Teil 37: Verfassungsschutz als Wegbereiter der „totalitären Demokratie“
Josef Schüßlburner
(23.07.2024) „Der Verfassungsschutz überhöht die Verfassung bzw. die Demokratie bei Verstoß gegen das zur staatlichen Neutralität verpflichtende Rechtsstaatsprinzip zu einem ideologischen, ja zu einem quasi-religiösen Konstrukt, dem sich die Bürger im Wertevollzug bei Zurückstellung ihrer Einzelansichten unterwerfen müssen, damit die garantierten Grundrechte ohne Wertemodifikationen ausgeübt werden dürfen. Dies geht mit amtlichen Bedrohungsszenarien und Feindbildern einher, bei denen verschwörungstheoretisch durch die Analyse von Codes und Chiffren insinuiert wird, daß jederzeit die Wiederkehr des Verfassungsdämonen Adolf, also des sog. „Faschismus“ bevorstünde. Die dadurch bewirkte Abgrenzung zu ideologisch bestimmten „Extremisten“ wirkt dabei für „Demokraten“ (unter Einschluß der Kommunisten bei Koalitionsbereitschaft der CDU mit einer kommunistischen Plattform) identitätsstiftend. Dabei wird bei Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz der Demokratie eine unterschiedliche Wertigkeit der politischen Anschauungen eingeführt, die unbeschränkte, nicht der staatlichen Delegitimierung ausgesetzte Grundrechtsausübung und politische Mitwirkung nur den politischen und weltanschaulichen Richtungen erlaubt, denen politikwissenschaftliche Experten der Geschichtsbewältigung demokratische Anschauungen bestätigen. Dagegen müssen etwa „Revisionisten“ als ideologisch bestimmte „Extremisten“ damit rechnen, daß ihre Grundrechtsausübung mit dem Ziel der „Verwirkung“ staatlich delegitimiert wird und sie einem ideologischen Apartheit-System mit zahlreichen Ausgrenzungen (Kontenkündigung, Dienstentlassung) unterworfen werden.“
Damit bewegt sich der bundesdeutsche Verfassungsschutz im Vorfeld der „totalitären Demokratie“: So die zusammenfassende Bewertung der nachfolgend online gestellten Analyse. Dies mag nicht generell in dieser Weise der Fall sein, weil in VS-Berichten etwa gebotener und berechtigter Weise auch politisch motivierte Kriminalität dargestellt wird, trifft jedoch zu, soweit dieser Verfassungsschutz als Gedankenpolizei in der Erscheinung tritt, der etwa einen „Geschichtsrevisionismus“ bekämpft. Eine derartige Bekämpfung von Meinungsäußerungen ist nur aufgrund einer staatlichen Bewertung möglich, die in zentralen Punkten von einer für Bürger verbindlichen „demokratischen“ Einheitsmeinung ausgeht. Dies ist kennzeichnend für die sog. „totalitäre Demokratie“, die entsprechend der Annahme der Identität von Regierenden und Regierten davon ausgeht, daß der einzelne nur dann frei ist, wenn die Regierung das macht, was der einzelne Bürger will, ein Anspruch, der dem Gleichheitsprinzip entsprechend auch allen anderen Bürgern zusteht; damit ist schon eine Demokratie ohne Opposition, also das Einstimmigkeitsprinzip basierend auf einer demokratischen Einheitsmeinung als wünschenswert formuliert. Da dies bei freien Verhältnissen kaum möglich ist, müssen tendenziell gegen die Meinungsfreiheit gerichtete kollektivistische Formeln wie Allgemeininteresse oder zunehmend auch „Demokratie“ als Ideologiekonstrukt gefunden werden, um diese als notwendig vorausgesetzte demokratische Einheitsmeinung zu fingieren. Demokratie muß dann ideologisiert werden, also zu einem Bekenntniswert umgewertet werden. Dies erlaubt dann auch eine Diktaturausübung unter Berufung auf die Demokratie, weil sich etwa die Mehrheit gegen die Demokratie entscheidet, so daß diese – wenngleich nur ideologisch – nur gerettet werden kann, indem Demokraten die Mehrheit unter Berufung auf demokratische Werte mittels Parteiverbot unterdrücken. Dafür steht die „Volksdemokratie“ der DDR-Diktatur, der im Parlamentarischen Rat immerhin die demokratische Legitimität zugesprochen wurde, weil es danach nämlich eine Demokratie gäbe, die weniger frei sei, die volksdemokratische und eine, die frei sei. So die Begründung für den Begriff „freiheitliche demokratische Grundordnung“ als Schutzgut eines möglichen Parteiverbots nach dem Grundgesetz. Dieses hat nach dem offiziösem Grundgesetzkommentar „einen neuen Typ der demokratischen Staatsform“ begründet, „für die wir noch die richtige Vokabel suchen“.
