Gegen die Unabhängigkeit der Gerichte gerichtete Bestrebungen

Gegen die Unabhängigkeit der Gerichte gerichtete Bestrebungen

Josef Schülburner

(05.07.2021) Die vom „Verfassungsschutz“, also von einer Kombination aus Geheimdienst und Staatspropaganda, entgegen den Gepflogenheiten einer liberalen Demokratie des Westens staatsideologisch mit Quasiverbot bedrängte Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) setzt vor allem auf den Rechtsweg, letztlich nach „Karlsruhe“, um zur Bewahrung des Mehrparteienprinzips ihre politische Existenz zu sichern. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg einer derartigen Gerichtsstrategie, insbesondere wenn dies ohne eine (vom Verfasser dringend empfohlene) Abfederung durch eine politische Gesamtstrategie geschehen sollte, ist vor allem die Wirksamkeit des Verfassungsprinzips der Unabhängigkeit der Gerichte, dessen Sinn und Zweck nachfolgend behandelt wird und dabei entsprechend dem Anliegen des vorliegenden Alternativen Verfassungsschutzberichts in einer weltanschaulich neutralen Weise vor allem auf die Bestrebungen eingegangen wird, die dieses Verfassungsprinzips bedrohen.

Diese Unabhängigkeit der Justiz ist in der Bundesrepublik Deutschland in Übereinstimmung mit einer Resolution des Europarates nicht unbedingt als ideal einzustufen. Es gilt noch immer der Satz des preußischen Justizministers Leonhardt (1867-1879) bei Erlaß des noch immer geltenden Gerichtsverfassungsgesetzes, wonach die Exekutive den Richtern gerne „ihre sogenannte Unabhängigkeit konzedieren“ könne, solange die Exekutive über die Beförderungen der Richter verfügt. Die Situation hat sich dabei gegenüber der Kaiserzeit durch die parteipolitische Einflußnahme bei der Richterernennung und -beförderung im „Parteienstaat“ nicht unbedingt verbessert. Hinzu kommt in der BRD mit der Verfassungsgerichtsbarkeit bei mentalem Rekurs auf die obrigkeitliche Gerichtsgläubigkeit der Deutschen des Alten Reichs (Reichskammergericht) eine spezielle politische Justiz, die dann nicht die Vollendung des Rechtsstaats markiert, sondern eine Überschreitung desselben darstellt, was sich in richterlicher Rechtsfortbildung, teilweise contra legem, also in der Übernahme einer Legislativfunktion durch die Gerichtsbarkeit manifestiert und als Übergang von der demokratischen Volkssouveränität zu einer eher ideologischen Verfassungssouveränität einer Gerichtsoligarchie auf den Begriff gebracht werden kann. Letztlich ist damit der Justiz in Deutschland eine politische Funktion zugewachsen, die ihr nicht guttut und die deshalb auf ein normales Maß zurückgeführt werden müßte; wie aufgezeigt wird, ist dafür neben anderen Überlegungen Voraussetzung, daß nicht nur Linksparteien als legitim angesehen werden, sondern auch Rechtsparteien. Die dadurch bewirkte „Politisierung der Politik“ führte dann automatisch zur systemgerechten Entpolitisierung der Justiz.

Die jüngste Darstellung der anerkannten „Institution“ Hans-Herbert von Arnim zum Verfassungsrechtsstreit einer parlamentarisch nicht vertretenen Oppositionspartei wegen illegaler Parteienfinanzierung (Fraktionsfinanzierung),  sollte für die AfD eine Warnung darstellen; denn letztlich stellt auch die Auflistung einer Oppositionspartei, nicht aber von Regierungsparteien, in einem „Verfassungsschutzbericht“ indirekt eine Frage der Parteienfinanzierung dar: Sog. Regierungsparteien müßten nämlich erhebliche Finanzmittel aufwenden, um bei den Wählern propagandistisch den Effekt zu erreichen, der angesichts der mittlerweile etablierten Verfassungsreligiosität  beim deutschen Wähler durch eine für etablierte Parteien kostenfreie Auflistung einer konkurrierenden Oppositionspartei in einem VS-Bericht erreicht wird. So wie sich die etablierten Kräfte nachdrücklich für die Sicherstellung der den Parteienwettbewerb beeinträchtigende Fraktionsfinanzierung eingesetzt haben und dabei das Verfassungsgericht Scheu hatte, sich dem zu widersetzen, so ist dies auch oder erst recht bei der zentralen Machtfrage des BRD-Demokratie-Sonderwegs, nämlich beim „Verfassungsschutz“ zu befürchten.   

