Parteiverbotskritik Teil 2: Freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Parteiverbots: Die dringende Revisionsbedürftigkeit der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption
Josef Schüßlburner
Das möglicherweise bevorstehende neue Parteiverbotsverfahren nötigt dazu, grundlegende verfassungsrechtliche und demokratietheoretische Fragen aufzuwerfen, von deren Klärung abhängt, ob die Bundesrepublik Deutschland endlich eine normale westliche Demokratie wird oder weiterhin einen linksgerichteten Demokratiesonderweg beschreitet, der zunehmend zu einer „defekten Demokratie“ im Sinne der Demokratiemessung führt; dieser Demokratieform ist nämlich durch massive Diskriminierung der politischen Rechten (man ist fast versucht, das Wort „Unterdrückung“ zu verwenden) der repräsentative Charakter abhanden gekommen (wie ein Vergleich mit Österreich oder der Schweiz zeigt). Die Gefahr der Entwicklung zu einer defekten Demokratie führt zur Forderung nach Revision der bislang praktizierten bundesdeutschen Parteiverbotskonstruktion.
Klärungsbedürftig ist vor allem die zentrale Frage:
Gibt es im Grundgesetz überhaupt ein Parteiverbot?
Diese Frage kann durchaus mit Nein beantwortet werden!
Artikel 21 Absatz 2 GG kennt nämlich nur die Verfassungswidrigkeitserklärung einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht. Demgegenüber spricht Artikel 9 Abs. 2 GG davon, daß bestimmte Vereine „verboten“ sind. Von einem dem Vereinsverbot gleichen Parteiverbot ist erst im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) die Rede, d.h. in einer bloßen Gesetzesvorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit als Vorfrage eines Parteiverbots endlich einmal rechtsverbindlich zu klären ist.
Es ist durchaus denkbar, daß nach Artikel 21 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht nur ein bloßes Feststellungsurteil erlaubt ist, dessen „Vollstreckung“ dem mündigen Bürger überlassen bleibt, indem er bei seiner Wahlentscheidung die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts in Erwägung zieht. Damit hätte das Bundesverfassungsgericht lediglich die Kompetenz, die sich in der Zwischenzeit die Inlandsgeheimdienste durch Erklärungen zum „Verfassungsfeind“ durch sogenannte „Verfassungsschutzberichte“ angemaßt haben: Im Unterschied dazu würde aber eine Verfassungswidrigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens mit Beweisaufnahme und der Gewährung des Anhörungsrechts (Gewährleistung des rechtlichen Gehörs) von Betroffenen darstellen und wäre damit bei Gewährleistung rechtsstaatlicher Anforderungen erzielt, die im Bereich von „Verfassungsschutzberichten“ bislang nicht existieren!
Wäre die verfassungsgerichtliche Verfassungswidrigkeitsfeststellung letztlich vom freien Wähler zu „vollstrecken“, dann wäre in der Bundesrepublik Deutschland insoweit der Freiheitsgrad des Deutschen Kaiserreichs verwirklicht, wo zwar eine Partei entsprechend einer Regelung wie Artikel 9 GG verboten werden konnte (vgl. Art. 30 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850: „Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden“); dies hat allerdings die Wahlfreiheit des Volks nicht beeinträchtigt, da sog. „Wahlvereine“ nicht nach dem „Sozialistengesetz“ aufgelöst werden konnten, sonst hätte die SPD während der Geltung der Sozialistengesetze nicht zur relativ stärksten Partei aufsteigen können.
Was ist freiheitliche demokratische Grundordnung?
Von zentraler Bedeutung ist jedoch hinsichtlich der Verbotsvoraussetzungen (falls das Grundgesetz wirklich ein Parteiverbot erlauben sollte) die Klärung des Schutzgutes eines derartigen Verbots, nämlich die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Die Frage nach dem Schutzgut des (möglichen) Parteiverbots ist aber sowohl für Voraussetzung als auch für die Rechtsfolgen des Verbots von zentraler Bedeutung: Immerwährendes Ideenverbot oder doch nur ein befristetes Organisationsverbot? Bei Beschränkung der Verbotswirkung auf ein zeitlich befristetes Organisationsverbot würde in der Bundesrepublik Deutschland endlich das Ausmaß an politischer Freiheit verwirklicht werden, wie dies in Deutschland unter der Weimarer Reichsverfassung bestanden hat.
Zur Begriffsdefinition und damit zur Beschreibung der Verbotsvoraussetzungen, aber auch der Verbotsfolgen werden folgende Thesen aufgestellt:
- Freiheitliche demokratische Grundordnung ist als identisch mit der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der strafrechtlichen Hochverratsbestimmung (und der entsprechend zu verstehenden Vereinsverbotsvorschrift) zu erkennen;
- dementsprechend kann ein Parteiverbot nur ausgesprochen werden bei Vorliegen einer als Partei organisierten Umsturzbewegung;
- das Parteiverbot ist zeitlich zu befristen bis zum Ende der Umsturzgefahr.
Diese Thesen werden durch eine Kritik an der bisherigen Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Prinzipienkatalog durch Bundesverfassungsgericht erörtert – was selbstverständlich keine Zurückweisung dieser Prinzipien darstellt, sondern nur bestreitet, daß die verbale Verletzung dieser Prinzipien, selbst bei „aggressiv-kämpferischer Haltung“ (ein inoperabler Begriff), Voraussetzung eines Parteiverbots sein kann.
Die Darlegung des alternativen Verständnisses der Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines (vielleicht zulässigen) Parteiverbots hat an der Frage anzusetzen, wie das Bundesverfassungsgericht überhaupt zu seiner Definition des Begriffs freiheitliche demokratische Grundordnung als Prinzipienkatalog gekommen ist.
Dafür gibt es folgende Gründe:
a) Das Bundesverfassungsgericht hat sich äußerst fahrlässig über die klassischen juristischen Auslegungsregeln hinweggesetzt!
b) Das Bundesverfassungsgericht hat entgegen Artikel 79 Abs. 1 GG (Grundgesetzänderung nur durch ausdrückliches Änderungsgesetz) anstatt der Sicherstellung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze die Methodik der Gesetzmäßigkeit der Verfassung praktiziert, d.h. das Grundgesetz dem neuen politischen Strafrecht von 1951 angepaßt!
c) Der Prinzipienkatalog des Bundesverfassungsgerichts paßt nicht wirklich zum „Verfassungskern“ („Ewigkeitsgarantie“) von Artikel 79 Abs. 3 GG!
d) Die Parteiverbotskonzeption des Bundesverfassungsgerichts verkennt den Diktaturcharakter eines Parteiverbots mit der Folge, daß die Formulierung des Schutzgutes als Prinzipienkatalog zu einer demokratiewidrigen Perpetuierung eines (ideologischen) Notstands führt, der im Wege eines Ersatzverbotssystems zu einer defekten Demokratie führt / geführt hat.
Das alternative Verständnis von freiheitlicher demokratischer Grundordnung als verfassungsmäßige Ordnung im Sinne der klassischen Hochverratsbestimmung führte aller Wahrscheinlichkeit nach zum Scheitern des wohl geplanten abermaligen Verbotsverfahrens gegen die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD).