Parteiverbotskritik Teil 1

Parteiverbotskritik Teil 1: „Verbotsdiskussion“ als Herrschaftsinstrument –
Verfahrensungleichheit beim Parteiverbot als verfassungswidrige Vorwirkung des Parteiverbots

Josef Schülburner

Unter Abwandlung eines berühmten Satzes des großen sozialdemokratischen Juristen Gustav Radbruch müßte man von einer „Lebenslüge des bundesdeutschen Parteienstaates“ sprechen, würde man davon ausgehen, daß die beim Parteiverbot antragsberechtigten Organe Bundestag und Bundesrat gerade bei der zentralen Machtfrage eines Parteiverbots, also der Ausschaltung möglicher Konkurrenz nicht durch den freien Wähler / mündigen Bürger, sondern autoritär durch Staatsorgane, nicht parteipolitisch motiviert wären und als völlig neutrale Sachwalter des Allgemeinwohls angesehen werden müßten. Gerade die Konzeption des Parteienstaates gebietet es, das grundlegende Prinzip der Chancengleichheit aller Parteien auf die Antragsberechtigung beim Parteiverbotsverfahren anzuwenden. Der numerus clausus der Antragsberechtigung nach § 43 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (BVerfGG) zur Einleitung eines Parteiverbotsverfahrens stellt unter diesem Gesichtspunkt eine erhebliche Verfahrensungleichheit dar, die einem fairen Verfahren entgegenwirkt. Damit wird nämlich Vorsorge getroffen, daß nur etablierte Parteien über die antragsberechtigten Staatsorgane ein Verbotsverfahren gegen Oppositionsparteien einleiten können, während verfassungsrechtlich schützbedürftige oppositionelle Minderheiten sich dieser Verbotsdiskussion (Verbotsforderung, Vorführung als Verbotskandidat durch Aufführung in „Verfassungsschutzberichten“ und darauf gestützte umfangreiche Maßnahmen weltanschaulicher und politischer Diskriminierung) weitgehend ungeschützt ausgesetzt sehen. Zumindest müssen die individuell Betroffenen (denen etwa die Kaminkehrerlizenz wegen unerwünschten politischen Gedankenguts verweigert wird) sich in kostspieligen Prozessen mühsam zur Wehr setzen, während das Ersatzverbotssystem als solches zu Lasten der Träger und Befürworter dieses Ersatzverbotssystems nie im Zusammenhang zu einem verfassungsprozessualen Streitgegenstand gemacht werden kann.

Die Ungleichheit im Verbotsverfahren ermöglicht vor allem die Vorwirkung eines möglichen Parteiverbots durch eine als „Verbotsdiskussion“ verharmloste Verbotsdrohung. Diese Vorwirkung eines Parteiverbotsverfahrens, das dann gar nicht mehr durchgeführt werden muß, weil sich aufgrund von Verbotsdrohungen, die mit einer Vielzahl von Sanktionen verbunden sind, gar keine neuen Parteien mehr bilden, hat das Bundesverfassungsgericht zumindest im Zusammenhang mit möglichen strafrechtlichen Sanktionen eines Parteiverbots auszuschließen gesucht. Diese den freien Parteienwettbewerb beeinträchtigenden Parteiverbotsvorwirkung wird seit den 1970er Jahren neben zahlreichen Mechanismen der bundesdeutschen „Verfassungsschutz“-Politik, welche die „Verbotskandidaten“ amtlich bereits als „Extremisten“ vorführt, gerade durch das Herrschaftsinstrument der „Verbotsdiskussion“ unterlaufen. Soll der Schutz des Mehrparteienprinzips durch Ausschluß der Verbotsvorwirkung ernst gemeint sein, sind deshalb die Vorschriften des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes über das Parteiverbotsverfahren, insbesondere über die Antragsberechtigung zur Einleitung eines Verbotsverfahrens grundlegend zu ändern oder bei einem nächsten Parteiverbotsverfahren der verfassungsrechtlichen Prüfung zu unterwerfen.

Der vorliegende Beitrag gibt einer einem förmlichen Verbotsverfahren unterworfenen Partei den Ratschlag, die Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung zur Berechtigung, einen Antrag auf Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens nach § 43 BVerfGG zu stellen (numerus clausus der Antragsberechtigten) möglicherweise durch „Widerklage“ im Wege des Organstreitverfahrens, wozu politische Parteien nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts an sich antragsbefugt sind, zur Prüfung zu stellen.

