Das Jahr 1972

28. Januar 1972
Verabschiedung des sogenannten „Radikalenerlasses“

Die Regierungschefs des Bundes und der Länder beschließen gemeinsam den sog. „Radikalenerlaß“: „… Ein Bewerber, der verfassungsfeindliche Aktivitäten entwickelt, wird nicht in den öffentlichen Dienst eingestellt … Erfüllt ein Beamter durch Handlungen oder wegen seiner Mitgliedschaft in einer Organisation verfassungsfeindlicher Zielsetzung die Anforderungen des § 35 Beamtenrechtsrahmengesetz nicht …, so hat der Dienstherr … zu prüfen, ob die Entfernung des Beamten aus dem Dienst anzustreben ist …“ Der sog. „Radikalenerlaß“ der Regierungschefs zur Fernhaltung bzw. Entfernung von Links- und Rechtsextremisten aus dem öffentlichen Dienst des Bundes und der Länder bietet in den folgenden Jahren weit über seine konkrete Bedeutung hinaus vielfach Anlässe für sog. Anti-„Berufsverbot“-Kampagnen, für die linksextreme Initiativen im In- und Ausland agitieren.
Irmgard Wilharm (Hrsg.), Deutsche Geschichte 1962–1983, Bd. 2, Frankfurt am Main 1985, S. 96

2. März 1972
Tod von Thomas Weißbecker

In Augsburg wird der dem harten Kern der Baader-Meinhof-Gruppe zuzurechnende Thomas Weißbecker von der Polizei erschossen.
Archiv der Gegenwart 1972, S. 17119 B

11. Mai 1972
Rote-Armee-Fraktion (RAF): Mord

Auf das Hauptquartier des V. Armeekorps der US-Streitkräfte in Frankfurt wird ein Bombenanschlag verübt, wobei ein amerikanischer Oberst getötet wird und 13 Personen verletzt werden.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 243

12. Mai 1972
Rote-Armee-Fraktion (RAF): Bombenanschlag

Im Parkhof des bayerischen Landeskriminalamtes in München explodiert ein mit Sprengstoff beladener PKW, 60 Autos werden zerstört. Auch auf das Augsburger Polizeipräsidium werden Bombenanschläge verübt. Die Täter vermutet man im RAF-Umfeld.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 243

15. Mai 1972
Explosion eines Autos

In Karlsruhe wird der Wagen des Bundesrichters Wolfgang Buddenberg, der mit den Ermittlungen gegen die RAF betraut ist, in die Luft gesprengt, wobei dessen Frau schwer verletzt wird. Die Attentäter sind der RAF zuzuordnen.
Archiv der Gegenwart 1972, S. 17119 B

19. Mai 1972
Rote-Armee-Fraktion (RAF): Bombenanschlag

Im Springer-Verlagshaus in Hamburg explodieren zwei Sprengkörper, und drei weitere können entschärft werden. 17 Personen werden verletzt. Täter dieser ­Aktion ist die RAF.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 243

20. Mai 1972
Stellungnahme der Roten-Armee-Fraktion (RAF)

Die RAF nimmt Stellung zum Sprengstoffanschlag gegen den Richter am Bundesgerichtshof, Buddenberg. „Wir werden so oft und so lange Sprengstoffanschläge gegen Richter und Staatsanwälte durchführen, bis sie aufgehört haben, gegen die politischen Gefangenen Rechtsbrüche zu begehen. Wir verlangen damit nichts, was für diese Justiz unmöglich wäre.“
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 251

24. Mai 1972
Rote-Armee-Fraktion (RAF): Mordanschlag

Ein Offizier und zwei Feldwebel werden getötet und fünf weitere Personen verletzt, als zwei mit Sprengstoff gefüllte Autos im Hauptquartier der amerikanischen Streitkräfte in Europa (USAREUR) in Heidelberg explodieren. Der Anschlag wird der RAF zugerechnet.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 243

1. Juni 1972
Aktivisten der Roten-Armee-Fraktion (RAF) festgenommen

Am 1. 6. 1972 werden Andreas Baader, Holger Meins und Jan-Carl Raspe in Frankfurt nach Feuergefechten mit der Polizei festgenommen.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 245

