Das Jahr 1979

Februar 1979
Erste illegale Hausbesetzungen in Berlin

Mit ersten illegalen Hausbesetzungen ungenutzter Wohnhäuser in Kreuzberg durch die Bürgerinitiative SO 36 beginnt die sog. „Instandbesetzer-Bewegung“. In den folgenden Jahren fungieren die besetzten Häuser vielfach als Anlaufstellen und Quartier linksradikaler und teilweise linksterroristischer Kreise.
AL, S. 13

16. Februar 1979
Croissant verurteilt

Der 47jährige Rechtsanwalt Claus Croissant wird in Stuttgart-Stammheim zu zweieinhalb Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. In der Urteilsbegründung heißt es u. a., Croissant sei allein deshalb rechtlich verfolgt worden, weil er unter Mißbrauch seiner Verteidigerrechte den dafür gesetzten legalen Rahmen auf strafbare Weise überschritten habe. Der Austausch von Schriftstücken innerhalb eines Informationssystems sei an sich erlaubt. Doch Croissant habe gewußt, daß das Info-System auch strafbaren Zwecken dienen sollte und daß dadurch der Fortbestand der kriminellen Vereinigung (Baader/Meinhof) aus der Haft heraus gefördert worden sei. Das Gericht habe sich streng an die Anklagepunkte gehalten, die von den Behörden Frankreichs bei der Auslieferung Croissants zugelassen worden seien.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 5

2. Mai 1979
Christiane Kuby verurteilt

Christiane Kuby wird vom hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg zu einer lebenslangen Freiheitstrafe verurteilt. Das Gericht hält die 22jährige für überführt, am 21. 1. 1978 vor einer Apotheke in der Hansestadt den Polizisten Jürgen Trapp mit zwei Schüssen schwer verletzt zu haben. Ihr wird ferner zweifacher Mordversuch und die Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Die Kammer erkennt auf die Höchststrafe, da die Angeklagte keinerlei Reue zeige, die Mordversuche eindeutig aus niedrigsten Beweggründen begangen habe und mit einer Wiederholung derartiger Straftaten durch die Angeklagte zu rechnen sei. Christiane Kuby habe sich zudem mehrfach zur RAF und deren Zielen bekannt. Nach Überzeugung des Gerichts habe sie zum Kern der RAF gehört.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 6

4. Mai 1979
Elisabeth van Dyck erschossen

In Nürnberg wird Elisabeth van Dyck von der Polizei gestellt und von einem Polizeibeamten in Notwehr erschossen. Ihr Name stand auf der Liste der 20 meistgesuchten deutschen Terroristen. In ihrer Wohnung werden die Fingerabdrücke von Rolf Heissler, Christian Klar, Adelheid Schulz, Monika Helbing und Werner Lotze gefunden, die als führende Persönlichkeiten der deutschen Terrorszene gelten. Die am 11. 10. 1950 in Borstel geborene Elisabeth van Dyck schloß sich 1974 dem „Sozialistischen Patientenkollektiv“ (SPK) an, einer Keimzelle für terroristische Aktivitäten. Später gehörte sie zum „Informationszentrum Rote Volksuniversität“, ebenso wie die Botschafts-Attentäter von Stockholm Ulrich Wessel, Hanna Krabbe und Lutz Taufer. Sie verlobte sich mit Klaus Jünschke, der der RAF zugerechnet und 1977 von einem Gericht in Kaiserslautern wegen Mordes und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Daraufhin schloß sie sich dem Kreis um Croissant an, für den sie als Sekretärin arbeitete.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23554, Abs. 2, 3

31. Mai 1979
Irmgard Möller und Bernhard Braun verurteilt

Die zum Führungskader der RAF zählende 31jährige Irmgard Möller wird in Stuttgart wegen Mordes und Mordversuchs in mehreren Fällen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Gegen den Mitangeklagten Bernhard Braun wird eine Strafe von zwölf Jahren wegen Beihilfe zum Mord verhängt. Möller und Braun waren im Mai 1972 an dem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der US-Armee in Heidelberg beteiligt, bei dem drei Personen ums Leben kamen und mehrere verletzt wurden. Die Angeklagte wird ebenfalls für schuldig befunden, Anschläge auf das Auto eines hohen Richters und auf eine Polizeidirektion durchgeführt zu haben. Das Urteil stützt sich vor allem auf Aussagen des Belastungszeugen Gerhard Müller, der 1976 wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und versuchten Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt worden war.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 7

