Das Jahr 1978

21. Januar 1978
Schußwechsel in Hamburg

Die RAF-Terroristin Christiane Kuby verletzt bei einem Schußwechsel in Hamburg den Polizisten Jürgen Trapp schwer.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555

13. April 1978
Änderungen in der Antiterrorismus-Gesetzgebung

Die Fraktionen von SPD und FDP weisen mit 252 zu 243 Stimmen der CDU/CSU den Einspruch des Bundesrates gegen das Antiterror-Gesetz zurück; damit tritt die Änderung der Stafprozeßordnung mit den neuen Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus in Kraft. Die vom Bundestag zur Abwehr und besseren Verfolgung terroristischer Straftaten verabschiedeten neuen Gesetzesbestimmungen sehen im wesentlichen folgendes vor: 1. Erweiterung des Rechts zum Durchsuchen von Wohnungen (§ 103 StPO): Wenn ein dringender Verdacht besteht, daß ein terroristischer Täter sich in einem Gebäude verbirgt, aber nicht bekannt ist, in welcher Wohnung er sich aufhält, kann ein Richter (bei ­Gefahr im Verzuge auch die Staatsanwaltschaft) die Durchsuchung des ganzen Gebäudes anordnen. 2. Einrichtungen von Kontrollstellen (§ 111 StPO): Bei der Fahndung nach Terroristen oder bewaffneten Räubern sollen auf öffent­lichen Straßen und Plätzen Kontrollstellen eingerichtet werden können. Die Anordnung dazu trifft ein Richter (bei Gefahr im Verzuge auch die Staats­anwaltschaft oder deren Hilfsbeamte). An einer Kontrollstelle muß jeder seine Identität feststellen und seine Sachen durchsuchen lassen. 3. Verteidigerausschluß (§ 138a StPO): Von Strafverfahren gegen Terroristen soll ein Verteidi­ger bereits dann ausgeschlossen werden, wenn bestimmte Tatsachen den ­Verdacht begründen, daß er an der terroristischen Tat beteiligt war oder den Zugang zu seinem inhaftierten Mandanten zu Straftaten mißbraucht oder die ­Sicherheit der Haftanstalt gefährdet. 4. Feststellung der Identität (§ 163b und c StPO): Verdächtige Personen können zur Feststellung ihrer Identität festge­halten, durchsucht und erkennungsdienstlich (Foto, Fingerabdrücke) behandelt werden. Nichtverdächtige dürfen – wenn sie sich nicht ausweisen können – zur Feststellung ihrer Identität nur dann festgehalten werden, wenn und soweit dies zur Aufklärung einer Straftat geboten ist. Es muß ihnen mitgeteilt werden, wegen welcher Straftat die Überprüfung erfolgt, und sie dürfen eine Person ­ihres Vertrauens unverzüglich benachrichtigen. Länger als 12 Stunden darf ­niemand festgehalten werden, auch dann nicht, wenn seine Identität inner­halb dieser Zeit nicht geklärt werden konnte (es sei denn, daß er als Ver­dächtiger festgenommen wird). 5. Überwachung des schriftlichen Vertei­digerverkehrs, Trennscheiben (§ 148 StPO): Inhaftierten Angehörigen einer ­terroristischen Vereinigung dürfen Schriftstücke ihrer Verteidiger nur ausgehändigt werden, wenn sie zuvor einem Richter vorgelegen haben. Bei Gesprächen zwischen dem Beschuldigten und dem Verteidiger sind Vorrichtungen vorzusehen, die die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen ausschließen.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23551 A/1

