Das Jahr 1983

1983
Verfassungsschutzbericht 1983

Leicht erhöht haben sich 1983 die Mitgliederzahlen in linksextremistischen oder von Linksextremen beeinflußten Organisationen. Die Zahl der Gewalttaten ist von 1.597 auf 1.540 gesunken. Wegen interner Auseinandersetzungen über die politische Linie haben die „Revolutionären Zellen“ nur wenige Anschläge verübt, die sich gegen die NATO-Nachrüstung gerichtet haben. Versuche, Massenbewegungen zu mobilisieren, sind gescheitert. „Inaktiv“ blieben die sieben bis zehn untergetauchten Mitglieder der RAF nach dem weitgehenden Verlust der materiellen Basis im Jahr 1982.
Verfassungsschutzbericht 1983

1983
Rote-Armee-Fraktion (RAF)

Aufgrund der starken personellen Schwächung vom Herbst 1982 tritt die RAF weder durch terroristische Erscheinungen noch durch politische Erklärungen in Erscheinung. Die Verringerung ihres Kaders auf weniger als 10 Personen sowie der fast vollständige Wegfall ihrer materiellen Basis scheinen die RAF schwer zu treffen, zumal ihr personeller Bestand durch die Festnahme von Gisela Dutzi und die Selbststellung des mutmaßlichen Mitglieds Günter Maria Rausch weiter dezi­miert worden ist.
Verfassungsschutzbericht 1983

1983
Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora(Frauenorganisation)

Im Jahre 1983 verüben die RZ und ihre Frauengruppe Rote Zora 27 Brand- und Sprengstoffanschläge. Damit zeichnet sich ein Rückgang der von ihr ausgehenden terroristischen Aktivitäten ab. Verstärkte Aktivitäten gehen von der Roten Zora mit acht Anschlägen aus. Ihre Anschläge richten sich gegen „die ökonomische und sexuelle Ausbeutung von Frauen in der 3. Welt“. Damit greift sie vermehrt Frauen berührende Themen auf. Nur sechs Anschläge richten sich gegen die NATO, die für die RZ dennoch den politischen Schwerpunkt darstellt. Aufgrund interner Streitigkeiten können sie ihre Androhung von 1982, wonach sie den bewaffneten Kampf intensivieren wollen, nicht realisieren. Kritik an der inhaltlichen Ausrichtung der RZ kommt von gewalttätigen extremistischen Linken, die ihr den Verlust von Basisnähe und elitäres Verhalten vorwerfen. Damit büßt sie Sympathien im Unterstützerumfeld ein. Hauptanschlagsziel stellt die Startbahn-West in Frankfurt mit fünf Anschlägen dar.
Verfassungsschutzbericht 1983

3. Januar 1983
Revolutionäre Zellen (RZ)

Nachdem die „Revolutionären Zellen“ (RZ) nach Auffassung von Staatsschützern allein 1982 rund 60 Anschläge verübten, jedoch kein einziger Täter ermittelt wurde, setzt das Bundeskriminalamt (BKA) nach Angaben des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ jetzt auf neue Fahndungsmethoden, um den RZ auf die Spur zu kommen.
Der Spiegel, 1/1983, S. 17

6. Februar 1983
Brandanschlag auf Frankfurter Ingenieurbüro

Auf ein mit Planungsarbeiten für den Frankfurter Flughafen beschäftigtes ­Ingenieurbüro im Frankfurter Stadtteil Nordend wird ein Brandanschlag verübt, bei dem ein Sachschaden von ca. 80.000 DM entsteht. Die Brandstifter hinterlassen am Tatort die Initialen der terroristischen Gruppierung „Revolutionäre Zellen“ (RZ) und Sprühparolen wie „Keine NATO-Startbahn“ und „Schreibtischmörder“.
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. 2. 1983