Das Problem der den fairen Parteienwettbewerb beeinträchtigenden Parteiverbotsvorwirkung ist nicht dadurch gelöst, daß auch diesmal die massiven Parteiverbotsforderungen gegen eine bestimmte Partei (gäbe es diese nicht, wäre eine andere Rechts-Partei Kandidat der Verbotsdiskussion) wieder nur zur Verbotsdrohung führen. Die Bedeutung des Mehrparteienprinzips gebietet die Schaffung fairer rechtlicher Voraussetzungen für ein Verbotsverfahren. Vorbild könnte zumindest insoweit das türkische Parteiverbotsverfahren sein, das die Antragsstellung auch von konkurrierenden Parteien bei der Generalstaatsanwaltschaft kanalisiert, wofür spricht, daß ein Parteiverbotsverfahren den Charakter einer Kollektivstrafe aufweist. Wäre dabei die Entscheidung der antragsberechtigten Staatsanwaltschaft, d. h. (übertragen auf deutsche Verhältnisse) der Bundesanwaltschaft, von einem Verbotsantrag abzusehen, einem Klageerzwungungsverfahren der am Verbot interessierten konkurrierenden Partei unterworfen, wäre eine neutrale Ausgestaltung des Verbotsverfahrens gesichert. Als Alternative käme in Betracht, daß jede Partei unmittelbar im Wege der Organklage direkt ein Verbotsverfahren gegen eine konkurrierende Partei beim Verfassungsgericht beantragen könnte – Demokratisierung des Parteiverbotsverfahrens. Diese Demokratisierung des Verbotsverfahrens würde mit ziemlicher Sicherheit dazu führen, daß derartige Verbotsforderungen dann nur noch auf rechtsstaatlich nachvollziehbare Gründe gestützt werden und damit eine Abkehr vom dem die bundesdeutsche politische Kultur prägenden demokratischen Schadenszauber (Kampf gegen „Gedankengut“) eines ideologie-politischen Notstandes stattfindet, der unterstellt, „Gedankengut“ könnte die Verfassung „verletzen“.

Erst wenn (um konkret zu werden) die NPD die Möglichkeit hat, einen Verbotsantrag etwa gegen die SPD stellen zu können, um damit eine realistische „Verbotsdiskussion“ zu beginnen, ist die Verfahrensgerechtigkeit des Verbotsverfahrens im bundesdeutschen „Parteienstaat“ gewährleistet. Falls dann die NPD der SPD nichts rechtsstaatlich Relevantes vorwerfen kann, hätte die SPD bei einem derartigen, gegen sie gerichteten Verbotsantrag nichts zu befürchten – dies muß dann allerdings nach dem für den Rechtsstaat grundlegenden Reziprozitätsprinzip auch umgekehrt gelten.

Der vorliegende Beitrag stellt den 1. Teil einer Serie zur Kritik an der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption dar.

Die hier vorgeschlagene Demokratisierung des Parteiverbotsverfahrens zur Herstellung der rechtsstaatlichen Verfahrensgerechtigkeit und dabei zur Wahrung des Verfassungsprinzip der Chancengleichheit aller Parteien auch im Verbotsverfahren hat den Zweck, auf eine Normalisierung der bundesdeutschen Demokratie hinzuwirken, die durch den friedlichen Links-Rechts-Antagonismus gekennzeichnet sein müßte. Dieser ist nur bei strikter formaler Wettbewerbsgleichheit der parteipolitischen Richtungen ohne verfassungsrechtliche oder zumindest verfassungsideologische Privilegierung einer bestimmten Richtung, die sich als Mitte bezeichnen mag, zu verwirklichen.

Josef Schüßlburner
Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte
2010, Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe), 8,50 Euro
ISBN: 978-3-935063-94-4, erhältlich auch hier

Zur Herstellung der demokratischen Wettbewerbsgleichheit der Parteien zählt wesentlich die Verfahrensgleichheit bei einem Parteiverbotsverfahren. Nur durch diese Gleichheit bei Ausschluß einer nur einseitig wirkenden Verbotsdrohung, die als „Verbotsdiskussion“ verharmlost wird, kann die freie Wahl des Bürgers gesichert werden.

“Parteiverbotskritik Teil 1”

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