Diese Demokratieschutzkonzeption einer „streitbaren / wehrhaften Demokratie“, wie dies bezeichnet worden ist (wenngleich die Begrifflichkeit als solche im Grundgesetz nicht zu finden ist), unterscheidet sich von der sich als „kämpferisch“ verstehenden DDR-Demokratie, also der SED-Diktatur der Linken, dadurch, daß nicht gegen eine aktuelle Mehrheit vorgegangen wird, sondern gegen eine potentielle Mehrheit von „Demokratiefeinden“, die anhand von „Codes“ und „Chiffren“ durch Überwachungsorgane als solche ermittelt werden (wobei die überwachenden Kräfte von vornherein als „Demokraten“ fungieren und sich demnach nicht selbst überwachen müssen).
Die bedenkliche Nähe der streitbaren zur kämpferischen Demokratie kann dadurch vermieden werden, indem beim Demokratieschutz auf eine strafrechtlich bestimmte Gewaltgrenze abgestellt wird, womit dann vor allem das Mehrheitsparteienprinzip und das Recht zur Ausübung politischer Opposition mit weitgehender Meinungsfreiheit als zentraler Gegensatz einer freien zu einer totalitären Demokratie geschützt wird. Die Praxis des bundesdeutschen Demokratieschutzes ist dagegen schwerpunktmäßig auf einen sog. Werteschutz ausgerichtet und dieser Ansatz beinhaltet die Gefahr des Abgleitens der wehrhaften / streitbaren Demokratie als bundesdeutscher Demokratie-Sonderweg in Richtung „Volksdemokratie“.
Wie real diese Gefahr für die politische Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland ist, ergibt sich am Vorgehen des „Verfassungsschutzes“ gegen die Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) und im Fall der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. (SWG), wie im einzelnen im Beitrag dargestellt wird. Es wird auch aufgezeigt, wie dieser Gefahr entgegengetreten werden kann, nämlich indem der bundesdeutsche Demokratie-Sonderweg überwunden wird, indem endlich eine „liberale Demokratie des Westens“ (so das Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil), also eine normale Demokratie, in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht wird, bei der entsprechend dem Selbstverständnis der SWG gilt: „Die SWG vertritt die Ansicht, daß eine plurale freiheitliche Gesellschaft nur funktionieren kann, wenn sie neben einem linken Flügel und einer linken Mitte auch über einen demokratischen rechten Flügel verfügt, wie überall bei unseren europäischen Nachbarn. Die Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft versteht sich als Teil dieser demokratischen – sei sie konservativ, sei sie nationalliberal – Rechten.“
Hinweis
Bei dem hiermit online gestellten Text handelt es sich um eine erweiterte Fassung des Vortrags, den der Verfasser am Seminartag der SWG am 8. Juni 2024 mit dem Titel „Verfassungsschutz: Demokratieschutz oder Wegbereiter der „totalitären Demokratie“?“ gehalten hat. Eine kurzgefaßte Version des Vortrags wird im Heft 109 des Deutschland-Journals DJ veröffentlicht, das im Dezember 2024 erscheint.
Dieser Vortrag und die vorliegend online gestellte erweiterte Fassung desselben, sowie auch die Veröffentlichung im DJ, sind als Ergänzung zu dem für die SWG erstellten Gutachten mit dem Titel „Gedankenpolizeilicher Verfassungsschutzextremismus in Hamburg“ zu verstehen; dieses ist hier einzusehen oder hier!
“Verfassungsschutz als Wegbereiter der „totalitären Demokratie“”