9. Mai 1976
Selbstmord von Ulrike Meinhof
Ulrike Marie Meinhof, zentrale Persönlichkeit der Rote-Armee-Fraktion (RAF), begeht in den frühen Morgenstunden des 9. 5. in ihrer Zelle in der Haftanstalt Stuttgart-Stammheim Selbstmord durch Erhängen.
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20252 A
9./10. Mai 1976
Straßenkrawalle und Terroraktionen nach Bekanntwerden
des Selbstmordes Meinhofs
Nach dem Bekanntwerden des Selbstmordes kommt es vor allem in Berlin und Frankfurt zu Straßenkrawallen. Die gewalttätigen Demonstranten gehen u. a. mit Molotowcocktails gegen die Polizei vor; mindestens sieben Polizisten und zehn Demonstranten werden schwer verletzt. Ferner kommt es zu Bombenanschlägen gegen das Deutsche Reisebüro in Rom durch ein „Antiimperialistisches Zentrum Holger Meins“, gegen den römischen „Messagiero“, gegen die Deutsche Akademie in Rom in der Villa Massimo, gegen die Niederlassung von zwei deutschen Industriefirmen in Paris, gegen das Goethe-Institut in Toulouse, gegen die Niederlassung von Daimler-Benz in Nimes, gegen ein Geschäft mit deutschen Spezialitäten in Mailand, gegen die Niederlassung von Hoechst in Barcelona usw. In allen Fällen kommt es zu schweren Sachschäden; in allen Fällen werden die Aktionen als Protest gegen das „Staatsverbrechen an Ulrike Meinhof“ bezeichnet.
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20253, Abs. 5
15. Mai 1976
Beisetzung Meinhofs
Bei der Beisetzung der RAF-Terroristin Meinhof in Berlin nehmen rund 4000 Personen an einem Demonstrationszug teil, darunter mindestens 700 vermummt. Es kommt u. a. in Hamm und Wuppertal zu weiteren Bombenanschlägen. Zahlreiche Persönlichkeiten und Medien des In- und Auslands, u. a. auch das „Neue Deutschland“, würdigen Ulrike Meinhof, die z. B. der Schriftsteller Erich Fried als „bedeutendste Frau seit Rosa Luxemburg“ feiert, und bezichtigen erneut die Behörden der BRD des Staatsverbrechens an Meinhof, während etwa die Londoner „Times“ feststellt: „Frau Meinhof sei in deutscher Weise den von ihr gewählten Weg zu Ende gegangen, nachdem sie habe feststellen müssen, daß er nichts außer einem Rechtsruck der Gesellschaft verursacht habe.“
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20253, Abs. 6
1. Juni 1976
„Revolutionäre Zelle – Brigade Ulrike Meinhof“ verübt Sprengstoffanschlag
Eine „Revolutionäre Zelle – Brigade Ulrike Meinhof“ verübt auf das Frankfurter Hauptquartier des V. US-Korps einen Sprengstoffanschlag. In einem Schreiben an AP übernehmen diese die Verantwortung für die Tat:
„Wir verstehen diesen Angriff als Teil eines weltweiten bewaffneten Kampfes gegen ein System, das in den zweihundert Jahren seines Bestehens (= Gründung der USA) Millionen Menschen vernichtet, Völker ausgerottet, Kontinente versklavt und die ganze Welt ausgeplündert hat.“
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20253, Abs. 7
7. Juli 1976
Ausbruch von vier Terroristinnen
Die Terroristinnen Inge Viett (32), Gabriele Rollnick (26), Monika Berberich (33) und Juliane Plambeck (24), brechen aus der Strafvollzugsanstalt für Frauen im Berliner Bezirk Tiergarten aus. Es war ihnen gelungen, zwei Gefängniswärterinnen zu überwältigen und zu fesseln und aus dem Gebäude zu entkommen. Viett gehört zur „Bewegung 2. Juni“ und war unter bisher ungeklärten Umständen 1973 bereits einmal ausgebrochen; sie steht im Verdacht, an der Entführung von Peter Lorenz beteiligt gewesen zu sein. Berberich, zeitweilig Mitarbeiterin von Horst Mahler, wurde als Mitglied der „Rote-Armee-Fraktion“ im Juni 1972 wegen Raubüberfalls und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung zu zwölf Jahren Haft verurteilt. Plambeck, am 10. 9. 1975 mit Ralf Reinders und Viett festgenommen, gilt als führender Kopf der „Bewegung 2. Juni“ und steht unter Verdacht der Teilnahme an der Entführung von Lorenz und an der Ermordung des Kammergerichtspräsidenten von Drenkmann. Rollnick, am 14. 9. 1975 verhaftet, gehört seit 1974 zum harten Kern der „Bewegung 2. Juni“ und organisierte das „Quartier“ für Peter Lorenz. Die bisher nicht wieder aufgegriffenen Flüchtige sollen nach Vermutung von Justizsenator Oxfort eventuell innerhalb der Strafanstalt unterstützt worden sein. Am 22. 7. wird jedoch Monika Berberich in Berlin auf dem Kurfürstendamm wieder verhaftet.
