Beiträge zur Verfassungsdiskussion – Einführung: Warum Verfassungsdiskussion?

Beiträge zur Verfassungsdiskussion – Einführung: Warum Verfassungsdiskussion?

Josef Schüßlburner

(10.02.2021) Ausgangspunkt für die Notwendigkeit einer Verfassungsdiskussion, welche die Verwirklichung und die Sicherung der politischen Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland bezweckt, ist die Tatsache, daß es dem Bundesverfassungsgericht in seiner Nichtverbotsentscheidung mit Verbotsbegründung vom 17. Januar 2017 entgegen den Erwartungen sogar der Antragstellung nicht gelungen ist, die in den 1950er Jahren dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland entnommene Parteiverbotskonzeption auf das Freiheitsniveau einer liberalen Demokratie des Westens zu bringen. Dies hätte auch bedeutet, beim Parteiverbot das Niveau der Freiheit sowohl der Weimarer Republik als auch des Deutschen Kaiserreichs wieder zu erreichen. Konkrete aktuelle Folge des Fehlschlags zumindest der Abrüstung der sog. wehrhaften Demokratie als bundesdeutschen Sonderwegs ist die Anwendung des als solches nicht anerkannten Parteiverbotsersatzregimes (Parteiverbotssurrogats) auf die Hauptoppositionspartei im Deutschen Bundestag. Wegen „Menschenbild“, „Weltbild“ und sog. „Geschichtsrevisionismus“ können dann Parteiverbote und Geheimdiensttätigkeit gegen politische Opposition stattfinden und deshalb müssen befähigte Beamte um ihre Stellung fürchten! Wohlgemerkt: In der Bundesrepublik Deutschland und nicht etwa in Polen und Ungarn.

Nun ist es bei einem rechtsstaatlichen Demokratieschutz im Idealfall nicht damit getan, durch selektive Grundgesetzänderung eine sog. dänische Lösung der Verbotsproblematik herbeizuführen. Parteiverbot und offene Geheimdienstüberwachung von politischer Opposition haben deshalb in der BRD eine für eine liberale Demokratie des Westens ziemlich groteske Bedeutung, weil damit Unzulänglichkeiten des Staatsorganisationsrechts nach dem Grundgesetz rechtzeitig kompensiert werden müssen. Der wirkliche verfassungsrechtliche Demokratieschutz gründet auf checks and balances vor allem gegen den möglichen Parlamentsabsolutismus, der sich in einem verfassungsändernden Ermächtigungsgesetz zur Demokratieabschaffung zum Ausdruck bringen könnte (so die Prämisse der BRD-Staatsschutzkonzeption). Für diesen wirklichen Demokratieschutz bedarf es des unabhängigen Abgeordneten, einer echten zweiten Parlamentskammer und eines mit zentralen Befugnissen ausgestatteten Staatsoberhaupts als Gegengewicht. Zudem ist an ein obligatorisches Verfassungsreferendum als Ergänzung zum parlamentarischen Änderungsverfahren und auch an Volksbegehren zur Abstimmung über entsprechende Parlamentsgesetze zu denken.

Diese Überlegungen, welche die ideologisch ausgerichtete Staatsschutzkonzeption ablösen sollen, deren wesentliches Opfer derzeit die Oppositionspartei AfD ist, führen notwendigerweise zu Überlegungen einer grundlegenden Änderung des Grundgesetzes, die dann wohl eher eine neue Verfassung nahelegen.

Formeller Ausgangspunkt der Verfassungsdiskussion ist allerdings der Prozeß der deutschen Wiedervereinigung, die seinerzeit von Minister Schäuble unter die falsche Alternative Beitritt nach Art. 23 GG a.F. oder Verfassungsgebung nach Art. 146 GG gestellt worden war. Dies hatte zur Folge, daß nur die politische Linke alternative Verfassungskonzepte entwickelt und dabei verhindert hat, daß Art. 146 GG aufgehoben wird. Dies hat konkret zur Folge gehabt, daß die mit der Wiedervereinigung zu erlassenden Landesverfassungen der „neuen Bundesländer“ links vom Grundgesetz angesiedelt sind und sich damit gut als Experimentierfeld zur Einführung von Antifa-Klauseln eignen, um damit auch das Grundgesetz zumindest interpretatorisch und in der praktischen Anwendung durch „Verfassungsschutz“ in Richtung auf die DDR-Verfassung von 1949 zu bringen, d.h. auf das Freiheitsniveau einer klugen linksextremen Nachbildung des ein paar Monate zuvor erlassenen Grundgesetzes. Dies zeigt auch auf, daß man am Grundgesetz vielleicht gar nicht so viel ändern muß, um zu einem antifaschistischen Regime zu gelangen, das rechte politische Auffassung verbietet. In der Tat stammen zentrale Kategorien des bundesdeutschen VS-Regimes wie „Verfassungsfeind“, der gegen „demokratische Politiker“ durch Ablehnung der Gleichheit „hetzt“ und gegen den die Bürger die „Pflicht zum Widerstand“ haben, nicht dem Grundgesetz, sondern eben der antifaschistischen DDR-Verfassung von 1949: Deren Auswirkung erklärt wohl, daß das VS-Regime vor allem gegen die AfD vorgeht, die sicherlich nicht soweit rechts steht wie die als Die Linke firmierende SED als ehemalige Diktaturpartei links angesiedelt ist und wohl deshalb nicht mehr Gegenstand der VS-Politik ist.

