Wahlrechtskritik 2.Teil

Wahlrechtskritik 2.Teil: Wahlrechtssperrklausel als Konnexinstitut des Parteiverbotsersatzes. Der Schutz des Parlaments vor den Wählern

Josef Schüßlburner

(15.08.2023) Die von Bundeskanzler Scholz (SPD) verteidigte Aussage des Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Haldenwang (CDU), wonach der Verfassungsschutz „nicht allein“ dafür zuständig sei, die Umfragewerte der AfD zu senken, macht deutlich, daß es zum amtlichen Verständnis dieser eigenartigen Einrichtung des bundesdeutschen Demokratie-Sonderwegs gehört, von Staatswegen, nicht nur „Umfragewerte“ einer unerwünschten Oppositionspartei zu senken, sondern für allem deren Wähleranteil (da Umfragewerte als solche noch nicht entscheidend sind).

Entgegen der Vermutung einer jüngsten Radikalisierung des Verfassungsschutzes ins Extremistische, nämlich zu einer offen gegen das Mehrparteiensystem und die Chancengleichheit für alle Parteien gerichteten Haltung durch den Verfassungskleriker Haldenwang (CDU), ist zu betonen, daß die Absicht, unerwünschte Oppositionsparteien mit den Mittel eines Inlandsgeheimdienstes, der gleichzeitig als staatliches Propagandainstrument eingesetzt wird, auf ein „überschaubares Niveau“ herabzudrücken, schon von vornherein zu den Methoden der genannten Einrichtung gehört hat. Dies läßt sich etwa dem Bericht des NRW-Inlandsgeheimdienstes, bzw. des zuständigen Landesinnenministers zum 50jährigen Jubiläum des Landesverfassungsschutzes entnehmen, wo es heißt: „Die Tätigkeitsergebnisse des Verfassungsschutzes konnten sich während der ersten Jahre der bundesdeutschen Demokratie gerade in Nordrhein-Westfalen sehen lassen. Obwohl an Rhein und Ruhr die KPD vor der NS-Herrschaft vielfach die stärkste politische Kraft gewesen war, konnte hier mit seiner Hilfe die Tätigkeit der Partei und ihrer Hilfsorganisationen auf ein überschaubares Niveau herabgedrückt werden“ (Nachweis im Text). Also: eigentlich entscheidet doch nicht wirklich der Wähler, sondern der Inlandsgeheimdienst sorgt für bestimmte Wahlausgänge!  

Auch die schon beamtenrechtlich bedenkliche (natürlich nicht sanktionierte) Bekundung zu Wahlumfragen durch einen VS-Chef stellt nichts Neues dar, weil in dieser Weise etwa der Chef des Bayerischen VS (CSU) bezüglich der Republikaner hervorgetreten war (Nachweis im Text). Es liegt also kein „Mißbrauch“ vor, sondern eine Anwendung des durch eine liberale Demokratie des Westens dringend zu überwindenden Demokratie-Sonderwegs BRD.

Das wesentliche Instrument, eine unerwünschte Partei – ohne den Vorwurf der Wahlmanipulation zu erheben – auch mittels amtlicher Kommentierung eines VS-Chefs auf ein „überschaubares Niveau“ herabzudrücken, stellt die Aussperrklausel des Wahlrechts dar, die damit als Konnex-Institut (Verbindungsinstrument) von diskriminierendem Wahlrecht und Parteiverbotssurrogat identifiziert werden kann. Auch wenn es derzeit nicht mehr so wahrscheinlich erscheint, daß für die vom „Verfassungsschutz“ staatsideologisch in einer für eine liberale Demokratie des Westens extremistischen Weise bekämpften Oppositionspartei AfD aufgrund erfolgreicher Delegitimierung des sog. „Verfassungsschutzes“ beim Wahlvolk die Aussperrklausel des Wahlrechts noch einmal zum Problem werden könnte, so ist im Rahmen der ihr als zentralen Agenda-Punkt empfohlenen grundlegenden Reform des bundesdeutschen Staatsschutzkonzepts zur unverbrüchlichen Verwirklichung des Gleichheitsprinzips der Demokratie auch eine Abschaffung der Sperrklausel des Wahlrechts als Unterpunkt einer grundlegenden Reformagenda zu empfehlen. Diese Änderung des Wahlrechts mag derzeit für die Partei selbst nicht opportun erscheinen, weil diese Klausel nunmehr dazu führen könnte, daß die SED endlich politisch ausgeschaltet werden kann und aufgrund der jüngsten Änderung des Bundeswahlgesetzes sogar die verfassungsklerikale CSU bundesweit an der 5%-Hürde scheitern könnte, aber es sollte doch die demokratischen Grundsätze für eine genuine demokratische Oppositionspartei maßgebend sein, selbst wenn dies die SED als Splittereinheit Deutschlands oder die CSU als Art Bundespartei noch parlamentarisch retten könnte. 