9. Juni 1979
Rolf Heissler verhaftet

Beim Betreten einer „konspirativen Wohnung“ in Frankfurt-Sachsenhausen wird Rolf Heissler von Kriminalbeamten gestellt und durch einen Kopfsteckschuß verletzt. Heissler, am 3. Juni 1948 in Bayreuth geboren, zählt nach Ansicht der Polizei zum innersten Kern der Terroristenszene. Er soll 1969 zusammen mit Ralf Reinders, Rolf Pohle, Fritz Teufel, Brigitte Mohnhaupt und Irmgard Möller die als kriminelle Vereinigung eingestufte Organisation „Tupamaros München“ gegründet und mit der Baader-Meinhof-Gruppe, der „Bewegung 2. Juni“ und dem Heidelberger „Sozialistischen Patientenkollektiv“ zusammengearbeitet haben. Am 28. 2. 1972 war er vom Landgericht München wegen eines Banküberfalls (Beute 54.000 DM) zu 8 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach seiner Freipressung im Rahmen der Lorenz-Entführung soll er in der DVR Jemen eine Guerilla-Ausbildung erfahren und nach der Rückkehr zusammen mit dem Heidelberger Rechtsanwalt Siegfried Haag eine Nachfolgevereinigung der Baader-Meinhof-Gruppe aufgebaut haben. Er gilt als einer der Täter, die an der Entführung Schleyers und an der Ermordung seiner vier Begleiter beteiligt waren. Dagegen erscheint seine Beteiligung an der Ermordung Pontos und dem mißglückten Anschlag auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe zweifelhaft, obwohl Heissler als Sprengstoff-Experte gilt. Nach dem Schleyer-Mord hatte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes gegen ihn Haftbefehl wegen fünffachen Mordes, Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten erlassen.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23554, Abs. 4, 5

25. Juni 1979
Anschlag auf US-General Haig gescheitert

Ein Sprengstoffanschlag auf den noch bis zum 30. 6. 1979 diensthabenden Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Europa, General Alexander Haig, scheitert in der Nähe von Obourg/Belgien. Drei Sicherheitsbegleiter des Generals werden leicht verletzt. Zu dem Anschlag bekennen sich sowohl eine bisher unbekannte Terrororganisation „Venjeance et Liberte“ als auch in Deutschland ein „Kommando Andreas Baader“.
Archiv der Gegenwart 1979, S. 22649 f.

26. Juli 1979
Ilse Jandt verurteilt

Die 41jährige Ilse Jandt wird in Berlin als führendes Mitglied einer Terrorgruppe und wegen des 1974 verübten Fememordes an dem Studenten Ulrich Schmücker zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilt. Das Gericht bekräftigt damit sein Urteil vom 22. Juni 1976, das von der obersten Instanz wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben worden war. Die Leiche des 22 Jahre alten Schmücker war am 5. 6. 1974 mit einem Kopfschuß in einem Wald in Westberlin gefunden worden. Schmücker hatte 1973 bei seinem Prozeß wegen Beteiligung an Anschlägen Mitangeklagte belastet und später versucht, sich in Anarchistenkreisen zu rehabilitieren. Als er mit der Gruppe um Ilse Jandt Kontakt aufnahm, habe diese nach Ansicht der Richter beschlossen, den „Verräter“ zu erschießen.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 8

19. November 1979
Rolf Clemens Wagner in der Schweiz verhaftet

Nach einem Überfall auf die Schweizerische Volksbank in Zürich wird der deutsche Terrorist Rolf Clemens Wagner festgenommen, als er mit einem Teil der Beute (über 500.000 sFr) fliehen will. Bei dem Bankraub, an dem vier Täter beteiligt sind, wird eine Passantin durch einen Kopfschuß getötet.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23554, Abs. 6

29. November 1979
Angelika Speitel verurteilt

Angelika Speitel wird vom Oberlandesgericht in Düsseldorf wegen gemeinschaftlichen vollendeten und versuchten Mordes an zwei Düsseldorfer Polizisten zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Der Strafsenat ist weiterhin davon überzeugt, daß die Angeklagte mindestens seit September 1977 der terroristischen Vereinigung RAF angehöre, die für die Morde an Buback, Ponto und Schleyer ­sowie für zahlreiche andere Straftaten verantwortlich sei.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 9

19. Dezember 1979
Siegfried Haag verurteilt

Der ehemalige Rechtsanwalt Siegfried Haag wird vom Oberlandesgericht Stuttgart im Zusammenhang mit dem Überfall auf die deutsche Botschaft in Stockholm zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Das Gericht spricht ihn der fortgesetzten Beihilfe zum Mord, in zwei Fällen in Tateinheit mit der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung, der Beihilfe zur Geiselnahme und der versuchten Nötigung für schuldig.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23556, Abs. 2


Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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