Auch wenn die strukturelle Machtlage, in die die Justiz eingebettet ist, bei der Anwendung des (Verfassungs-)Rechts keine Rolle spielen sollte, so zählt diese jedoch zu den Entscheidungsgründen, die man – sofern sie den Richtern überhaupt bewußt sind – nur denkt, aber nicht sagt und schon gar nicht schreibt, die aber dann doch den Ausschlag geben. Deshalb sollte man strukturell die Situation der AfD dergestalt einschätzen, daß ihre gerichtlichen Erfolgsaussichten ziemlich groß sind, wenn es um Fragen wie Neutralitätsverpflichtung bei feindlichen Aussagen von amtierenden Ministern, um gleichberechtigten Zugang zu öffentlichen Einrichtungen oder bei Demonstrationsverboten geht, also in den Bereichen, bei denen etwa auch die NPD gerichtliche Erfolge erzielt. Dazu gehören auch formelle oder formale Aspekte des VS-Systems wie etwa hinsichtlich der Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Prüffalls, der gesetzlich eben nicht vorgesehen ist. Erfolge sind in diesen Bereichen zu erwarten, weil dies letztlich insinuieren soll, daß es einer Rechtspartei gar nicht bedarf, weil es „Karlsruhe“ schon richtet.

Geht es dagegen um die wirkliche Machtfrage, nämlich materiell-rechtlich um das Verfassungsschutzsystem / Parteiverbotsersatzregime als solches, sieht die Situation strukturell doch ziemlich anders aus, weil ein Obsiegen einer diskriminierten Partei in den Grundbereichen dieses System fast auf einen Systemwechsel von einer sog. „wehrhaften Demokratie“, die der gerichtlich begründeten Werteordnung mit Verbotscharakter einen zentralen Rang einräumt, zu einer liberalen Demokratie des Westens ohne Abstriche hinauslaufen würde. Ein derartiger Systemwechsel kann von der Gerichtsbarkeit wohl nicht erwartet werden. Die Rückkehr zu einer Freiheitsordnung der Grundrechte ohne Abstriche würde die Stellung der Gerichtsbarkeit eher schwächen, weil sich dann das Verfassungsgericht doch eher als ein bloßes Kompetenzgericht verstehen müßte und nicht mehr als Offenbarer von zivilreligiösen Werten auftreten könnte, mit denen die Gerichtsbarkeit den Freiheitsbereich der Bürger nicht unbedingt erweitert, sondern eher staatliche Verbote absichert oder im Sinne der Verfassung als Pflichtenordnung gar vorschreibt.

In struktureller Hinsicht wirkt dies im zentralen machtpolitischen Bereich gegen die Erfolgsaussichten der AfD bei Beschreiten des Rechtswegs. Das Überleben der Partei wird daher eine politische Alternative jenseits der Erwägungen über Erfolgsaussichten bei Beschreitung des Rechtswegs erfordern. Immerhin nennt sich ja die entsprechende Partei „Alternative für Deutschland“, was ja wohl eine politische und keine gerichtliche Alternative meint! Die Begrifflichkeit ist manchmal klüger als ihre Erfinder.      

Hinweis
Beim vorliegenden Text handelt es sich um eine überarbeitete Fassung des Kapitels B. VII. des Alternativen Verfassungsschutzberichtes, dessen ursprüngliche Fassung in der Buchausgabe dieses Alternativen Verfassungsschutzberichts auf den Seiten 227 bis 259 zu finden ist. Dieser Beitrag zum Verfassungsprinzip der Unabhängigkeit der Justiz stellt auch eine Ergänzung zur jüngsten Broschüre des Verfassers dar:

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

“Gegen die Unabhängigkeit der Gerichte gerichtete Bestrebungen”

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