21. April 1978
Festnahme von Terroristen in Bulgarien

In Bulgarien werden vier mutmaßliche Terroristen festgenommen, darunter Till Meyer und Gabriele Rollnick, die zu den 40 meistgesuchten deutschen Terroristen gehört. Außerdem werden Gudrun Stürmer und Angelika Goder gefaßt. Bulgarien liefert noch am selben Tag die Gefangenen an die BRD aus, obwohl zwischen den beiden Ländern kein Auslieferungsabkommen besteht. Till Meyer, 1944 in Luckenwalde geboren, stieß Anfang der 70er Jahre in Nordrhein-Westfalen zu einer Terrorbande, die sich „Rote-Ruhr-Armee“ nannte. Seine Hauptaufgabe war die Beschaffung von Waffen. Bei einem Maschinenpistolenkauf 1972 von der Kriminalpolizei überrascht, eröffnete er sofort das Feuer, wurde verhaftet, brach 1973 aus der Haftanstalt Castrop-Rauxel aus und ging nach Berlin. Dort schloß er sich der „Bewegung 2. Juni“ an. Bis zu seiner Festnahme durch die Berliner Polizei 1975 war er an einem Sprengstoffanschlag, mindestens zehn Bank­überfällen, dem Mord an dem Kammergerichtspräsidenten Günther von Drenkmann und an der Entführung des Vorsitzenden des Landesverbandes Berlin der CDU, Peter Lorenz, beteiligt. Seit April 1978 stand er in Berlin vor Gericht. Im April 1978 wurde er von zwei als Rechtsanwältinnen getarnten Frauen aus dem Berliner Gefängnis Moabit befreit, wobei ein Gefängnisbeamter durch einen Schuß ins Bein schwer verletzt wurde. Gabriele Rollnick, geboren am 14. 5. 1950, gehört seit 1974 dem harten Kern der „Bewegung 2. Juni“ an und steht im Verdacht, an der Lorenz-Entführung mitgewirkt zu haben. Sie soll u. a. das Quartier des entführten Politikers organisiert haben. Zusammen mit dem mutmaßlichen Terroristen Fritz Teufel wurde sie am 14. 9. 1975 in Berlin verhaftet und brach am 7. 7. 1976 aus der Frauenstrafanstalt Lehrter Straße mit drei weiteren Terroristen aus. Bei der Entführung des Wiener Textilfabrikanten Michael Palmers soll sie ebenfalls maßgeblich beteiligt gewesen sein. Nach Ermittlungen der Polizei hatte sie auch bei der gewaltsamen Befreiung Meyers ihre Hände im Spiel. Zusammen mit Inge Viett und Ina Siepmann habe sie sich in einer konspirativen Wohnung aufgehalten, von der nach Angaben der Polizei „direkte Spuren zur Befreiungsaktion“ in Moabit geführt haben.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23553 Abs. 2, 3, 4

11. Mai 1978
Verhaftung mutmaßlicher deutscher Terroristen in Jugoslawien

In Zagreb werden vier deutsche Staatsbürger festgenommen, von denen zwei (Brigitte Mohnhaupt und Rolf Clemens Wagner) auf der Liste der am meisten gesuchten Terroristen stehen. Die beiden anderen sind Peter-Jürgen Boock und Sieglinde Hofmann. Die Spur zu den sich in Jugoslawien befindenden Terroristen führt über den am 11. 5. auf dem Pariser Flughafen Orly festgenommenen mutmaßlichen Terroristen Stefan Wisniewski, der sich mit Brigitte Mohnhaupt in Zagreb treffen will.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23551 A/2

25. Mai 1978
Marion Brigitte Folkerts verhaftet

Marion Brigitte Folkerts, Ehefrau des wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagten und inhaftierten Knut Folkerts, wird auf dem Pariser Flughafen Orly, auf dem sie mit einer aus Beirut kommenden Maschine landet, festgenommen und an die BRD ausgeliefert. Sie soll seit 1976 der RAF angehören und seit ihrem Untertauchen in den Untergrund (1977) enge Kontakte zum harten Kern der Baader-Meinhof-Gruppe unterhalten haben.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23552/3

Juni 1978
Viett in der DDR

Die RAF-Terroristin Inge Viett hält sich erstmals vorübergehend in der DDR auf.
Schlomann, S. 44

17. Juni 1978
Krawalle in Frankfurt am Main

Bei einer Demonstration gegen ein „Deutschlandtreffen“ rechter Organisationen in Frankfurt am Main kommt es zu schweren Krawallen, die in der Besetzung des Frankfurter Römers gipfeln. Bei der Räumung des von 4.000 bis 5.000 linken Gegendemonstranten besetzten Platzes werden rund 80 Personen verletzt.
AL, S. 9