7. Juni 1972
Regierungserklärung über innere Sicherheit

Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher gibt zu Fragen der inneren Sicherheit im Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung ab: „Zu der notwendigen Wachsamkeit gegenüber jeder Form von Radikalismus gehört, daß Feinde unserer Verfassungsordnung vom öffentlichen Dienst ferngehalten werden. Unser demokratischer Staat kann eine freiheitssichernde und freiheitsfördernde Funktion nur erfüllen, wenn er selbst frei bleibt von den Gegnern der Freiheit … Das ist besonders wichtig in einer Periode, in der der politische Radikalismus in einer neuen Form auftritt. Wenn auch die Wahlchancen der radikalen Parteien sinken, so muß uns doch sehr besorgt machen, daß zunehmend fanatisierte Einzelgänger und verbrecherische Gruppierungen mit verfassungsfeindlichen gewalttätigen Zielsetzungen auftreten … Der mutmaßliche Täterkreis der Bombenattentäter und auch die Absichten dieser Täter sind uns bekannt. Es handelt sich um eine, vielleicht auch mehrere untereinander lose verbundene Gruppen von Terroristen, die den ,bewaffneten Kampf‘ gegen einen – wie sie sagen – ,aggressiven Staat‘ aufgenommen haben. Kern dieses Täterkreises ist die Baader-Meinhof-Bande oder Rote-Armee-Fraktion. Es ist kein Zufall, daß politische Extremisten, gleich welcher Art, in unserer gemeinsamen demokratischen Gesinnung den Hauptfeind sehen. Eine lebendige Demokratie nämlich führt durch ihr politisches Verhalten jegliches Alibi der Radikalen ad absurdum …“
Archiv der Gegenwart 1972, S. 17144 B

7. Juni 1972
RAF-Mitglied gefaßt

Das RAF-Mitglied Gudrun Ensslin wird festgenommen.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 245

9. Juni 1972
Weitere RAF-Mitglieder gefaßt

In Berlin werden die RAF-Mitglieder Brigitte Mohnhaupt und Bernhard Braun verhaftet. Mohnhaupt wird wenig später wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, Urkundenfälschung und unerlaubten Waffenbesitzes zu vier Jahren und acht Monaten Haft verurteilt.
Backes, S. 360

16. Juni 1972
Ulrike Meinhof und Gerhard Müller verhaftet

In Hannover-Langenhagen wird die Publizistin Ulrike Meinhof, die als ideologischer Kopf der Baader-Meinhof-Gruppe gilt, zusammen mit Gerhard Müller (gesucht wegen Mordes an einem Polizisten) verhaftet.
Archiv der Gegenwart 1972, S. 17243 B

2. September 1972
Linksradikale Protestdemonstrationen

Anläßlich des „Anti-Kriegstages“, der seit einigen Jahren von Gewerkschaften am 1. September zur Erinnerung an den Kriegsausbruch von 1939 begangen wird, kommt es im Zentrum von München am 2. 9. in einer anläßlich der Olympischen Spiele für Kundgebungen gesperrten Fußgängerzone zu Demonstrationen einer illegalen Untergrundorganisation der „Kommunistischen Partei Deutsch­lands/Marxisten-Leninisten“ gegen die „Kriegs-Olympiade“, bei denen 110 Personen verletzt werden, davon 58 Polizisten. Die Polizei nimmt 21 Personen fest, davon 13 in Haft. Die Demonstranten rufen zum „Kampf gegen die Kriegsvorbereitungen des Bonner Staates“ auf. „In München wird der zentrale Einsatz des staatlichen Gewaltapparates gegen die zukünftigen Kämpfe der Arbeiterklasse geprobt. Hier soll der perfekte Polizeistaat vor­geführt werden.“
Archiv der Gegenwart 1972, S. 17335/3

20. Dezember 1972
Demonstrationen der (maoistischen) Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) gegen amerikanische Luftangriffe in Nordvietnam

Bei einer Demonstration der KPD am 20. 12. 1972 in Köln gegen amerikanische Luftangriffe in Nordvietnam entsteht erheblicher Sachschaden durch Steinwürfe auf das Amerika-Haus und Gebäude amerikanischer Industriefirmen.
Gerd Langguth, Die Protestbewegung in der Bundesrepublik Deutschland 1968–1976, Verlag Wissenschaft und Politik, Berend von Nottbeck, Köln 1976, S. 132

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben


AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner