Kritik des Parteiverbotssurrogats Teil 24

Teil 24: „Verfassungsschutz“ – was tun mit einem illiberalen Fremdkörper einer Demokratie?

Josef Schüßlburner

(03.12.2020) Nach Pressemitteilungen, die sich als Regierungsankündigungen darstellen, droht der Hauptoppositionspartei im Deutschen Bundestag, der Alternative für Deutschland (AfD) die Einstufung als „Verdachtsfall“ der „Verfassungsfeindlichkeit“ / des „Rechtsextremismus“ durch die Innenministerkonferenz, die von Mitgliedern von Konkurrenzparteien bestückt ist. Der derzeitige Vorsitzende dieser Konferenz hat gar das Verbot der AfD ins Spiel gebracht. Gleichzeitig laufen schon ganz offen die geheimdienstlichen Bespitzelungsvorgänge gegen die Opposition, da es ja im bundesdeutschen Demokratie-Sonderweg die Kategorie der geheimdienstlich überwachten Partei gibt, welcher nunmehr diese Oppositionspartei im „freiheitlichen“ System – nicht zu verwechseln mit einer freien demokratischen Staatsordnung – zugeführt werden soll.

Ausgang dieser Entwicklung ist das sog. „Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der `Alternative für Deutschland` (AfD) und ihren Teilorganisationen“, das zwar nur für den Dienstgebrauch bestimmt war, aber trotzdem von der bundesdeutschen non-intelligence veröffentlicht worden ist. Schon diesem als grundgesetztheologisch einzustufenden „Gutachten“ konnte man entnehmen, daß das etablierte Parteiensystem die vom deutschen Wähler zur Hauptoppositionspartei im Deutschen Bundestag gemachte konkurrierende Partei als „Prüffall“ und Teile der Partei als „Verdachtsfall“ hinsichtlich des Verdachts der Verfassungsfeindlichkeit einstufen will, um sie in Bürgerbeobachtungsberichten (VS-Berichten) als „rechtsextrem“ vorführen und ihre beamteten Parteimitglieder disziplinarrechtlich verfolgen zu können. Damit soll eine für das Establishment unangenehme Partei dem Parteiverbotssurrgat unterworfen werden. BRD-Demokratie wie sie leibt und lebt!

Zur Begründung der „Verdachtssplitter“ werden als rechtlich zu bewertende „Handlungen“ nur „Aussagen“, „Meinungsäußerungen“, „Ideen“ vorgeworfen, also letztlich Gedankentätigkeit. Vielleicht kann man noch „Verbindungen zu …“ irgendwelchen Organisationen wie Interviews in der geheimdienstlich beobachteten Presse (so etwas gibt es in der freiheitlichen BRD!) als „Handlung“ beschreiben. Letztlich besteht aber auch hier die vorgeworfene „Handlung“ darin, daß Gedankengut übernommen wird, gemeinsame Meinungsbekundungen stattfinden, ein bestimmtes „Narrativ“ gepflegt wird und dergleichen, also letztlich kollektive Gedankentätigkeit praktiziert wird.

Statt rechtlich Verbotenem, allerdings als „verfassungsschutzrechtlich relevant“ eingestuft, werden als „Verdachtssplitter“, die sich manchmal „gewichtig verdichten“ – aber es ist noch nicht alles ganz dicht, sondern es muss noch gedichtet werden (was zwischenzeitlich ja gemacht wurde) – vorgeworfen: kulturdeterministische Geschichtsinterpretation, Abstufung hinsichtlich der Wertigkeit von Kulturen, nicht zielführende Kritik an der parlamentarischen Demokratie, Kritik an der Vergangenheitsbewältigung, insbesondere Kritik am „Schuldkult“, Zweifel an der Souveränität der BRD, Feindkonstruktion bei der Genderproblematik, rechtsextremes Geschichtsbild, völkische Staatsauffassung, Islamfeindlichkeit, da nicht zwischen Islamismus und Islam unterschieden werde und dem Islam die Integrierbarkeit abgesprochen werde und vor allem „Revisionismus“.

Dagegen wird nicht festgestellt: Die AfD hat keine Gastwirte eingeschüchtert, damit keine Veranstaltung etwa der ehemaligen SED oder der Regenmacherpartei durchgeführt werden können, die AfD hat sich nicht dafür ausgesprochen, daß SED- oder CDU-Politikern die Hotelübernachtung verwehrt wird und hat keine Gegendemonstrationen organisiert, die darauf abzielten, konkurrierenden Parteien die Ausübung der Grundrechte Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit abzusprechen. Es lassen sich auch keine antiparlamentarischen Handlungen der AfD-Fraktionen behaupten.  Derartige Handlungen – und nicht nur Ideologie-Konstrukte – werden jedoch von Gegnern der AfD gegen diese Partei praktiziert, ohne daß dies in dem „Gutachten“ erwähnt werden würde – es wird also bewußtes Verschweigen praktiziert, um die Oppositionspartei staatlich besser bekämpfen zu können. Das Gutachten identifiziert sich mit den Ideologieanliegen der konkurrierenden Parteien, es soll die Kritik der Oppositionspartei an der massiven von den konkurrierenden Kräften bis hin zu einer „Herrschaft des Unrechts“ (Innenminister Seehofer) geduldete illegale Masseneinwanderung dadurch konterkariert werden, daß man die Oppositionspartei als „verfassungsfeindlich“ – insbesondere wegen Menschenwürdeverletzungen durch verbale Bekundungen, die nicht einmal den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, mit geheimdienstlichen Verdachtsverdacht („Verdachtssplitter“) staatliche bekämpft.

