23. Teil: Sozialismus als totalitäre Demokratie
Josef Schüßlburner
(Stand: 10.10.2022) Unter Anlehnung an den Titel des Buches von Fabio Wolkenstein, Die dunkle Seite der Christdemokratie. Geschichte einer autoritären Versuchung, könnte die vorliegende Teil der Serie zur Sozialismus-Bewältigung mit dem Titel versehen werden: Die dunkle Seite der Sozialdemokratie. Geschichte einer totalitären Versuchung. Die SPD stellt die deutsche Partei dar, die sich (nachträglich hervorgegangen aus dem Allgemeinen deutschen Arbeiterverein) nach anfänglicher Bezeichnung als „Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ – ein Schlagwort, das im 20. Jahrhundert in einer modifizierten Weise aufgegriffen werden sollte – mit ihrer Bezeichnung „Sozialdemokratie“ ausdrücklich auf die Demokratie bezogen hat. Ihre marxistische Demokratiekonzeption macht jedoch nachvollziehbar, weshalb gegnerische Parteien von der Idee der Demokratie nicht wirklich begeistert waren: Diese Gegner befürchteten zu Recht die Verwirklichung dessen, was im 20. Jahrhundert als Totalitarismus in Erscheinung treten sollte und im wesentlichen aus der klassischen Sozialdemokratie hervorging. Deshalb erschien auch den Linksliberalen, deren Zusammengehen mit der Sozialdemokratie politische Voraussetzung einer Parlamentarisierung des Kaiserreichs hätte sein müssen, das aktive Betreiben einer Demokratisierung des Reichs verständlicher Weise zu riskant, da dies zu einer sozialdemokratischen Regierung hätte führen können, von der man befürchten mußte, daß sie auf gesamtdeutscher Ebene verwirklichen würde, was sich unter spezifischen historischen Umständen später als „Deutsche Demokratische Republik“ etablieren sollte.
Das Wesen der totalitären Demokratie besteht vor allem in der Propagierung einer Gleichheitskonzeption, welche Grundrechte überflüssig erscheinen läßt, weil diese von der Vereinzelung zeugen, die es durch umfassende Vergemeinschaftung zu überwinden gelte. Zurückgehend auf die radikale Richtung der Französischen Revolution, auf die sich Friedrich Engels ausdrücklich als Ausgangspunkt seiner Demokratiekonzeption bezogen hat, begrüßten die Anhänger der totalitären Demokratie etwa die Meinungsfreiheit, weil diese im ancien regime den Kampf gegen die ungerechte Machtausübung des Königs ermöglicht habe, aber mit der „Herrschaft des Volkes“ hätten Grundrechte eine ganz andere Bedeutung, sie könnten eigentlich erst wieder zugelassen werden, wenn es zur Demokratie keine Opposition mehr gäbe und damit Menschenrechte eigentlich nicht mehr benötigt würden, da ohnehin alle einer (demokratischen) Meinung sind.
Damit sich überhaupt erst ein freier Wille des Volkes entwickeln könne, müßten zunächst revolutionär die kapitalistischen Verhältnisse überwunden werden und zwar durch eine Vorhut (Avantgarde) von Leuten, die entsprechend der wissenschaftlichen Analyse wüßten, was die Menschen wollen würden, wären freie Verhältnisse vorhanden. Bis dieser Zustand erreicht wäre, bedürfe es der Übergangsphase einer Diktatur des Proletariats (Marx) oder einer Diktatur der Einsicht (Lassalle), die dann zur Abschaffung des Staates und damit zur Freiheit führt. Die Etablierung der von der Französischen Revolution ausgehenden totalitären Strömung in Deutschland manifestiert sich in dem Beschluß des Parteitags der (noch) Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD) von 1890 zu Halle, mit dem Karl Marx laut Parteitagsprotokoll als „unser großer Führer“ angesprochen wurde. Dagegen hat sich dann eine selbst für BRD-Verhältnisse positiver „Revisionismus“ entwickelt. Dieser mag sogar um 1900 eine faktische Mehrheit erlangt haben – zumindest kann man die SPD-Politik der Weimarer Republik und wohl schon in der Endphase des Kaiserreichs (wenigstens nachträglich) so interpretieren. Es muß aber darauf hingewiesen werden, daß dieser Revisionismus aber von der Partei grundsätzlich und wiederholt formal abgelehnt worden ist, am schärfsten noch auf dem Dresdner Parteitag von 1903 und dies mit einer Mehrheit von 288:11 Stimmen! Man stelle sich nur vor, wie der bundesdeutsche „Verfassungsschutz“ (außerhalb der Sozialdemokratie natürlich) eine derartige Situation „bewerten“ würde! Nach Verwirklichung der Republik nach dem 1. Weltkrieg bestand innerhalb der kontinentaleuropäischen Sozialdemokratie sehr wohl die Option, den Sozialismus gegebenenfalls, wenn sich dies als „Verteidigung der Republik gegen die bürgerliche Reaktion“ verkaufen ließe, doch auch diktatorisch umzusetzen. Am deutlichsten war dies im Linzer Programm der SPÖ, genauer: der Sozialdemokratische Arbeiterpartei Deutschösterreichs (SDAP), formuliert, wo explizit davon die Rede war, daß sich „die Arbeiterklasse gezwungen“ sehen könnte, „den Widerstand der Bourgeoisie mit den Mitteln der Diktatur zu brechen.“ Diese Aussage in einem sozialdemokratischen Parteiprogramm ist deshalb bemerkenswert, weil man es ansonsten vermied, den Begriff „Diktatur“ offiziell aufzunehmen; vielmehr gehörte die Konzeption „Diktatur des Proletariats“ als Bestandteil der marxistischen Doktrin eher zu den – im Sinne des bundesdeutschen „Verfassungsschutzes“ gesprochen – „geheimen“ Programmzusätzen.
Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um etwa die erste Hälfte des 3. Kapitels mit der Überschrift (National-)Sozialismus als totalitäre Demokratie des Werkes des Verfassers:
Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, 2008 Lichtschlag Medien und Werbung KG
Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es ist teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt).
Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur Online-Stellung auf dieser Internetseite. Das Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wiedererschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 € erhältlich (Bei Amazon bestellen).