eingegangen, der auf den gnostischen Ausgangspunkt der unterschiedlichen Sozialismen zurückführt: Bedeutung und Problematik der „Judenfrage“ in der sozialistischen Tradition stehen entschieden dem Versuch der bundesdeutschen „Bewältigung“ entgegen, dem deutschen Nationalsozialismus wegen dessen Antisemitismus den sozialistischen Charakter abzusprechen. Vielmehr zeigt die Geschichte des Sozialismus, daß er „je nach den politischen oder sozialen Umständen sich dem Antisemitismus ebenso gut nähern und mit ihm liebäugeln wie ihn ablehnen und bekämpfen kann. Sie lassen auch, sofern man überhaupt von der Vergangenheit auf die Zukunft schließen darf, eine neuerliche Annäherung von Sozialismus und Antisemitismus als durchaus möglich erscheinen. Das fiele jedenfalls nicht aus dem Rahmen sozialistischer Tradition … Dazu bedarf es keiner Änderung der sozialistischen Theorie“ (Nachweis im Text).

Damit ist die bleibende Bedeutung des Themas Sozialismus und Judentum / linker Antisemitismus aufgezeigt: Der latente sozialistische Antisemitismus hat in der BRD die Formel „Kampf gegen rechts“ angenommen, weil er nämlich den „Rechten“ zum Vorwurf macht, was schon der antike Antisemitismus den Juden zum Vorwurf gemacht hatte. Letzteres ist dann noch ausführlicher im 6. Teil der Serie zum Parteiverbotssurrogat behandelt: Bundesdeutscher „Kampf gegen rechts“ als (latenter) Antisemitismus

Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um die überarbeitete Fassung etwa der zweiten Hälfte des 6. Kapitels mit der Überschrift Sozialismus: Das Ende des Judentums des Werkes des Verfassers

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Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus,
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Dieses Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wieder erschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich.

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur online-Stellung auf dieser Internetseite.

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