Parteiverbotskritik Teil 7

Parteiverbotskritik Teil 7: Parteiverbot als Bewältigungsaufgabe. Die Deutschen als demokratieuntaugliches Volk

Josef Schülburner

(14.02.2023) „Sehr viele etablierte Politiker begegnen mittlerweile den eigenen Bürgern mit einem tiefen Misstrauen, das zuweilen an Paranoia grenzt. Sie leben in der ständigen Furcht, dass eine nicht ganz kleine Minderheit sich gegen sie auflehnt, zu außerparlamentarischem Protest Zuflucht nimmt und die Regierungspolitik in dieser oder jener Form sabotiert, wie es sich während der Corona-Krise in der Tat andeutete. Der Verfassungsschutz hat sich auch schon auf diese Fährte begeben und eine Tendenz entwickelt, bereits harte polemische Kritik an der jeweiligen Regierungspolitik als „Delegitimierung“ des gesamten Staates zu sehen, die entsprechend eingedämmt werden müsse. Im Hintergrund zeichnet sich das Konzept einer gelenkten Demokratie ab, dem die jetzige Regierung sicher viel abgewinnen kann, wie schon ihr neues Demokratieförderungsgesetz demonstriert,“ so die erhellenden Ausführungen bei „Tichys Einblicke“ (Nachweis im Text). Dazu kommt, daß die Parteiverbotselite, etwas vertreten durch den ehemaligen Linksextremisten und nunmehrigen Ministerpräsident Kretschmann, nicht davon Abstand nehmen kann, gegenüber einer wirklichen Oppositionspartei mit der Anwendung des Diktaturinstruments Parteiverbot zu drohen, das – sicherlich zur Förderung der Demokratie – als Parteiverbotsersatzregime gegen Mehrparteiensystem und Meinungspluralismus gegen die Deutschen permanent praktiziert wird.

Dieses Mißtrauen gegenüber den Deutschen ist allerdings im Grundgesetz und seinen Entstehungsbedingungen angelegt und trägt eine extremistische Parteiverbotskonzeption mit Zügen einer gelenkten Demokratie, die Auswirkungen auf das permanent praktizierte Parteiverbotsersatzregime (Einsatz des Inlandsgeheimdienstes gegen politische Opposition) hat. Die wesentliche Rechtfertigung dieses extremistischen bundesdeutschen Parteiverbotssonderwegs im Rahmen westlicher Demokratien besteht in „bitteren historischen Erfahrungen“, nämlich daß in Deutschland die parlamentarische Demokratie der Weimarer Republik mit den formalen Mitteln der Demokratie, also gewissermaßen demokratisch abgeschafft worden sei („Selbstmord der Demokratie“).

Als Träger dieser „historischen Erfahrung“ definiert sich die seit Besatzungszeiten etablierte bundesdeutsche Parteiverbotselite, da man dem Volk, d.h. den Deutschen als solchen, nicht zutraut, aus der historischen Erfahrung – ebenfalls – richtige Konsequenzen zu ziehen. Deshalb schützt das bundesdeutsche Verbotssystem vor der angeblich (nur ideologisch begründbaren) „verfassungsfeindlichen“ AfD, es hat jedoch keine verbotsrechtlichen Vorkehrungen gegen verfassungswidrig handelnde Parteien wie CDU oder SPD. Würde man dem Volk, also den Deutschen, zugestehen, dieselben Erkenntnisse aus den „bitteren Erfahrungen“ zu ziehen wie sich dies die Parteiverbotselite selbst zugute hält, wäre die spezifische Parteiverbotskonzeption überflüssig, da die Deutschen aufgrund der historischen Erfahrung der möglichen Konsequenzen einer Demokratieabschaffung gelernt hätten, daß man die Demokratie nicht abwählt, so daß Parteien, die solches wollen würden, nicht gewählt werden und damit bei einer bloßen Ideologiebekämpfung nicht verbotsbedürftig sind. Da den Deutschen, abgesehen von der Verbotselite, diese historisch bedingte Einsicht jedoch abgesprochen wird, definiert das gegen Ideen gerichtete bundesdeutsche Parteiverbotsinstitut und das permanent praktizierte Parteiverbotssurrogat notwendigerweise trotz Menschenwürdeverpflichtung die Deutschen als letztlich doch demokratieuntaugliches Bewältigungsobjekt, das durch Parteiverbote und Verbotsdrohungen (wie amtliche VS-Propaganda), also durch das Parteiverbotssurrogat, zur richtigen Wahlentscheidung angehalten werden muß.  

