Verfassungsdiskussion Teil 8

Beiträge zur Verfassungsdiskussion8. Teil: Eine rechte und liberale Verfassungsoption: Eine demokratisch-republikanische Version der Bismarckschen Reichsverfassung

Josef Schüßlburner

(19.03.2021) „Z.B ist das Parteienrecht des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates (gemeint: der Bundesrepublik Deutschland entsprechend dem Grundgesetz, Anm.) unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Freiheit betrachtet, schlechter als dasjenige der Sozialistengesetze im Bismarckreich … Dem monarchisch-autoritär verfaßten Bismarckreich ist es demgegenüber nicht in dem Sinn gekommen, wegen der Unvereinbarkeit politischer Zielsetzungen der Sozialdemokratischen Partei mit seiner eigenen Wertgrundlage über das Verbot der Parteivereine, ihrer Versammlungen und Druckerzeugnisse hinaus auch die Freiheit der Stimmabgabe für sozialdemokratische Kandidaten, ihre Teilnahme an den politischen Wahlen aufzuheben oder gar errungene Reichstagsmandate zu kassieren“ (so der ehemalige Verfassungsrichter Böckenförde; s. dazu im Text).

Schon die zentrale Frage, wie man aus der beschränkten politischen Freiheit eines ideologie-politisch konzipierten Parteiverbots nach dem Grundgesetz für die BRD (im Verständnis des Verfassungsgerichts), welches als permanentes Verbotssurrogat durch „Verfassungsschutz“ zentrale Grundprinzipien wie Parteien- und Meinungspluralismus unaufhörlich gefährdet, endlich einmal herauskommt, bietet als verfassungspolitische Option eine republikanische Rezeption dieses vor 150 Jahren begründeten Verfassungswerkes an. Im Ergebnis würde dies auf eine Rezeption der vom zentralen Ansatz her kongenialen US-amerikanischen Verfassung hinauslaufen – was als politische Forderung dann wohl nicht „verfassungsfeindlich“ sein kann (zumal sich die Frage stellt, weshalb die USA kein Grundgesetz für die Vereinigten Staaten von Amerika haben). Dieses Verfassungswerk sichert durch eindeutiger checks and balances die politische Freiheit und macht kompensatorische Parteiverbote mit weitreichender Verbotsvorwirkung (Verbotsersatzregime) eigentlich überflüssig.

Für diese Verfassungsoption sprechen in einer umfassenderen Weise folgende Gesichtspunkte: Für den wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik Deutschland sind noch immer die grundlegenden Entscheidungen zur Rechts- und Wirtschaftordnung maßgebend, die zur Zeit der sog. Bismarckschen Reichsverfassung unter der politisch-ideologischen Hegemonie der politischen Rechten (Nationalliberale und Konservative) getroffen wurden. Da diese Reichsverfassung als die legitimste Verfassung der jüngeren deutschen Geschichte angesehen werden kann (s. dazu im Text), ist sie noch in einer Weise mentalitätsprägend, daß ein Politologe von einem „latenten Verfassungskonflikt“ zwischen der bundesdeutschen Verfassung und den immer noch von der Verfassung von 1867 / 1871 geprägten Erwartungen der Deutschen an ihr politisches System spricht (s. dazu weiter im Text).

Diese Verfassungsoption gäbe der in der Bundesrepublik Deutschland diskriminierten politischen Rechten die Möglichkeit, ihre politische Wirkung dadurch zu erhöhen, indem sie sich für eine republikanisch-demokratische Version dieser Reichsverfassung als Verfassungsoption ausspricht. Diese Verfassungsordnung würde einen rationellen verfahrenrechtlichen Verfassungsschutz ermöglichen, womit der ideologisch ausgerichtete bundesdeutsche „Verfassungsschutz“ endlich im Interesse der politischen Freiheit und des weltanschaulich-politischen Pluralismus überwunden werden könnte. Die republikanische Version dieser Reichsverfassung würde auch die wirklichen strukturellen Schwächen der durchaus (abgesehen von der Staatsform) nicht so unterschiedlichen Weimarer Reichsverfassung vermeiden helfen, die vor allem in dem durch das Verhältniswahlrecht eingeführten „Parteienstaat“ bestehen, sondern es gäbe dann unabhängigere Parlamentsabgeordnete, die weniger leicht für ein diktatorisches Ermächtigungsgesetz zu gewinnen wären. 

Die dazu notwendige Verfassungsdiskussion ist als permanenter politischer Prozeß zu verstehen, deren Erfolg nicht unbedingt dadurch nachgewiesen wird, daß förmlich eine andere Verfassung verabschiedet wird. Vielmehr kann durch die Geltendmachung maßgeblicher Überlegungen für eine alternative Verfassung auf die Praktizierung und das Verständnis der bestehenden Verfassung eingewirkt werden. Andere politische Kräfte werden dann nämlich bei einer nachweisbaren Unterstützung für eine derartige Verfassungsalternative im Wahlvolk versuchen, den Anliegen, mit denen die Verfassungsalternative begründet wird, im Rahmen der bestehenden Verfassung Rechnung zu tragen, wie etwa die Unabhängigkeit des Parlamentsabgeordneten, die in einem Präsidialregime besser gewährleistet ist, als in der parlamentarischen Demokratie etwa dadurch zu verwirklichen, daß durch Abschaffung der Sperrklausel des Wahlrechts die effektive Gründungsfreiheit für neue Parteien erhöht wird, so daß ein Abgeordneter ein realistisches Drohpotential gegen den Fraktionszwang hat.

Wird nur der politischen Linken erlaubt, alternative Verfassungsoptionen zu entwickeln, dann dürfte sich die Verfassungsrealität unter dem Grundgesetz zunehmend der Situation annähern, die in der „anti-faschistischen“ DDR-Verfassung von 1949 beschrieben ist. Der weltanschaulich-politische Pluralismus kann dann in der Bundesrepublik nur dadurch gesichert werden, wenn diesen auf die demokratische Einheitsmeinung gerichteten linken Bestrebungen nachdrücklich eine die politische Freiheit sichernde rechte Verfassungsoption entgegengehalten wird. Der Kompromiß könnte dann sein, daß das bestehende Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland als Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland wenigstens in der einer normalen westlichen Demokratie entsprechenden Weise, d.h. unter Einschluß der Anerkennung einer Rechtspartei als legitim praktiziert wird.

Hinweis: Wie alle Beiträge zur Verfassungsdiskussion stellt auch der vorliegende Beitrag eine Ergänzung zur jüngsten Broschüre des Verfassers insofern dar als darin dargelegt wird, daß von einer „Alternative für Deutschland“, die diesem hohen Anspruch gerecht werden will, auch eine Verfassungsalternative als politisches Konzept entwickelt werden müßte. Zumal dies im Eigeninteresse des Überlebens als legitimer Rechtsopposition, die den politischen Pluralismus in der Bundesrepublik Deutschland garantiert, erforderlich ist.

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Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

“Verfassungsdiskussion Teil 8”

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