Wahlrechtskritik 2.Teil

Wahlrechtskritik 2.Teil: Wahlrechtssperrklausel als Konnexinstitut des Parteiverbotsersatzes. Der Schutz des Parlaments vor den Wählern

Josef Schüßlburner

Die intendierte Verbotswirkung des bundesdeutschen Wahlrechts kann neben der historischen Genese der 5%-Klausel daran erkannt werden, daß die (verfassungsgerichtliche) Rechtfertigung der wahlrechtlichen Sperrklausel der beim Parteiverbot angewandten Begründungsmethodik ähnelt, die von einer Furcht vor dem deutschen Wahlvolk zeugt. Die Sperrklausel des Wahlrechts wird dabei zum Bestandteil eines Ersatzverbotssystems, das sich aus der besonderen bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption ableitet. Am adäquatesten ist es wohl, die wahlrechtliche Sperrklausel der Bundesrepublik Deutschland als Konnexinstitut dieses Ersatzverbotssystems zu identifizieren: Das Ersatzverbotssystem (Teilnahme der Inlandsgeheimdienste an der Meinungsbildung des Volks, sozialisiertes Rundfunksystem, Disziplinarverfahren gegen im öffentlichen Dienste beschäftigte Mitglieder und Anhänger oppositioneller Strömungen und dergl.) steigert die Sperrwirkung der wahlrechtlichen Sperrklausel für unerwünschte neue Parteien ins Unüberwindliche. Dabei werden vom Ersatzverbotssystem (Verbotssurrogat), welches sich aus einer Parteiverbotskonzeption ableitet, die bewußt auf einen Kollateralschaden am politischen Pluralismus abzielt, auch Parteien und Organisationen betroffen, die selbst bei Anwendung der besonderen bundesdeutschen ideologie-politischen Parteiverbotskonzeption nicht verboten werden könnten, wie etwa die neue Partei „Alternative für Deutschland“. Auch diese dürfte nämlich mit Hilfe der wahlrechtlichen Sperrklausel zur politischen Unwirksamkeit gebracht werden, was nur deshalb so effektiv erreicht werden kann, weil das Ersatzverbotssystem die prohibitive Wirkung der Sperrklausel ins nahezu Unüberwindliche erhöht.

Dies zeigt auf, daß die bislang praktizierte Parteiverbotskonzeption überwunden werden muß, will man in der Bundesrepublik Deutschland endlich mit dem politischen Pluralismus ernst machen. Der politische Pluralismus ist erreicht, wenn auch in der Bundesrepublik Deutschland wie in den sie umgebenden Demokratien der friedlich ausgetragene Links-Rechts-Antagonismus zur Entscheidungsfindung des Volks und zur Sicherstellung des wirklichen Auswahlcharakters freier Wahlen offen praktiziert werden kann, wie dies der Verfasser in seinem Buch zur Konsens-Demokratie. Die Kosten der politischen Mitte postuliert hat.

Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte von Josef Schüßlburner, erschienen im Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe – 1. Oktober 2010, 8,50 Euro), erhältlich auch hier.

Dies setzt voraus, daß man auch in der Bundesrepublik Deutschland eine politisch rechte Position in derselben Weise vertreten kann wie man eine linke Position vertreten darf, ohne dabei Diskriminierungen, wenn nicht gar Verfolgungen ausgesetzt zu sein. Dieser banalen Selbstverständlichkeit einer Demokratie steht in der Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht zuletzt die Sperrklausel des Wahlrechts als Konnex-Institut eines gegen unerwünschte Parteien gerichtetes Ersatzverbotssystems (Verbotssurrogat) entgegen.

Im Hinblick auf die verfassungsrechtlich gebotene Abschaffung der wahlrechtlichen (Aus-) Sperrklausel läßt vielleicht die zweite Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum deutschen Europawahlrecht hoffen, auch wenn die etablierten politischen Kräfte der verfassungsgerichtlichen Abschaffung der Sperrklausel durch eine niedrige Sperrklausel entgegengetreten sind, worüber aber wohl noch befunden werden muß. Das Bundesverfassungsgericht scheint jedoch zu erkennen, daß es selbst nicht das geeignete Instrument sein kann, der europäischen Abschaffung der Bundesrepublik Deutschland entgegenzutreten, sondern dies der freien Wahlentscheidung des deutschen Wählers überlassen werden muß. Wirklich frei ist allerdings eine Wahl nur dann, wenn der Wahlgleichheit und damit der Chancengleichheit neuer Parteien keine wahlrechtliche Sperrklausel entgegensteht, deren Sperrwirkung mit Kollateralschaden für den politischen Pluralismus durch das Mittel des Verbotssurrogats, die das Wahlrecht zum Konnex-Institut eines Parteiverbotssystems gerinnen läßt, ins Unüberwindliche gesteigert wird!

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