Parteiverbotskritik Teil 28: Lösung der Parteiverbotsproblematik durch Verfassungsalternative
Josef Schüßlburner
(17.03.2022) Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017 zum Antrag auf Verbot der Oppositionspartei Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) mit seiner dem Urteilstenor widersprechenden Urteilsbegründung stellt die Grundlage des extremistisch verschärften Vorgehens gegen die Rechtsopposition in der Bundesrepublik Deutschland dar. Dementsprechend gilt es im Interesse von Meinungs- und Parteienpluralismus eine Bewertung vorzunehmen, welche Folgerungen aus diesem Urteil zu ziehen sind.
Diese Konsequenzen sind im abschließenden 28. Teil der Serie zur Parteiverbotskritik dargelegt worden, die deshalb durch Neueinstellung dieses Dokuments nochmals zur Erinnerung gebracht werden sollen. Diese dabei gezogenen Schlußfolgerungen führen dazu, den Schwerpunkt des „Kampfes ums Recht“ auf das Parteiverbotssurrogat auszurichten. Zur Überwindung der Parteiverbotskonzeption als Grundlage der zunehmenden Unfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland hat es sich als unvermeidbar herausgestellt, eine Verfassungsdiskussion zu eröffnen.
Das Nichtverbotsurteil des Bundesverfassungsgerichts mit Verbotsbegründung hat trotz der Antragsablehnung aufgrund der dem Entscheidungsausspruch widersprechenden Begründung die Erwartungen von Anhängern einer westlichen Demokratie enttäuscht. Trotz der selbst von den Antragstellern anerkannten Revisionsbedürftigkeit des bundesdeutschen Parteiverbotskonzepts ist das Bundesverfassungsgericht bei seinem in den 1950er Jahren entwickelten Konzept geblieben, welches die Bundesrepublik Deutschland zu einem Demokratie-Sonderweg eines ideologischen Notstandes in Permanenz verdammt, der durch die als „Verfassungsschutz“ firmierende Staatssicherheit exekutiert wird. Auf der Strecke bleiben Chancengleichheit für alle politischen Strömungen und voller Meinungspluralismus und es besteht die Gefahr des Entstehens einer „DDR-light“.
Sollte sich diese sonderdemokratische Parteiverbotskonzeption zwingend aus dem Grundgesetz ergeben, wofür zugunsten des Bundesverfassungsgerichts durchaus einige zentrale Gesichtspunkte angeführt werden können, wie etwa, daß das Parteiverbot die Strukturschwächen des grundgesetzlichen Regierungssystems kompensieren muß, stellt sich die Verfassungsfrage, welche aufgrund des Schlußartikels dieser ursprünglich als Übergangsverfassung konzipierten vorläufigen Verfassung („Transitorium“ in Sinne des ersten Bundepräsidenten Heuß) ohnehin gestellt ist. Als Ausgangspunkt entsprechender Überlegungen muß man durchaus anerkennen, daß der Demokratieschutz ein völlig legitimes und verfassungspolitisch durchaus zentrales Anliegen ist. Allerdings wird die Erkenntnis, die man vor allem bei Betrachtung des Parteiverbots in grenzwertigen Demokratien gewinnt, eher sein, daß ein über den klassischen Staatsschutz (Verhinderung des Hochverrats, Staatsstreichs) hinausgehender Demokratieschutz schon fast notwendigerweise selbst einen Weg zur Demokratieabschaffung (Vorwegnahme der Demokratieabschaffung, um andere daran zu hindern) darstellt. Das diesem erweiterten Demokratieschutz zugrunde liegende Dilemma kann dabei nicht überzeugend nach inhaltlichen Kriterien gelöst werden, sondern nur durch verfahrensmäßige Ausgestaltungen im Staatsorganisationsrecht. Dies erfordert dann zur Überwindung der Verbotsdemokratie eine wirkliche Verfassungsdiskussion: Ist die Wahrscheinlichkeit einer sog. extremistischen Machtübernahme durch Ausübung des freien Wahlrechts (was den zentralen Ansatz des besonderen bundesdeutschen Demokratieschutzes eines Schutzes der Verfassung vor den Deutschen darstellt) bei einem Präsidialsystem nicht vielleicht geringer als bei einer parlamentarischen Demokratie? Wer etwa den US-Präsidenten Trump für einen „Faschisten“ hält, muß doch anerkennen, daß das amerikanische Verfassungssystem besser vor ihm geschützt hat als dies wohl der Fall wäre, wenn er beim bundesdeutschen parteienstaatlich-parlamentarischen Regierungssystem eine Mehrheit gehabt hätte. Letztlich gilt es, ein parlamentarisches Ermächtigungsgesetz zu verhindern, was im Rahmen der Grundgesetzordnung möglich wäre, wenn man ein obligatorisches Verfassungsreferendum einführt oder in anderer Weise die Verfassungsänderung verfahrensmäßig erschwert.
