Parteiverbotskritik Teil 6: Nähe zum türkischen Modell – das bundesdeutsche Parteiverbot
im internationalen Vergleich der Verbotssysteme
Josef Schülburner
Die bundesdeutsche Parteiverbotselite beschleicht zunehmend die Besorgnis, daß ein von ihr angestrebtes Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD), falls es entsprechend der bisherigen Parteiverbotskonzeption vom Bundesverfassungsgericht auf Antrag der Verbotspolitiker ausgesprochen werden sollte, als menschenrechtswidrig, d.h. als Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, insbesondere deren Artikel 11 (Vereinigungsfreiheit) erkannt werden könnte:
NPD Verbot würde in Strassburg scheitern
In der Tat macht der internationale Vergleich der Parteiverbotssysteme im Rahmen demokratischer Staaten, insbesondere des Europarats, den Demokratie-Sonderweg Bundesrepublik mehr als deutlich: Während in den liberalen Demokratien des Westens ein Parteiverbot durch Ziehen einer sog. „Gewaltgrenze“ der völlig berechtigten Abwehr politisch motivierter Gewalt (Abwehr von Terrorismus und Umstutzgefahr) dient, ist die bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption im bisherigen Verständnis des Bundesverfassungsgerichts auf den Schutz demokratischer Werte ausgerichtet, zieht also eine letztlich nur ideologie-politisch bestimmbare sog. „Wertegrenze“. Mit anderen Worten: Die bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption unterdrückt in der Tendenz politische Auffassungen und beeinträchtigt den politischen Pluralismus und das Mehrparteienprinzip, die Verbotskonzeption der „liberalen Demokratien des Westens“ (Bundesverfassungsgericht) schützt dagegen gerade politische Meinungsfreiheit und weltanschaulichen Pluralismus.
Am ähnlichsten ist die bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption dem türkischen Modell, das dabei ohnehin eine radikalisierte Rezeption der bundesdeutschen Konzeption darstellt: Das der Verwestlichung und Demokratie verpflichtete türkische Militär hat neben der Putschbereitschaft das Mittel des Parteiverbots zum Zwecke der Demokratisierung und Verwestlichung eingesetzt. Die Parteiverbotskonzeption der Türkischen Republik ist für das Schicksal der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption deshalb von zentraler Bedeutung, da die Entscheidungspraxis des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs im Hinblick auf Parteiverbote sich vor allem auf die türkische Verbotspraxis bezieht.
Legt man die Maßstäbe, die sich aus der Entscheidungspraxis des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zu Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Vereinigungsfreiheit) anhand der massiven türkischen Verbotspraxis ergeben, auf das von der bundesdeutschen Parteiverbotselite geplante NPD-Verbot an, dann spricht doch einiges dafür, daß ein derartiges Parteiverbot, sollte es vom Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage der bisherigen radikalen bundesdeutschen Verbotskonzeption ausgesprochen werden, aller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund der Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention des Europarats als menschenrechtswidrig erkannt werden wird.
Die Erkenntnis der Menschenrechtswidrigkeit der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption kann nur dadurch vermieden werden, daß sich das Bundesverfassungsgericht die in der vorliegenden P a r t e i v e r b o t s k r i t i k dargelegten Gesichtspunkte zu eigen macht: Sofern das Grundgesetz überhaupt ein Parteiverbot kennt, ist das Schutzgut „freiheitliche demokratische Grundordnung“ mit der „verfassungsmäßigen Ordnung“ nach § 81 StGB gleichzusetzen und stellt damit etwas dar, das nur durch politisch motivierte Kriminalität oder durch polizeirechtlich relevante Vorbereitungshandlungen hierzu beeinträchtigt werden kann. Auch das Grundgesetz würde dann gegen eine derartige Gefahr legitimer Weise eine rechtsstaatlich bestimmbare „Gewaltgrenze“ ziehen. Dem Verbotszweck und Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen entsprechend ist dann aber das Parteiverbot bis zum Ende des befürchteten Notstands zu befristen. Das Parteiverbot kann keinen automatischen Verlust freier Parlamentsmandate bedeuten. Ein Parteiverbot kann sich außerdem nicht gegen Meinungsfreiheit und politischen Pluralismus richten, sondern hat diese Rechtsgüter (oberste Verfassungsgrundwerte) vielmehr zu schützen. Dazu ist Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes so auszulegen wie dies in § 78 der Verfassung des Königreichs Dänemark ausdrücklich formuliert ist: „Vereine, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“
Die eigentliche Frage der bundesdeutschen Parteiverbotsdiskussion ist daher: Schafft die Bundesrepublik Deutschland endlich den Weg zur westlichen Demokratie?