30. Juni 1978
Verurteilung von Gabriele Kröcher-Tiedemann und Christian Möller

Die deutschen Terroristen Gabriele Kröcher-Tiedemann und Christian Möller werden in der Schweiz zu 15 Jahren (Kröcher-Tiedemann) und elf Jahren (Möller) Zuchthaus verurteilt. Sie werden für schuldig befunden, folgende Straftaten begangen zu haben: Mordversuch, Gewalt und Drohung gegen Beamte sowie Zuwiderhandlung gegen die Bundesgesetze über den Aufenthalt und die Niederlassung von Ausländern (weil sie mit gefälschten deutschen Ausweisen in die Schweiz gekommen waren) und wegen Besitzes von Kriegsmaterial. Außerdem ordnet das Gericht für beide Angeklagten die Landesverweisung für die Dauer von 15 Jahren an. Kröcher-Tiedemann war 1975 im Rahmen der Lorenz-Entführung aus der Haft freigepreßt worden, in der sie wegen ähnlich gelagerter Delikte einsaß, und zusammen mit weiteren Häftlingen nach Südjemen aus­geflogen worden. Sie und Möller waren am 20. 12.1977 auf einem verbotenen Übergang der schweizerisch-französischen Grenze, vor dem Zollposten Fahy, angehalten worden und feuerten sofort mehrere Schüsse auf zwei Zöllner ab, die dadurch schwer verletzt wurden.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23554/4

6. September 1978
Willy Peter Stoll bei Festnahme tödlich verwundet

In einer Düsseldorfer Gaststätte wird der Terrorist Willy Peter Stoll aufgrund des Hinweises eines Bürgers von der Polizei gestellt und durch vier Schüsse tödlich getroffen. Dem gelernten Steuergehilfen Willy Peter Stoll, geboren am 12. 6. 1950, wird die maßgebliche Beteiligung an den Morden an Schleyer, Ponto und Buback zur Last gelegt. Ermittlungen hätten ergeben, daß er vor der Entführung und Ermordung Schleyers gemeinsam mit der Terroristin Friederike Krabbe in Köln eine konspirative Wohnung gemietet habe, in der die Schleyer-Entführung vorbereitet worden sei. Er gilt auch als Verfasser und Verteiler der Erpresserbriefe. Eine der Waffen, die er am 1. Juli 1977 zusammen mit Knut Folkerts in Frankfurt erbeutete, wurde am Entführungsort in Köln gefunden. Mit einer weiteren bei diesem Raub erbeuteten Waffe soll Folkerts (am 22. 9. 1977) in ­Utrecht/Niederlande einen Polizeibeamten erschossen haben. Stoll arbeitete seit 1975 im Büro des Stuttgarter Rechtsanwalts Claus Croissant.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23553, Abs. 7

24. September 1978
Angelika Speitel verhaftet

Angelika Speitel wird bei gemeinsamen Schießübungen mit zwei Komplizen auf einem Waldgrundstück bei Dortmund von der Polizei überrascht und erschießt sofort den sich ihr nähernden Polizeimeister Hans Wilhelm Hansen mit einem Kopfschuß. Ein weiterer Polizeibeamter wird durch mehrere Schüsse aus ihrer Pistole schwer verletzt. Bei dem Feuergefecht wird sie durch einen Schuß in den Oberschenkel getroffen. Ihr Komplize Michael Knoll erliegt seinen Schußverletzungen. Der Terrorist Werner Lotze kann entkommen.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23553, Abs. 10; Der Spiegel 6/1991, S. 99 f.