Dies macht den „Verfassungsschutzschutz“ zum „Prüffall“ des Vorliegens nicht der Verfassungsfeindlichkeit, sondern der Verfassungswidrigkeit: „In Demokratien ist es nicht üblich, Bürgerinnen und Bürger auf eine gesinnungsbezogene Verfassungstreue zu verpflichten und Parteien – obgleich diese sich an die Spielregeln des friedlichen Meinungskampfes halten – als „extremistisch“ abzustempeln und von einem Geheimdienst kontrollieren zu lassen“ (so zu Recht Leggewie / Meier, Nach dem Verfassungsschutz, 2012, S. 10 f.).

Dieser politische Opposition ideologie-politisch bekämpfende „Verfassungsschutz“ kann nur dann nicht als verfassungswidrig bezeichnet werden, wenn man u.a. mit einem gegen rechts sich in Position bringenden SPD-Politiker davon ausgeht, daß das „Grundgesetz der (gemeint: für die, Anm.) Bundesrepublik Deutschland … keine liberale, also wertneutrale Verfassung im amerikanischen Sinne“ darstellt. Und in der Tat: Bei Berichten zur Überwachung der politischen Opposition durch den Inlandsgeheimdienst und einer darauf basierenden, auf staatliche Bekämpfung politischer Opposition ausgerichteter Regierungspropaganda denkt man üblicherweise nicht an „liberale Demokratien des Westens“ – so die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im KPD-Verbotsurteil zur Abgrenzung der bundesdeutschen Parteiverbotsdemokratie von normalen Demokratien -, sondern an Staaten, die von etablierten deutschen Politikern gerne wegen Demokratiedefizite kritisiert werden, wie Türkei, Rußland oder vielleicht auch Ungarn und Polen. In der Tat: „Daß das Prinzip der wehrhaften Demokratie in einem defekt-demokratischem System wie dem Rußlands jedoch selbst zum Feind der Freiheit mutieren kann, darf … nicht unterschlagen werden“ (so Tom Thieme, „Parteipolitischer Extremismus in Rußland“ in der Reihe „Extremismus und Demokratie“, 2007, S.  181).

Im Interesse der liberalen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland muß daher der „Verfassungsschutz“ dringend reformiert werden. Minimallösung ist dabei, den sog. „Verfassungsfeind“ dahingehend zu definieren, daß er den rechtswidrigen Machterwerb anstrebt und deshalb zumindest Gewaltbereitschaft zeigt. In einer umfassenderen Weise ist jedoch die bundesdeutsche Parteiverbotsdemokratie zu überwinden, indem das Grundgesetz und einschlägige Rechtsvorschriften in der Weise geändert werden, daß sie den „Guidelines on Prohibition and Dissolution of Political Parties and Analogous Measures” der sog. Venedig-Kommission der „Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht“ des Europarats von 1999 entsprechen. Dies könnte geschehen, indem bei Anlehnung an § 78 der Verfassung des Königreichs Dänemark der Artikel 21 (2) des Grundgesetzes etwa wie folgt gefaßt wird: „Parteien, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Verfassungsgerichtsurteil aufgelöst.“

Nur dann wird die ideologie-politische Diskriminierungspolitik aufhören, die auf einer weltanschaulichen Homogenitätsvorstellung beruht, welche zu gleichheitswidrigen Hierarchien führt, wonach bestimmte Parteien aus ideologischen Gründen massiv diskriminiert, ja verboten werden können. Dies beeinträchtigt nicht nur die liberale Demokratie durch Praktizieren einer verfassungsschützerischen Ungleichheitsideologie, sondern auch den Rechtsstaat, verstanden als Gegenprinzip zum Ideologiestaat. Außerdem wird die Menschenwürde beeinträchtigt, geht doch der „Verfassungsschutz“ davon aus, daß die Deutschen wohl abstammungsbedingt wieder Nazis wählen würden, sollten sie nicht obrigkeitsstaatlich durch öffentlich in Erscheinung tretenden Inlandsgeheimdienste bei Androhung von massiven Diskriminierungen etwa von Anhängern beobachteter Parteien im öffentlichen Dienst davon abgehalten werden. Eine liberale Demokratie des Westens sieht anders aus! Eine Aufforderung an die AfD, sich im Eigeninteresse für die Verwirklichung der „liberalen Demokratie des Westens“ in der Bundesrepublik Deutschland einzutreten. Die wäre eine wirkliche Alternative für Deutschland!

Hinweis
Der vorliegende Beitrag stellt eine Ergänzung zur jüngst erschienen Broschüre des Verfassers dar:

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

„Verfassungsschutz – was tun mit einem illiberalen Fremdkörper einer Demokratie?”

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