Schuldhafte Beweisvereitelung durch Verfassungsschutz

Schuldhafte Beweisvereitelung durch Verfassungsschutz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist wegen gezielter Aktenvernichtung verdientermaßen in eine Existenzkrise geraten. Das nachfolgend online gestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 12.06.2012 – 22 K 1487/10 – belegt, daß rechtswidrige Aktenvernichtung bzw. Datenlöschung bei diesem Bundesamt anscheinend nichts Neues ist, sondern – so ist wegen der zum politischen Thema gemachten Aktenvernichtung zu vermuten – geheimdienstliche Praxis darstellt. Im vorliegenden Fall ist das Bundesamt für Verfassungsschutz seiner gesetzlichen Verpflichtung, und damit seiner verfassungsrechtlichen Verpflichtung auf das Verfassungsprinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (das Bestandteil der vom „Verfassungsschutz“ zu schützenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellt) nicht nachgekommen, Datenerfassung aufgrund geheimdienstlicher Postüberwachung solange aufrechtzuerhalten, bis geklärt ist, ob vom Betroffenen gerichtlicher Rechtsschutz gegen diese Überwachungsmaßnahmen begehrt wird.

Das vorübergehende Verbot der Datenvernichtung ist bei vorausgegangenen Post-Überwachungsmaßnahmen deshalb von zentraler verfassungsrechtlicher Bedeutung, weil die primäre verfassungsrechtliche Rechtsschutzgarantie im Interesse des Verfassungsschutzes (gewissermaßen die Verfassung zugunsten des Verfassungsschutzes) verfassungsrechtlich von demokratischen Politikern ein Stück weit abgeschafft worden ist und daher die gesetzliche eröffnete nachträgliche Gerichtskontrolle in diesem Bereich die einzige Möglichkeit darstellt, die Verfassung gerichtlich gegen den „Verfassungsschutz“ zu schützen.

Das Verwaltungsgericht (s. insbesondere die Seiten 9 bis 11 des Urteils) hat dem Kläger des vorliegenden Rechtstreits entsprechend der üblichen Beweislastverteilungsregelungen geholfen, indem es angesichts der geheimdienstlichen Beweisvereitelung bei Vorliegen entsprechender Indizien zu seinen Gunsten festgestellt hat, daß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, also dem vom Verfassungsschutz zu schützenden Rechtsstaatsprinzip zuwider, die zwischen dem Kläger und seinem Strafverteidiger gewechselte Post rechtswidrig vom Inlandsgeheimdienst überwacht worden war. Damit liegt grundsätzlich ein Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie vor, und damit gegen den zentral vom „Verfassungsschutz“ eigentlich zu schützenden Grundsatz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, weil die Immunität der Anwaltspost vor geheimdienstlichen Überwachungsmaßnahmen die Subjektstellung eines Angeschuldigten / Angeklagten beachtet und ihn davor bewahrt, unter Verletzung der Menschenwürdegarantie nach der sog. „Objektformel“ des Bundesverfassungsgerichts bloßes Objekt eines Strafverfahrens zu sein (s. dazu vor allem die Seiten 18 und 19 des Urteils).

Diese Menschenwürde gilt dabei – manche Vertreter der politischen Klasse und des „Verfassungsschutzes“ mögen dies nicht (mehr) für möglich halten – auch für „rechte“ Straftäter bzw. Verdächtigte. Diese konsequente Grundposition dürfte im Falle der bekannt gewordenen „großen“ Aktenvernichtung schon aus formalen Gründen zur Wiederherstellung der im Zusammenhang mit dem NSU-Vorgang faktisch abgeschafften Unschuldvermutung führen, womit auch die Beachtung der Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland wieder gewährleistet werden würde.

Das vorliegend online gestellte Urteil des Verwaltungsgerichts Köln gereicht der bundesdeutschen Justiz zur Ehre. Weniger ehrenhaft stellt sich die Gesetzeslage dar: Die Überwachungsmaßnahmen, die im vorliegenden Verwaltungsgerichtsverfahren nur in einer spezifischen Weise durch (nachträgliche) Feststellungsklage angefochten werden konnten, sind nämlich damit begründet (s. Seite 3 des Urteils), daß der Kläger verdächtigt worden war, sogenannte „Propagandadelikte“ zu begehen. Bedenkt man, daß in den meisten liberalen Demokratien des Westens derartige Propagandadelikte nicht existieren (oder zumindest nicht in dem extrem(istisch)en Ausmaß der Bundesrepublik) und dementsprechend zu deren Schutz angeordnete geheimdienstliche Überwachungsmaßnahmen von vornherein rechtswidrig wären (was sie in der nur freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland leider nicht sind), dann belegt dies, daß es für die Verwirklichung einer freien Demokratie in Deutschland noch einiges zu tun gibt. Die Auflösung des Bundesamtes für Verfassungsschutz, zumindest die Abschaffung von dessen Propagandafunktion (die dem genuinen Geheimdienstinteresse entgegensteht) dürfte dabei unvermeidbarer Bestandteil sein.

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Prozeßvertreter, Herrn Rechtsanwalt Jochen Lober, Köln, für die Überlassung des Urteils, das zum Schutz von Persönlichkeitsrechten entsprechend der üblichen Veröffentlichungspraxis etwas anonymisiert ist. An sich müßte sich die „Qualitätspresse“ für ein derartiges Urteil interessieren. Da dies bei der bundesdeutschen „Dialogkultur“ jedoch nicht zu erwarten ist, erging dieses Urteil im entscheidenden Punkt doch zugunsten von Rechts, wird es zur Erfüllung der Pflicht zur Unterrichtung der Öffentlichkeit (eine Pflicht, der an sich der sozialisierte Rundfunk behauptet nachkommen zu wollen) hiermit online gestellt.

“Urteil des Verwaltungsgerichts Köln”

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