Gegenüber dieser bewältigungsideologischen Dämonisierung der Deutschen durch die Prämissen der auf das „Jakobinische Dilemma“ von Demokratie (durch Wählermehrheit herbeigeführte Demokratieabschaffung) ausgerichteten bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption ist darauf hinzuweisen, daß sich der bewältigungsbedürftige Untergang der Weimarer Republik in die generelle zeitgenössische Entwicklung von Demokratieuntergängen einordnet, wenngleich die Entwicklung in Deutschland aufgrund des verlorenen Weltkriegs, der enttäuschten Demokratiehoffnungen als Folge des Versailler Diktatfriedens im Rahmen der ungelösten Werteproblematik („Legalität der Revolution“ von 1918) sicherlich einige besondere Akzentuierungen aufweist. Es ist aber nicht zu verkennen, daß in einer revolutionären Situation, wie schon das große Vorbild der Französischen Revolution zeigt, so etwas wie eine „Volksdemokratie“ oder „völkische Demokratie“ große Verwirklichungschancen hat, weil sich vor wirklicher Etablierung einer parlamentarischen Demokratie ideologisch das Konzept einer „totalitären Demokratie“ als plausibler erweist als die Argumente für den Parlamentarismus, die letztlich auf eine Argumentation für eine inhaltliche Beschränkung des revolutionär propagierten Demokratieprinzips hinauslaufen. Die größte strukturelle Ähnlichkeit mit dem Deutschland der Zwischenkriegszeit, das in das „Dritte Reich“ münden sollte, besteht mit dem Entstehen des sozialistischen Befreiungsnationalismus der später so genannten „Dritte Welt“, der ebenfalls in der Regel zum Untergang der parlamentarischen Demokratie führen sollte. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob eine (häufig auftretende?) Demokratieabschaffung aufgrund freien Wahlrechts wirklich bewältigungsbedürftiger ist als eine durch Staatsstreich oder durch einen Bürgerkrieg etablierter Kräfte erfolgte Demokratieaufhebung.

Der Beispielsfall der zeitgenössischen Demokratieabschaffung in der Republik Österreich durch eine christlichsoziale Diktatur, die nicht zuletzt aufgrund plausibel unterstellter sozialdemokratischer Revolutions- und Bürgerkriegsbereitschaft gerechtfertigt schien, läßt überzeugend vermuten, daß im Deutschen Reich die Demokratieabschaffung wohl ähnlich wie im zeitgenössischen Österreich verlaufen wäre, wenn sich Kommunismus und Nationalsozialismus nicht (in dem Ausmaß) als selbständige Formationen gebildet hätten und sich dann das revolutionäre Potential vor allem innerhalb der Sozialdemokratie, dem Ausgangspunkt der konkurrierenden extremistischen Sozialismen, entfaltet hätte: Wenn die bundesdeutsche Parteiverbotselite bewältigungspolitisch schon von der Demokratieuntauglichkeit der Deutschen ausgehen muß (von Peter Glotz als „Hindenburg-Syndrom“ gekennzeichnet), muß doch konsequenter Weise angenommen werden, daß sich die deutsche „Demokratiefeindlichkeit“ ohne NSDAP und KPD (die in Österreich tatsächlich durch Diktaturmaßnahmen verboten waren) dann doch auch durchgesetzt hätte. Oder soll man wirklich vermuten, daß die aufgrund der Werteproblematik von der „Versailler Demokratie“ enttäuschten Deutschen bei einem massiven Verbot von NSDAP und KPD entsprechend der Parteiverbotskonzeption nach dem Grundgesetz im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts sich dann mit der Wahl einer „Godesberger SPD“ begnügt hätten? Um dies im zeitgeschichtlichen Kontext zu erreichen, hätten mit dem Verbot von KPD und NSDAP weitere Maßnahmen verbunden werden müssen wie die Verwandlung der nicht verbotenen Parteien in Blockparteien, denen staatlich die Agenda vorgeschrieben wird (damit der Mitgliederwandel nicht dazu führt, aus einer „gemäßigten“ eine „extremistische“ Partei zu machen), d.h. eine Diktatur hätte sich dann – andersherum – ebenfalls eingestellt oder einstellen müssen. Die „DDR“ wäre dann als Variante einer wehrhaften, gegen ein demokratieuntaugliches Volk gerichteten Demokratie dann vielleicht schon 1933 sozialdemokratisch verwirklicht worden.

