Das Jahr 1991

1991
Jahresrückblick des Bundeskriminalamtes
Das Bundeskriminalamt weist für 1991 166 Brand- und Sprengstoffanschläge des linksextremistischen Lagers aus. Im Vorjahr wurden nur 58 Anschläge verzeichnet.
Hannoversche Allgemeine, 5. 8. 1992

1991
Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora (Frauenorganisation)
Im Jahre 1991 ist mit elf Anschlägen ein deutlicher Anstieg der terroristischen Aktivitäten der RZ zu verzeichnen. Die Frauengruppe tritt nicht in Erscheinung. Die Stadt Berlin ist mit fünf Anschlägen erneut regionaler Schwerpunkt. Ein Thema zu Beginn des Jahres ist der Golfkrieg und die damit zum Ausdruck kommende imperialistische neue Weltordnung. Mit Anschlägen auf die Siegessäule und ein Berliner Kaufhaus soll darauf aufmerksam gemacht werden. Vier Anschläge sind gegen die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten und die damit verbundene wirtschaftliche Entwicklung in den fünf neuen Bundesländern und in Berlin gerichtet. Auch das langjährige Thema der Flüchlings- und Asylproblematik wird 1991 wieder aufgegriffen. Dies wird mit einem Anschlag auf die Staatskanzlei von NRW in Düsseldorf und die Ausländerbehörde in Böblingen zum Ausdruck gebracht. Die militanten Aktionen der RZ stoßen auch in den eigenen Reihen auf Kritik. In einem Artikel in der Zeitschrift INTERIM verurteilen sie zwar die Terrorakte, jedoch plädieren sie für die Beibehaltung militanter Aktionen. Anläßlich der Ermordung eines ehemaligen „Genossen“ durch palästinensische Widerstandskämpfer wegen Verrats betrachten die RZ ihr internationalistisches Engagement kritisch in einem offenen Brief im INTERIM.
Verfassungsschutzbericht 1991

Januar 1991
Bombenanschlag der „Revolutionären Zellen“
Ein Bombenanschlag der „Revolutionären Zellen“ gegen die Düsseldorfer Staatskanzlei scheitert. Das Bekennerschreiben ist mit der Forderung „Bleiberecht für Roma und Sinti“ überschrieben.
JW-Informationsdienst, Nr. XXXII/1-2 – 11. 1. 1991

31. Januar 1991
Urteil gegen den ehemaligen RAF-Terroristen Werner Lotze
Vor dem Staatsschutzsenat des Bayerischen Obersten Landesgerichtes in München wird der Exterrorist Werner Lotze (38), der als RAF-Aussteiger im Juni 1990 in der DDR festgenommen worden war, wegen versuchten und vollendeten Polizistenmordes, dreifachen Mordversuchs und schwerer räuberischer Erpressung zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Im Prozeß hat der Exterrorist u. a. zugegeben, im Februar 1977 mit einem Komplizen den Personenwagen eines politisch mißliebigen Rechtsanwaltes angezündet zu haben; im September 1978 in Dortmund einen Polizeibeamten erschossen zu haben, im März 1979 am Überfall auf die Bank für Gemeinwirtschaft in Darmstadt beteiligt gewesen zu sein, im April 1979 in Nürnberg eine Bank mit ausgeraubt zu haben, im Juni 1979 in Belgien maßgeblich am knapp fehlgeschlagenen Anschlag auf den damaligen NATO-Oberbefehlshaber Alexander Haig mitgewirkt zu haben. Zu den umfassenden Aussagen war Lotze, der in seinem Prozeß auch an die aktiven RAF-Kader appellierte, mit dem Kampf „aufzuhören“, allerdings erst bereit, nachdem er die Vorteile der „Kronzeugenregelung bei terroristischen Straftaten“ erkannt hatte. Die Gesetzesbestimmung stellt geständnisfreudigen Exterroristen erheblichen Strafnachlaß in Aussicht; selbst bei Mord kann der Freiheitsentzug auf drei Jahre begrenzt werden. Die Haftstrafe von zwölf Jahren und somit auch die Art und Weise, wie das Münchner Gericht die Kronzeugenregelung anwandte, wird aber später vom 3. Strafsenat des BGH bestätigt: Eine erhebliche Strafmilderung sei nur dann möglich, wenn die Aussage eines Kronzeugen zur Ergreifung von Tätern führe oder neue Taten verhindere. Lotze hatte im Prozeß zwar auch gegen andere RAF-Mitglieder ausgesagt, sich jedoch hauptsächlich selbst belastet. Nur in einem Punkt hebt der BGH später das Urteil auf: Er sieht einen als versuchten Mord beurteilten Fall nicht als erwiesen an (vgl. Der Spiegel, 44/1991, S. 348).
Der Spiegel, 36/1990, S. 126; 5/1991, S. 94 ff.; 6/1991, S. 99 f.

