Parteiverbotskritik Teil 2: Freiheitliche demokratische Grundordnung als Schutzgut des Parteiverbots: Die dringende Revisionsbedürftigkeit der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption
Josef Schüßlburner
(Stand: 31.12.2024) Wie im vorausgehenden 1. Teil dieser Serie zur Parteiverbotskritik dargestellt, würde die demokratietheoretisch erforderliche Herstellung der Verfahrensgleichheit im Parteiverbotsverfahren (d.h. auch die AfD könnte einen Verbotsantrag gegen die Wanderwitz-CDU stellen und nicht nur dieser erlauben, bei Okkupation des Verfassungsorgans Bundestag gegen die als Minderheit verfassungsrechtlich besonders schutzbedürftige Oppositionspartei die Abschaffung des Mehrparteienprinzips herbeizuführen), auch Auswirkungen auf das materiell-rechtliche Verständnis von Voraussetzung und Rechtsfolgen eines Parteiverbots zeitigen: Es könnte endlich in diesem Punkt in der BRD das Freiheitsniveau des Deutschen Kaiserreichs erreicht werden, wo ein Parteiverbots nur zeitlich befristet möglich war (also Notstandscharakter hatte) und dabei kein an das gesamte Wahlvolk gerichtetes Wahlverbot begründet hat (die SPD konnte auch zur Verbotszeit vom freien Wähler gewählt werden).
Umgekehrt hätte natürlich erst recht eine materiell-rechtliche Änderung der Parteiverbotsvoraussetzungen etwa im Sinne der einschlägigen Verfassungsvorschrift des freien Königreichs Dänemark nördlich der nur freiheitlichen BRD, Auswirkungen auf die sog. „Verbotsdiskussion“, wesentliches Instrument zur Einschüchterung politischer Opposition in der BRD. Würde der als Parteiverbotsvorschrift verstandene Artikel 21 Abs. 2 des Grundgesetzes so verstanden werden können wie dies mit § 78 Abs. 2 der dänischen Verfassung entsprechend den Normalstandards einer liberalen Demokratie des Westens formuliert ist, würde sich eine Wanderwitzige Verbotsdiskussion gegen die Oppositionspartei AfD von vornherein als verfassungsfeindlich verbieten. Die dänische Vereinsverbotsvorschrift lautet:
„Vereine (unter Einschluß von politischen Parteien, Anm.), die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“
In diesem 2. Teil der Serie zur Parteiverbotskritik wird ausgeführt, daß Artikel 21 Abs. 2 GG in der Tat in einer Weise verstanden werden könnte, daß er weitgehend der angeführten Verfassungsvorschrift des freien Königreichs Dänemark entspricht. Dementsprechend ist die bisherige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Parteiverboten als ziemlich verfehlt zu kennzeichnen: Dies wird im folgenden Beitrag detailliert aufgezeigt, was aufgrund des juristischen Charakters dieser Auseinandersetzung etwas länger ausfallen muß.
Sollte es daher etwas schon aufgrund der volksdemokratischen Initiative des linksextremen Blockparteiflügels der sich zunehmend wieder christlich-sozialistisch darstellenden CDU zu einem neue Parteiverbotsverfahren kommen, wäre dies die Möglichkeit, grundlegende verfassungsrechtliche und demokratietheoretische Fragen aufzuwerfen, von deren Klärung abhängt, ob die Bundesrepublik Deutschland endlich eine normale westliche Demokratie wird oder weiterhin einen linksgerichteten Demokratie-Sonderweg beschreitet, der zunehmend zu einer „defekten Demokratie“ im Sinne der Lehre von der Demokratiemessung führt; dieser Demokratieform ist nämlich durch massive Diskriminierung der politischen Rechten (man ist versucht, das Wort „Unterdrückung“ zu verwenden) der repräsentative Charakter abhandengekommen bzw. wird jetzt durch die AfD doch noch hergestellt, weshalb diese Oppositionspartei nach der Vorstellung polit-christlicher Fanatiker verboten werden soll. Die Gefahr der Entwicklung zu einer defekten Demokratie führt zur Forderung nach einer grundlegenden Revision der bislang praktizierten bundesdeutschen Parteiverbotskonstruktion.