Der Linkstrend ist also, durchaus auch im Interesse des (ursprünglichen) Status quo des Grundgesetzes, nur zu bremsen, indem auch von rechter Seite die Verfassungsdiskussion geführt ist, weil nur dann der politische Kompromiß nicht in Richtung „links vom Grundgesetz“ stattfindet, also zu einer (vielleicht gar nicht so) „gemäßigten“ Variante der DDR-Verfassung von 1949 führt, sondern es dann wenigstens bei einem Grundgesetz bleibt, unter dem dann auch ohne Furcht vor Inlandsgeheimdiensten eine politisch rechte Position vertreten werden darf wie dies in den Anfangszeiten der Bundesrepublik durch die Regierungsbeteiligung der Rechtspartei Deutsche Partei der Fall gewesen ist.

An der Bereitschaft und auch den Mut zur Verfassungsdiskussion werden Teile der politischen Rechten durch die zwischenzeitlich etablierte Verfassungsreligiosität gehindert, die das Grundgesetz zu einem religiösen Dokument gerinnen läßt, welches durch Meinungsäußerungen gefährdet oder gar verletzt werden könnte. Damit wird die Rolle des Juristen und des Theologen in einer an die Herrschaftsdoktrin des Islam gemahnenden Weise vermengt (was diesen vielleicht deshalb schon zu einem vom VS zu schützenden „Wert“ macht). Dementsprechend gemahnen auch die Vorwürfe des VS-Regimes gegen die politische Opposition an Häresie-Vorwürfe kirchlicher Organisationen. Diese Verfassungsreligiosität, die mit dem Grundgesetz schon seit Besatzungszeiten verbunden war und Konrad Adenauer zur Warnung veranlaßte, das Grundgesetz nicht mit den Zehn Geboten zu vergleichen, ist schon zur wirksamen Zurückweisung verfassungsschützerischer Anwürfe durch das Weltlichkeitsprinzip, also durch die Aufklärung, die schon seit langen nach rechts gerückt ist, zu überwinden. Dazu ist die Verfassungsdiskussion unabhängig von ihrer formalen Wirkung ein probates Mittel, weil damit aufgezeigt wird, daß auch das Grundgesetz ein kritikwürdiges, da mit Fehlern behaftetes Menschenwerk darstellt. Die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Ordnung wie etwa Meinungs- und Parteienpluralismus, die durch das Vorgehen des „Verfassungsschutzes“ gegen die politische Opposition entschieden gefährdet werden, lassen sich vielleicht mit einer anderen Verfassung besser verwirklichen als mit einem dem Grundgesetz entnommenen Parteiverbotskonzept und dessen Anwendung als Parteiverbotsersatzsystem, das die Situation eines permanenten staatsideologischen Notstands herbeiführt.

Es sei daran erinnert, daß Artikel 146 GG, der die Ablösung des Grundgesetzes vorsieht, immer noch gilt, weil er im Zuge der Wiedervereinigung durch Änderung normativ bekräftigt worden ist, was im übrigen zeigt, daß das Grundgesetz selbst innerhalb der politischen Klasse nicht so unumstritten ist wie in Festansprachen immer wieder behauptet wird, weil man sich dann auch auf die Aufhebung von Artikel 146 GG hätte einigen können. Mittlerweile ist diese Bestimmung als Legitimationsreserve erkannt worden, um auf dieser Grundlage gegebenenfalls die BRD endgültig zur Europaprovinz degradieren zu können. Die Verfassungsdiskussion ist also durchaus präsent.

Für die politische Rechte ergibt sich aus Artikel 146 GG die Gewährleistung der Volkssouveränität gegen eine zivilreligiöse Verfassungssouveränität und der daraus folgenden Freiheit zur Verfassungsschöpfung. Mit der damit verbundenen Freiheit zur Verfassungsdiskussion verträgt sich die eingespielte Verfassungsfeindlichkeitserklärung nicht. Von der Warte des Artikels 146 GG aus kann man dann argumentieren: Sollte es das Grundgesetz tatsächlich erlauben, daß man eine Partei verbieten kann, weil sie falsche Ideen neu beleben würde und sollte es das Grundgesetz tatsächlich erlauben, daß Inlandsgeheimdienste Organisationen auf eine ideologiepolitische Proskriptionsliste setzen können, weil sie etwa einen „Revisionismus im weiteren Sinne“ oder andere von den Inlandsgeheimdiensten als falsch ausgemachte Ideen vertreten würden, dann wird es wirklich dringend Zeit, daß dies schnellstens geändert wird. Dies mag dann vielleicht auch ohne Grundgesetzablösung durch bloße Änderung etwa der Parteiverbotsvorschrift nach dänischem Vorbild erreicht werden, um eben eine andere Verfassungsoption (etwa Wiederinkrafttreten der WRV?) zu vermeiden. Aber um diese Wirkung zu erzielen, bedarf es einer entsprechenden verfassungspolitischen Option – die nicht danach zu beurteilen ist, ob sie formal zu einer anderen Verfassung führt, weil eine bessere Verfassungswirklichkeit in der BRD auch unter dem Grundgesetz durchaus genügen würde!

Hinweis
Die gesamten Beiträge zur Verfassungsdiskussion stellen insofern eine Ergänzung zur jüngsten Broschüre des Verfassers dar als darin dargelegt wird, daß von einer „Alternative für Deutschland“, die diesem hohen Anspruch gerecht werden will, auch eine Verfassungsalternative als politisches Konzept entwickelt werden müßte. Zumal dies aus vorliegend dargestellten Gründen im Eigeninteresse des Überlebens als legitimer Rechtsopposition, die den politischen Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland garantiert, erforderlich ist.

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

“Einführung – Warum Verfassungsdiskussion”

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