31. Januar 1991
Brandanschlag auf DVU
Eine gewalttätige „Antifa“-Zelle übt einen Brandanschlag auf eine Münchner Niederlassung der Deutschen Volksunion (DVU) aus. Nach dem Anschlag wird verkündet, es ginge um den Aufbau einer „bewußt und diszipliniert handelnden, organisierten Bewegung“ mit „kontinuierlich arbeitenden Kleingruppen“. Für den „Aufbau einer kämpfenden kommunistischen Bewegung“ und die „Zerschlagung der Nazirotten“ wünsche man ein „erfolgreiches, powervolles und freudiges 1992“.
Rheinischer Merkur, 21. 2. 1992

13. Februar 1991
RAF-Schüsse auf die amerikanische Botschaft
Die RAF bekennt sich zu den Schüssen auf die US-Botschaft in Bonn-Bad Godesberg. 15 Schüsse wurden von der gegenüberliegenden Rheinseite abgefeuert. Verletzt wurde bei dem Anschlag niemand. In dem Bekennerschreiben rechtfertigen die Terroristen ihren Anschlag mit dem „Vernichtungskrieg gegen das irakische Volk.“
Die Polizei räumt ein, daß es sich bei den zwei Männern, die den Anschlag verübt haben, auch um Randfiguren der RAF unterhalb der Kommando-Ebene handeln könne, die keinen Zugang zu schweren Waffen hätten.
JW-Informationsdienst, Nr. XXXII/7-8 – 28. 2. 1991

29. März 1991
Anschlag auf das Berliner Treuhand-Büro
Eine Zelle namens „Thomas Müntzers Wilder Haufen“ verübt einen Brandanschlag auf das Berliner Treuhand-Büro.
Die Welt, Bonn, 15. 6. 1991

1. April 1991
Mordanschlag auf Treuhand-Chef Rohwedder
Der Präsident der Treuhandanstalt Detlev Karsten Rohwedder (58) wird im Düsseldorfer Stadtteil Oberkassel erschossen. Ein Schütze feuert dreimal in das im ersten Stock gelegene Arbeitszimmer von Rohwedders Privatvilla. Der erste Schuß trifft ihn in den Rücken. Rohwedder ist sofort tot. Bei dem Anschlag wird auch seine Frau Hergart (57) verletzt. Zu dem Attentat bekennt sich ein „Kommando Ulrich Wessel“ der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF). Im Bekennerschreiben begründet die RAF ihre Tat mit dem „Kampf gegen die reaktionären großdeutschen Pläne zur Unterwerfung und Ausbeutung der Menschen“: „Gegen den Sprung der imperialistischen Bestie unseren Sprung im Aufbau revolutionärer Gegenmacht!“ Von der Gefährdung Rohwedders ging das Bundeskriminalamt (BKA) schon seit längerem aus. In einer vertraulichen „Gefährdungsanalyse“ des BKA werden 19 Politiker und 13 Topmanager, darunter der Treuhandchef, als besonders bedroht aufgezählt. Wie schon beim Attentat auf Alfred Herrhausen am 30. 11. 1989 versagte aber auch im Fall Rohwedders das „Fahndungskonzept 106“ (s. Der Spiegel, 44/1988, S. 64). Erleichternd kam für die Terroristen hinzu, daß Rohwedder mit der Übernahme seiner Tätigkeit für die Treuhand zwar in die „Sicherheitsstufe 2“ („Terroranschlag möglich“) eingeordnet worden war, an seinem Wohnort in Düsseldorf aber ausdrücklich eine nur lockere Überwachung gewünscht hatte. Bei den Politikern wächst nach dem Attentat der Verdruß über die seit Jahren anhaltende Erfolglosigkeit der Fahnder. Ein vertrauliches Arbeitspapier der Arbeitsgruppe „Terrorismus“ der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sowie der Arbeitsgruppe Kripo der Innenminister sieht die Einbeziehung von Laien (z. B. Nachbarn, Rentner) in Fahndungs- und Vorbeugemaßnahmen vor (vgl. Der Spiegel, 20/1991, S. 33 ff.).
Der Spiegel, 15/1991, S. 18 ff.


25. April bis 3. Juni 1991
Prozeß gegen Susanne Albrecht
Vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart in Stammheim beginnt der Prozeß gegen die RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht (40), die an der Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto im Jahre 1977 beteiligt war. Die Generalbundesanwaltschaft hatte sich mit ihr vor Prozeßbeginn darauf geeinigt, daß sie als Kronzeugin behandelt wird, wenn sie ihr Wissen über die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) preisgibt. Während des Prozesses berichtet Susanne Albrecht Einzelheiten über die Struktur der RAF, sagt umfassend gegen andere RAF-Mitglieder aus und schildert detailliert den Verlauf der Ermordung Jürgen Pontos. Unter anderem sagt sie aus, daß Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt die tödlichen Schüsse auf Ponto abgegeben haben und Peter-Jürgen Boock der Fahrer des Fluchtwagens gewesen sei. Sie selbst habe ihre persönlichen Kontakte zur Familie Ponto genutzt, um die RAF in die Wohnung des Bankiers einzuschleusen, sei jedoch in dem festen Glauben gewesen, daß es sich bei der Aktion um eine unblutige Entführung handle. Trotz ihres umfangreichen Geständnisses wird Susanne Albrecht am 3. 6. zu 12 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Der Stuttgarter Senat begründet das Urteil u. a. damit, daß Susanne Albrecht den Tod Pontos in Kauf genommen habe, daß sie mit einem tödlichen Ausgang des Entführungsversuchs hatte rechnen müssen und sie damit in Wirklichkeit auch gerechnet habe.
Der Spiegel, 28/1990; 18, 22, 24/1991