Letztlich wäre die politische Forderung zu stellen, Artikel 21 mit Artikel 9 (Vereinsverbot) des Grundgesetzes in einer Weise zu ändern, daß diese GG-Bestimmungen der dänischen Verfassung entsprechen.
S. dazu: Thesen zur empfohlenen politischen VS-Strategie der AfD
Der Druck einer überzeugenden Verfassungspolitik könnte es allerdings auch dem Bundesverfassungsgericht erleichtern, seine bisherige Parteiverbotskonzeption im Interesse der Verwirklichung einer liberalen Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland aufzugeben und zu einer dieser Demokratie-Konzeption entsprechenden Grundgesetzverständnis zu gelangen.
S. dazu ergänzend: Gesichtspunkte eines gerichtlichen Vorgehens gegen den sog. „Verfassungsschutz“ im Falle der AfD
Der vorliegende Beitrag zeigt auf, daß eine derartige Auslegung des Grundgesetzes schon von Anfang an im Interesse der demokratischen Staatsordnung geboten gewesen wäre: Diese zeichnet sich vor allem durch das Mehrparteienprinzip und die Garantie für die rechtmäßige Ausübung politischer Opposition aus. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist einer „liberalen Demokratie des Westens“ entgegengerichtet!
Verfassungsrechtlich klärungsbedürftig ist vor allem die zentrale Frage:
Gibt es im Grundgesetz überhaupt ein Parteiverbot?
Diese Frage könnte durchaus mit Nein beantwortet werden!
Artikel 21 Abs. 2 GG kennt nämlich nur die Verfassungswidrigkeitserklärung einer Partei durch das Bundesverfassungsgericht. Demgegenüber spricht Artikel 9 Abs. 2 GG davon, daß bestimmte Vereine „verboten“ „sind“. Von einem dem Vereinsverbot gleichen Parteiverbot ist erst im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) die Rede, d.h. in einer bloßen Gesetzesvorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit als Vorfrage eines Parteiverbots endlich einmal rechtsverbindlich zu klären wäre (insbesondere auch hinsichtlich der Beschränkung zur Antragstellung).
Es ist durchaus denkbar, daß nach Artikel 21 Abs. 2 GG dem Bundesverfassungsgericht nur ein bloßes Feststellungsurteil erlaubt ist, dessen „Vollstreckung“ dem mündigen Bürger überlassen bleibt, indem er bei seiner Wahlentscheidung die Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts in Erwägung zieht. Damit hätte das Bundesverfassungsgericht lediglich die Kompetenz, die sich in der Zwischenzeit die Inlandsgeheimdienste durch Erklärungen zum „Verfassungsfeind“ durch sogenannte „Verfassungsschutzberichte“ angemaßt haben: Im Unterschied dazu würde aber eine Verfassungswidrigkeitserklärung durch das Bundesverfassungsgericht Ergebnis eines gerichtlichen Verfahrens mit Beweisaufnahme und der Gewährung des Anhörungsrechts (Gewährleistung des rechtlichen Gehörs) von Betroffenen darstellen und wäre damit bei Gewährleistung rechtsstaatlicher Anforderungen erzielt, die im Bereich von „Verfassungsschutzberichten“ bislang nicht existieren!
Wäre die verfassungsgerichtliche Verfassungswidrigkeitsfeststellung letztlich vom freien Wähler zu „vollstrecken“, dann wäre in der Bundesrepublik Deutschland insoweit der Freiheitsgrad des Deutschen Kaiserreichs verwirklicht, wo zwar eine Partei entsprechend einer Regelung wie Artikel 9 GG verboten werden konnte (vgl. Art. 30 der Preußischen Verfassungsurkunde von 1850: „Politische Vereine können Beschränkungen und vorübergehenden Verboten im Wege der Gesetzgebung unterworfen werden“); dies hat allerdings die Wahlfreiheit des Volks nicht beeinträchtigt, da sog. „Wahlvereine“ nach dem Reichstagswahlgesetz nicht nach dem „Sozialistengesetz“ aufgelöst werden konnten, sonst hätte die SPD während der Geltung der Sozialistengesetze nicht zur relativ stärksten Partei aufsteigen können.
Was ist „freiheitliche demokratische Grundordnung“?
Von zentraler Bedeutung ist jedoch hinsichtlich der Verbotsvoraussetzungen (falls das Grundgesetz wirklich ein Parteiverbot erlauben sollte) die Klärung des Schutzgutes eines derartigen Verbots, nämlich die freiheitliche demokratische Grundordnung.