Ist es daher nicht nahe liegend, von einem (gewissermaßen) „österreichischen Schicksal“ der Weimarer Republik auszugehen, die sich dann in Form eines Bürgerkriegs / Staatsstreichs zwischen extremistischer Sozialdemokratie und den radikalisierten bürgerlichen Formationen vollzogen hätte? Bei dieser wohl plausiblen Vermutung hinsichtlich eines alternativen Demokratieuntergangs stellte sich dann aber das bundesdeutsche Parteiverbot als untaugliches Demokratieschutzinstrument dar: Es könnte nämlich den alternativen Demokratieuntergang durch etablierte, sich aber radikalisierend gegenseitig bekämpfende etablierte Parteien wie er sich im zeitgenössischen Österreich vollzogen hat und sich nunmehr in der Bundesrepublik wieder abzeichnet, nicht abwenden! Dem steht schon banal die Verfahrensungleichheit im bundesdeutschen Parteiverbotsverfahren entgegen, die es ausschließt, ein im Lichte dieser historischen Erfahrung unter Umständen erforderliches Verbotsverfahren gegen CSU oder SPD, den – übertragen – Hauptverantwortlichen der Demokratieabschaffung in Österreich der 1930er Jahre, einzuleiten oder gar durchzuführen.

Für die Wahrscheinlichkeit einer extremistischen Sozialdemokratie als Ausgangspunkt für die Annahme eines alternativen Demokratieuntergangs bei Fehlen von KPD und NSDAP spricht neben dem Bezugsfall des Austromarxismus, daß die grundlegenden Konzeptionen der Sozialdemokratie, insbesondere schon ihre wirtschaftspolitischen Vorstellungen, anders als diejenigen der konkurrierenden Parteiformationen, eine Diktatur erforderlich gemacht hätten. Es darf nicht vergessen werden, daß die klassische SPD aufgrund ihrer der „totalitären Demokratie“ verpflichteten Agenda auch bei Anwendung der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption wohl hätte verboten werden können (so zumindest die Einschätzung der KPD-Verbotsentscheidung des Bundesverfassungsgerichts durch Prof. Abendroth). Auch wenn die SPD der Weimarer Republik aufgrund des (wohl als gut einzuschätzenden) „Rechtsrevisionismus“ (Annäherung an den Linksliberalismus) vor den Konsequenzen ihrer theoretisch aufrechterhaltenen marxistischen Lehre zurückgeschreckt ist, hat sie sich jedoch gegenüber den konkurrierenden Sozialismen in die Defensive gebracht, welche nur die Vorstellungen aufgriffen und umzusetzen suchten, von deren Verwirklichung die SPD dann zurückgeschreckt ist. Dies erklärt zum einen ihre Schwäche, als Regierungspartei die erheblichen rechtlichen Möglichkeiten des Demokratieschutzes nach der Weimarer Reichsverfassung konsequent auszuschöpfen. Zum anderen deutet dies darauf hin, daß ohne KPD und NSDAP die SPD wohl ihre radikalen Konzeptionen, ähnlich wie die österreichische Schwesterpartei aufgrund der dann anders gearteten Mitgliederstruktur umzusetzen sich gezwungen gesehen hätte: Mit Konsequenzen, die sich anhand des österreichischen Vergleichsfalls ermessen lassen.

Der Haupteinwand gegen die besondere bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption besteht in ihrem Selbstwiderspruch: Wenn die „bitteren geschichtlichen Erfahrungen“ des Scheiterns der deutschen Demokratie am deutschen Wähler allgemein geteilt wird – was wünschenswert ist – ist die bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption in ihrer bewältigungspolitischen Besonderheit überflüssig. Wird jedoch trotzdem die ideologiepolitisch ausgerichtete Parteiverbotskonzeption des bundesdeutschen Demokratie-Sonderwegs für notwendig erachtet, dann besagt dies, daß dem Volk, also den Deutschen, die Fähigkeit abgesprochen wird, aus der geschichtlichen Erfahrung erwünschte Schlußfolgerungen zu ziehen. Dies führt dann jedoch zur Bildung einer Verbotselite, die dem Volk vorschreiben will, welche Parteien zur Wahl erlaubt sind. Vertreter von Parteien, deren Vorgänger dem Ermächtigungsgesetz zugestimmt haben, in Österreich die Demokratie abgeschafft und schließlich bei der DDR-Diktatur als Staats- und Blockpartei mitgemacht haben, leiten dann Parteiverbote gegen konkurrierende Parteien ein! Eine gelungene Bewältigung der Diktaturerfahrung(en)?   

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