Ende April 1991
Brandanschläge auf PKWs in Berlin
Zu den Brandanschlägen auf PKWs in Berlin-Mitte und bei der „Daimler-Benz Holzhauser Str.“ bekannte sich die gewaltbereite Berliner Zelle „Boomtown Rats“. In der Erklärung hieß es: „Täglich fliegt der ,Beamtenshuttle‘ von Bonn nach Berlin, und die Treuhandbonzen shutteln vom Alex zur Noch-Zweigstelle in der Leipziger Str. Shutteln wir sie dorthin, wo der Pfeffer wächst! Miethaie zu Fischstäbchen! Treuhand in die Produktion! Nie wieder Regierungssitz Berlin – Berlin bleibt rot!“
Die Welt, Bonn, 15. 6. 1991

1. Mai 1991
Kundgebung linksextremistischer Gruppen in Berlin
Der Kampf gegen Berlin als Hauptstadt zeigte sich auch bei der 1.-Mai-Kundgebung. In einem „Auftaktredebeitrag“ heißt es: „Übrigens, die da oben wollen, daß Berlin wieder Reichshauptstadt wird … Das bedeutet, daß der gesamte Innenstadtbereich zum Hochsicherheitsbereich gemacht werden wird. Wenn ihr da oben das macht, dann versprechen wir euch, dann gibt es jedes Wochenende ein heiteres Abgeordneten-Klatschen in und um Berlin …“ Eine Anfang Mai verbreitete Verlautbarung gewaltbereiter Zellen beinhaltet folgenden Appell: „So wichtig es ist, konkret Mietschweine wie Bollack, Data-Domizil anzugreifen, so wichtig wird es sein, ein allgemeines Klima der Verunsicherung für die da oben zu schaffen. Nicht wie das Kaninchen auf die Schlange zu warten, sondern die Schlange im sicheren Hinterland anzugreifen …“
Die Welt, Bonn, 15. 6. 1991

10. Juli 1991
Durchsuchung der Zelle von Adelheid Schulz
Beamte finden bei der Durchsuchung der Zelle der RAF-Terroristin Adelheid Schulz im Kölner Gefängnis „Klingelpütz“ u. a. eine Skizze, die nach Ansicht von Fachleuten den Lageplan der Anstalt darstellt. Sicherheitsexperten befürchten, daß inhaftierte Terroristen der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF) von Gesinnungsgenossen befreit werden könnten. Am 12. 7. 1991 wird Adelheid Schulz deshalb zusammen mit ihren Mithäftlingen Christa Eckes, Sieglinde Hofmann und Ingrid Jakobsmeier „aus Sicherheitsgründen“ nach Bielefeld-Brackwede verlegt. Die vier Frauen sind bereits vor Wochen in den Verdacht geraten, RAF-Aktionen aus der Zelle heraus zu steuern.
Der Spiegel, 29/1991, S. 16

15. August 1991
Harry Schmitt verhaftet
In Ost-Berlin wird der frühere langjährige Leiter der Militärorganisation (MO) der DKP, Harry Schmitt (MfS-Deckname Ralph Forster), verhaftet, der bis zu seinem Verlassen des Bundesgebietes im Herbst 1987 die vom MfS initiierte und finanzierte DKP-Sabotagetruppe geleitet hatte.
Schlomann, S. 42

15. August 1991
Erklärung des Bundesinnenministers Schäuble zum Verfassungsschutzbericht 1990
Der organisierte Linksextremismus befindet sich in einem tief greifenden Wandel aufgrund des Scheiterns des Realsozialismus in der DDR. 1990 waren 29.500 Menschen Mitglieder in linksextremistischen Kern- und Nebenorganisationen sowie weitere 20.000 Mitglieder in linksextremistisch beeinflußten Gruppen. 1990 verfügt die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) nur noch über ca. 9.000 Mitglieder (1986: ca. 40.000). Die Zahl der von Linksextremisten verübten Gewalttaten ging von 837 (1989) auf 587 (1990) zurück, wogegen die Zahl der Brand- und Sprengstoffanschläge (74) konstant blieb. Der linksextremistische Protest gegen das westliche Engagement im Golf wurde von zahlreichen militanten Aktionen begleitet. Mit mehr als 110 Anschlägen hat sich deren Zahl bis Ende Mai 1991 im Vergleich zum Vorjahr (81) erhöht.
BPA-Bulletin

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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