27. September 1978
Stefan Wisniewski verurteilt

Der Terrorist Stefan Wisniewski wird von einer Strafkammer des Landgerichts Frankenthal wegen Körperverletzung, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung eines Bundesrichters zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Gegen ihn ist ein weiteres Strafverfahren wegen des Verdachts der Beteiligung an der Entführung des Berliner CDU-Vorsitzenden Peter Lorenz anhängig. Wisniewski war am 11. 5. 1978 nach einer Paßkontrolle auf dem Pariser Flughafen Orly festgenommen und in die BRD abgeschoben worden.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 2

6. November 1978
Terroristen überfallen Frankfurter dpa-Büro

Das Frankfurter dpa-Büro wird in den Abendstunden von einer Gruppe junger Leute überfallen, die sich „Kommando Willy Peter Stoll und Michael Knoll“ nennt und auf den ihrer Ansicht nach lebensbedrohlichen Zustand ihrer Freunde Karl-Heinz Dellwo und Werner Hoppe hinweisen will. Die durch den Notruf des bedrohten und gefesselten Redakteurs alarmierte Polizei nimmt acht Männer und vier Frauen fest, unter denen sich Wolfgang Beer und Rosemarie Priess befinden, die beide der Polizei aus der Terroristenszene her bekannt sind: Beer, der 1975 in Untersuchungshaft kam und beim Überfall auf die Botschaft in Stockholm freigepreßt werden sollte, wurde im September 1976 von der Hamburger Staatsschutzkammer zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt, jedoch vorzeitig aus der Haft entlassen. Rosemarie Priess war am 4. 10. 1977 in der Nähe von Lübeck in Begleitung von Volker Speitel festgenommen, aber kurz darauf wieder freigelassen worden.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23554, Abs. 1

25. November 1978
Anti-Schah-Demonstration in der BRD

In Frankfurt werden bei einer Demonstration gegen den Schah und die iranische Militärregierung über 300 Personen verletzt, etwa 70 Polizeibeamte zum Teil schwer. Dem Aufruf zum Protestmarsch der Conföderation Iranischer Studenten (CISNU) folgen etwa 7.000 Demonstranten aus dem gesamten Bundesgebiet. Vor dem US-Konsulat im Stadtteil Westend kommt es zu einer der blutigsten Straßenschlachten der letzten Jahre, als etwa 400 iranische Demonstranten und 200 deutsche (nach Angaben der Polizei größtenteils Angehörige des Kommunistischen Bundes Westdeutschland KBW) das US-Konsulat zu stürmen versuchen. Die Polizei setzt Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Sie wird mit Steinhagel, Knüppeln und eisernen Bauklammern angegriffen. Die Demonstranten werfen Autos um und versuchen, diese in Brand zu stecken. Es entsteht erheblicher Sachschaden.
Archiv der Gegenwart 1979, S. 22672/6

14. Dezember 1978
Terroristen Speitel und Dellwo verurteilt

Der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart verurteilt den 27jährigen Volker Speitel zu drei Jahren und zwei Monaten sowie den gleichaltrigen Hans-Joachim Dellwo zu zwei Jahren Haft. Die beiden Angeklagten hatten zu Beginn des Prozesses die verbrecherischen Aktionen der RAF verurteilt und waren geständig. Das Gericht billigte ihnen mildernde Umstände zu. Die beiden werden für schuldig befunden, Kurierdienste für die RAF und (Speitel) Beihilfe bei der Vorbereitung des Stockholm-Attentats geleistet zu haben. Volker Speitel war Ende 1974 nach dem Tod Holger Meins’ und auf Veranlassung von Rechtsanwalt Siegfried Haag in den Untergrund gegangen, um zusammen mit anderen an Vorbereitungen zur Befreiung von RAF-Häftlingen mitzuwirken. Anfang1975 löste er sich wieder von der Vereinigung. 1977 leisteten er und Dellwo vom Büro des Rechtsanwalts Croissant aus Kurierdienste zwischen den in Stammheim inhaftierten RAF-Mitgliedern und deren Komplizen im Untergrund. Speitel soll dabei vor allem die Pistolen, mit denen sich Andreas Baader und Jan-Carl Raspe später töteten, über den Rechtsanwalt Arndt Müller in die Haftanstalt geschmuggelt ­haben.
Archiv der Gegenwart 1980, S. 23555, Abs. 3

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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