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20368 A
28. September 1976
Urteile für acht terroristische Gewalttäter aus dem Baader-Meinhof-Bereich in Hamburg
Die Hamburger Staatsschutzkammer verurteilt acht wegen anarchistischer Gewaltverbrechen Angeklagte aus dem Umfeld der Baader-Meinhof-Gruppe. Verurteilt werden: Christa Eckes (26) zu sieben Jahren Haft, Helmut Pohl (32) zu fünf Jahren Haft, Margit Schiller (28) zu vier Jahren und acht Monaten, Eberhard Becker (38) zu vier Jahren und sechs Monaten, Ekkehard Blenk (33) zu drei Jahren Haft, Ilse Stachowiak (22) zu vier Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe, Wolfgang Beer (22) zu vier Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe, Kay-Werner Allnach (27) zu zwei Jahren Haft mit Bewährung. Alle Angeklagten (bis auf Allnach wegen Störens ausgeschlossen und in Abwesenheit verurteilt) werden für schuldig befunden, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein und dabei gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz sowie (mit Ausnahme Blenks) gegen das Sprengstoffgesetz verstoßen und Urkunden gefälscht zu haben; Eckes wird ferner wegen schweren Raubes (Banküberfall in Hamburg) verurteilt.
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20488 A
16. Oktober 1976
Statistische Angaben zu Linksextremen
Anzahl linksextremer Organisationen und ihrer Mitglieder: 1973 existierten 110 Moskau-orientierte kommunistische und prokommunistische Organisationen. Die Mitgliederzahl belief sich auf 98.000. Es existierten 61 maoistische Organisationen mit 12.000 Mitgliedern, 10 trotzkistische Organisationen mit 1000 Mitgliedern, 32 anarchistische Organisationen mit 500 Mitgliedern, 104 sonstige Organisationen, die „Neue Linke“ mit 5000 Mitgliedern. Insgesamt existierten 1973 317 linksextreme Organisationen mit insgesamt 116.500 Mitgliedern. 1974 existierten 113 orthodox-kommunistische und prokommunistische Organisationen mit 117.000 Mitgliedern, 65 maoistische Organisationen mit 13.000 Mitgliedern, 10 trotzkistische Organisationen mit 1200 Mitgliedern, 24 anarchistische Organisationen mit 500 Mitgliedern, 90 sonstige Organisationen, die „Neue Linke“ mit 4500 Mitgliedern. Insgesamt existierten 1974 302 linksextreme Organisationen mit insgesamt 136.200 Mitgliedern.
1975 existierten 105 orthodox-kommunistische und prokommunistische Organisationen mit 119.000 Mitgliedern. Es existierten 64 maoistische Organisationen mit 15.000 Mitgliedern, 10 trotzkistische Organisationen mit 1200 Mitgliedern, 26 anarchistische Organisationen mit 500 Mitgliedern, 74 sonstige Organisationen, die „Neue Linke“ mit 4500 Mitgliedern. Insgesamt existierten 1975 279 linksextreme Organisationen mit insgesamt 140.200 Mitgliedern. Extreme Linke im öffentlichen Dienst: 1975 waren 183 Personen im Bundesdienst tätig, die der DKP angehörten, 34 Personen, die kommunistischen Hilfsorganisationen angehörten, und 31 Personen, die der „Neuen Linken“ angehörten. Im Landesdienst waren 430 Personen tätig, die der DKP angehörten, 180 Personen gehörten kommunistischen Hilfsorganisationen an, und 415 Personen gehörten der „Neuen Linken“ an. Im Kommunaldienst waren 215 Personen tätig, die der DKP angehörten, 21 Personen gehörten kommunistischen Hilfsorganisationen an, und 89 Personen gehörten der „Neuen Linken“ an. Im Dienste öffentlicher Einrichtungen wie beispielsweise Verkehrsbetriebe waren 58 DKP-Mitglieder, 7 Mitglieder kommunistischer Hilfsorganisationen und 8 Mitglieder der „Neuen Linken“ beschäftigt.
Archiv der Gegenwart 1976, S. 20532 C
Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten
Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994