Die Sperrklausel des Wahlrechts ist nämlich konzeptionell Bestandteil des zu überwindenden bundesdeutschen Demokratie-Sonderwegs einer VS-Demokratie: Die intendierte Verbotswirkung des bundesdeutschen Wahlrechts kann neben der historischen Genese der 5%-Klausel daran erkannt werden, daß die (verfassungsgerichtliche) Rechtfertigung der wahlrechtlichen Sperrklausel der beim Parteiverbot angewandten Begründungsmethodik ähnelt, die von einer Furcht der etablierten politischen Klasse vor dem deutschen Wahlvolk zeugt. Die Sperrklausel des Wahlrechts wird dabei zum Bestandteil eines Verbotsersatzsystems, das sich aus der besonderen bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption ableitet. Das Verbotsersatzsystem (Teilnahme der Inlandsgeheimdienste an der Meinungsbildung des Volks, sozialisiertes Rundfunksystem, Disziplinarverfahren gegen im öffentlichen Dienst beschäftigte Mitglieder und Anhänger oppositioneller Strömungen und dergl.) steigert die Sperrwirkung der wahlrechtlichen Sperrklausel für unerwünschte neue Parteien ins Unüberwindliche. Dabei werden vom Verbotsersatzsystem (Verbotssurrogat), welches sich aus einer Parteiverbotskonzeption ableitet, die bewußt auf einen Kollateralschaden am politischen Pluralismus abzielt, auch Parteien und Organisationen betroffen, die selbst bei Anwendung der besonderen bundesdeutschen ideologie-politischen illiberalen Parteiverbotskonzeption nicht verboten werden könnten, wie derzeit vor allem die Partei „Alternative für Deutschland“.

Auch bei dieser ist schon relativ schnell darauf hingearbeitet worden, sie mit Hilfe der wahlrechtlichen Sperrklausel in Verbindung mit dem Einsatz des „Verfassungsschutzes“ zur politischen Unwirksamkeit zu bringen. Daß dies der etablierten politischen Klasse selbsternannter „Demokraten“ dann doch nicht gelungen zu sein scheint, ist wesentlich auf die zwischenzeitlich erreichte Delegitimierung des sog. „Verfassungsschutzes“ zurückzuführen, wozu diese Internetseite www.links-enttarnt.de einen wesentlichen Beitrag geleistet haben dürfte.  

Dies sollte aber trotzdem nicht daran hindern, den bundesdeutschen Demokratie-Sonderweg mit seiner exzeptionellen Parteiverbotskonzeption als Ausgangspunkt des darauf gründenden Parteiverbotssurrogats eines permanenten ideologiepolitischen Notstands durch eine „liberale Demokratie des Westens“ auch in der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden. Dies gebietet auch die Überwindung der wahlrechtlichen Sperrklausel als Konnex des Verbotssurrogats. Gegenüber opportunistischen Anwandlungen, die Wahlrechtsfragen in der politischen Praxis bestimmen, sollte sich die Reformpartei AfD doch bewußt sein, daß „Verfassungsschutz“ noch immer nicht überwunden ist und deshalb der Verfassungsklerikalismus mit seinem zivilreligiösen Verfassungsverständnis, das nicht Rechtsverletzungen, sondern Ideen, Gedankenkomplexe und Wortwahl staatsideologisch bekämpft, doch noch eine negative Wirkung zu Lasten des freien Wahlrechts herbeiführen könnte.  

Zumindest erlaubt die Betrachtung der wahlrechtlichen Sperrklausel den besonderen Charakter des bundesdeutschen Demokratie-Sonderwegs zu analysieren. Deshalb sollte die Analyse dieser besonderen Demokratiesituation gerade für Anhänger der AfD, aber auch für sonstige Anhänger einer liberalen Demokratie des Westens in der BRD, doch noch ein besonderes Interesse erwecken, selbst wenn die Wirkung der Sperrklausel aufgrund der Delegitimierung des „VS“ zumindest bezogen auf die staatlich bekämpfte AfD weitgehend unwirksam erscheint.   

Hinweis
Der anliegende Beitrag stellt eine notwendige Ergänzung zur jüngsten Veröffentlichung des Verfassers dar:

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

Die Problematik der wahlrechtlichen Sperrklausel ist in der Broschüre nicht explizit behandelt, weil man bisher davon ausgehen konnte, daß sie für die AfD kein Problem mehr darstellen würde, jedoch ist die wahlrechtliche Problematik gewissermaßen als selbstverständlich vorausgesetzt, weil es dem etablierten Parteiensystem letztlich darum gehen muß(te), die AfD aus den Parlamenten zu bringen und das wesentliche Instrument hierfür ist es, durch die intensiv behandelte VS-Politik die prohibitive Wirkung der wahlrechtlichen Sperrklausel ins Unüberwindliche zu erhöhen. Diese Aussperrklausel des bundesdeutschen Wahlrechts ist nämlich trotz ihrer weltanschaulich neutralen Formulierung letztlich „gegen rechts“ gerichtet, wie der Kontext von Entstehungsgeschichte und die verfassungsgerichtlichen Rechtfertigungsmethodik belegt, die den Zusammenhang dieser Klausel mit der besonderen Parteiverbotskonzeption nachweisen lassen und dadurch ein Wahlrecht mit Verbotselement begründet wird. Die Aussperrklausel des bundesdeutschen Wahlrechts ist schon aufgrund des dabei beabsichtigten Kollateralschadens am politischen Pluralismus gegen die Funktionsweise einer normalen Demokratie unter den Bedingungen des Verhältniswahlrechts, den offen ausgetragenen Links-Rechts-Antagonismus, gerichtet. Deshalb gehört zu der Formulierung einer vom Verfasser der betroffenen Partei dringend nahegelegten politischen Alternative auch die Änderung des Wahlrechts, wofür unter dem Stichwort „Verwirklichung der liberalen Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland“, konkret: zur Verwirklichung der grundlegenden und essentiellen demokratischen Gleichheit des Wahlrechts Wähler zu gewinnen sind.

Wahlrechtskritik 2. Teil: Wahlrechtssperrklausel als Konnexinstitut des Parteiverbotsersatzes. Der Schutz des Parlaments vor den Wählern

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