Die Frage nach dem Schutzgut des (möglichen) Parteiverbots ist aber sowohl für Voraussetzung als auch für die Rechtsfolgen des Verbots von zentraler Bedeutung: Immerwährendes Ideenverbot, also permanenter ideologischer Notstand oder doch nur ein befristetes Organisationsverbot, also ein wirklicher Notstand, der einmal vorbei sein muß?
Bei Beschränkung der Verbotswirkung auf ein zeitlich befristetes Organisationsverbot würde in der Bundesrepublik Deutschland endlich das Ausmaß an politischer Freiheit verwirklicht werden, wie dies in Deutschland unter der Weimarer Reichsverfassung, der freisten Verfassung in Deutschland (was nicht das Grundgesetz ist, schon gar nicht – zumindest bezogen auf Fragen von Vereinigungsverbote und Einschluß von Parteiverboten) im Verständnis des Bundesverfassungsgerichts), bestanden hat.
Zur Begriffsdefinition und damit zur Beschreibung der Verbotsvoraussetzungen, aber auch der Verbotsfolgen werden folgende Thesen aufgestellt:
- Freiheitliche demokratische Grundordnung ist als identisch mit der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne der strafrechtlichen Hochverratsbestimmung (und der entsprechend zu verstehenden Vereinsverbotsvorschrift) zu erkennen;
- dementsprechend kann ein Parteiverbot nur ausgesprochen werden bei Vorliegen einer als Partei organisierten Umsturzbewegung, also bei Vorliegen zumindest einer Drohung mit Gewaltanwendung zur Erreichung politischer Ziele;
- das Parteiverbot ist zeitlich zu befristen bis zum Ende der Umsturzgefahr.
Diese Thesen werden durch eine Kritik an der bisherigen Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Prinzipienkatalog durch Bundesverfassungsgericht erörtert – was selbstverständlich keine Zurückweisung dieser Prinzipien darstellt, sondern nur bestreitet, daß die verbale Verletzung dieser Prinzipien, selbst bei „aggressiv-kämpferischer Haltung“ (ein völlig inoperabler Begriff), Voraussetzung eines Parteiverbots sein kann.
Die Darlegung des alternativen Verständnisses der Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines (vielleicht zulässigen) Parteiverbots hat an der Frage anzusetzen, wie das Bundesverfassungsgericht überhaupt zu seiner letztlich befremdlichen Definition des Begriffs freiheitliche demokratische Grundordnung als Prinzipienkatalog gekommen ist.
Dafür gibt es folgende Gründe:
- Das Bundesverfassungsgericht hat sich äußerst fahrlässig über die klassischen juristischen Auslegungsregeln hinweggesetzt!
- Das Bundesverfassungsgericht hat entgegen Artikel 79 Abs. 1 GG (Grundgesetzänderung nur durch ausdrückliches Änderungsgesetz) anstatt der Sicherstellung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze die Methodik der Gesetzmäßigkeit der Verfassung praktiziert, d.h. das Grundgesetz dem neuen nachkonstitutionellem politischen Strafrecht von 1951 angepaßt!
- Der Prinzipienkatalog des Bundesverfassungsgerichts paßt nicht wirklich zum „Verfassungskern“ („Ewigkeitsgarantie“) von Artikel 79 Abs. 3 GG!
- Die Parteiverbotskonzeption des Bundesverfassungsgerichts verkennt den Diktaturcharakter eines Parteiverbots mit der Folge, daß die Formulierung des Schutzgutes als Prinzipienkatalog zu einer demokratiewidrigen Perpetuierung eines (ideologischen) Notstands führt, der im Wege eines Verbotsersatzsystems zu einer defekten Demokratie führt / geführt hat.
Das alternative Verständnis von freiheitlicher demokratischer Grundordnung als verfassungsmäßige Ordnung im Sinne der klassischen Hochverratsbestimmung würde von vornherein einen Wanderwitzigen Verbotsantrag gegen die Oppositionspartei AfD ausschließen und Mehrparteienprinzip und Meinungspluralismus wären vor einer blockparteilichen christlich-sozialistischen CDU und anderen „(Volks-)Demokraten“ gesichert, die sich befremdlicher Weise sogar als „Liberaldemokraten“ verstehen.