Mit dieser Art von Fragestellung soll die Serie zur Parteiverbotskritik abgeschlossen sein. Eine Fortsetzung hat bereits mit der Serie zur Kritik des Parteiverbotssurrogats auf dieser Internetseite stattgefunden.
Im Parteiverbotssurrogat findet nämlich eine permanent wirkende Anwendung der Parteiverbotskonzeption im Sinne der Wirkung eines Verbots ohne förmlichen Verbotsausspruch statt. Außerdem erfolgt eine Fortsetzung der Serie Parteiverbotskritik in Form von Beiträgen auf dieser Website zur Verfassungsdiskussion: Wäre nicht eine Rückkehr zur Weimarer Reichsverfassung oder zu einer demokratisch-republikanischen Form der Bismarckschen Reichsverfassung dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vorzuziehen? Was gibt es am Grundgesetz neben dem zentralen Punkt der Parteiverbotskonzeption auszusetzen? Reicht vielleicht schon eine derartige Verfassungsdiskussion aus, die Verhältnisse in der Bundesrepublik im Sinne einer „liberalen Demokratie des Westens“ zu normalisieren, weil allein durch die Fragestellung, ob man nicht die Verfassung ersetzen sollte, die Volkssouveränität an die Stelle einer quasi-theokratischen „Verfassungssouveränität“ tritt (selbst wenn dann die Verfassungsablösung nicht förmlich erfolgt)?
Die Volkssouveränität hat auch eine zentrale außenpolitische Komponente, nämlich das Konzept der nationalstaatlichen Unabhängigkeit. Volkssouveränität kann es nur in einem souveränen Staat geben (das umgekehrte trifft leider nicht notwendigerweise zu). Deshalb stellt auch die auf dieser Website unter „Alternative Perspektiven“ begonnene außenpolitische Fragestellung mit dem Ziel der deutschen Unabhängigkeit auch eine Fortsetzung der Serie zur Parteiverbotskritik dar. So wie die über den klassischen Staatsschutz hinausgehende Parteiverbotskonzeption ist auch die nichtreziprok konzipierte oder zumindest nicht reziprok wirkende internationale Einbindung gegen die Volkssouveränität gerichtet. Bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption und besondere außenpolitische Einbindung der Deutschen stehen da in einem inneren Zusammenhang, den es im Interesse der Volkssouveränität zu überwinden gilt.
Hinweis
Die Auseinandersetzung mit der Parteiverbotskonzeption muß deshalb geführt werden, weil sich diese nicht in förmlichen Verboten erschöpft, sondern Ausgangspunkt und Grundlage eines permanent wirkenden Parteiverbotssurrogats (Verbotswirkung ohne förmliches Verbot) darstellt. Diesem ist die jüngste Abhandlung des Verfassers gewidmet:
Josef Schüßlburner/Institut für Staatspolitik
»Verfassungsschutz«: Der Extremismus der politischen Mitte
Wissenschaftliche Reihe; 30 [Arbeitsgruppe 1: Staat und Gesellschaft]
62 Seiten, ermäßigt 5 Euro, ISBN: 978-3-939869-30-6, erhältlich hier
“Der Verwirklichung einer »normalen Demokratie« in der Bundesrepublik Deutschland, die man daran erkennt, daß sie rechte Parteien und Gruppierungen in der gleichen Weise akzeptiert wie linke Gruppierungen oder solche der »Mitte«, steht der »Verfassungsschutz« entgegen. Wer eine »liberale Demokratie des Westens« in der Bundesrepublik Deutschland will, muß die den »Verfassungsschutz« tragende Konzeption zu überwinden suchen. Es gilt, dem Extremismus der Mitte entgegenzutreten: Die Bundesrepublik Deutschland muß endlich eine normale Demokratie werden! (Verlagsangabe)