1. März 1983
Festnahme von Gisela Dutzi

In Darmstadt wird die RAF-Terroristin Gisela Dutzi (30) von den deutschen Sicher­heitsbehörden festgenommen. Nach der Festnahme des ehemaligen Führungstrios der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF) – Christian Klar, Adelheid Schulz und Brigitte Mohnhaupt – im November 1982 gelingt den Fahndern damit ein weiterer Schlag gegen den harten Kern der RAF. Bei ihrer Festnahme trägt Gisela Dutzi einen Colt vom Kaliber 45 mit zwei gefüllten Reservemagazinen, einen gefälschten Personalausweis sowie einen Schweizer und einen niederländischen Reisepaß bei sich. Doch noch wichtiger ist, daß Gisela Dutzi auch eine Einhundert-Dollar-Banknote bei sich hat: Denn dieser Geldschein stammt nach ­Angaben des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden aus dem Lösegeld, mit dem der österreichische Industrielle Palmers freigekauft worden war. Für die Sicherheitsbehörden ist Dutzi Lieferantin von Informationen über US-Einrichtungen für die Terroristenszene.
Bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit der Festnahme der mutmaßlichen Terroristin Gisela Dutzi am 1. 3. 1983 sowie bei der Postkontrolle inhaftierter Terroristen werden Beweismaterialien gefunden, die den Verdacht begründen, daß zwischen den inhaftierten RAF-Mitgliedern und ihren in Freiheit befind­lichen Genossen und Unterstützern ein neues illegales Informa­tionssystem aufgebaut werden konnte.
Die Welt, Bonn, 2. 3. 1983 u. 12. 4. 1983

28. März 1983
Bundesjustizministerium gibt Zahlen linksextremer Straftäter an

Das Bundesjustizministerium gibt bekannt, daß in der Bundesrepublik von Anfang der 70er Jahre bis Ende 1982 gegen 571 politische Extremisten, darunter 366 Linksextreme, rechtskräftige Urteile ergangen sind. Gegen 550 Personen wird noch ermittelt.
Archiv der Gegenwart 1983, S. 26547/Abs. 1

21. Mai 1983
Anschlag auf Ehrentribüne der Alliierten Militärparade

Auf die Ehrentribüne der Parade zum „Tag der Alliierten Streitkräfte“ in Berlin wird ein Sprengstoffanschlag verübt, der ein etwa ein Meter tiefes Loch reißt. Zu dem Anschlag bekennen sich die „Revolutionären Zellen“ (RZ), in deren Schreiben es u. a. heißt: „Wir drücken mit diesem Anschlag unseren Protest und Widerstand gegen die Hochrüstungspläne der NATO aus.“
Süddeutsche Zeitung, München, 25. 5. 1983

21./22. Mai 1983
KBW nur noch „Verein“

Die Delegiertenkonferenz des bisher als Partei registrierten KBW beschließt in Frankfurt am Main die Umwandlung in einen Verein. KBW-Vorstandsmitglied Hans Gerhard „Joscha“ Schmierer erklärt, der KBW habe schon seit längerem aufgehört, sich „im Sinne seiner Gründungsdokumente“ zu entwickeln. Der KBW hat noch 300 Mitglieder (1982: 500).
Verfassungsschutzbericht 1983, S. 88 f.

8. Juni 1983
Krawalle in Berlin

Wegen der Räumung weiterer „besetzter“ Häuser in Berlin-Kreuzberg kommt es zu einer Straßenschlacht zwischen „Besetzern“ und Polizei.
Verfassungsschutzbericht 1983, S. 88

12. Juni 1983
Anschlag auf Konrad-Adenauer-Stiftung

Auf das Gebäude der Konrad-Adenauer-Stiftung in St. Augustin bei Bonn wird ein Sprengstoffanschlag verübt, bei dem ein Sachschaden von etwa 50.000 Mark entsteht. Menschen werden nicht verletzt, da sich zur Zeit der Explosion niemand in dem Gebäude befindet. In einem Schreiben bekennen sich die „Revolutionären Zellen“ (RZ) zu dem Anschlag. Darin heißt es:
„Wir wollen sie (die Konrad-Adenauer-Stiftung) mit diesem Bombenanschlag direkt schädigen und zu ihrer politischen Enttarnung beitragen, denn sie spielt als Stiftung der herrschenden Rechtskoalition eine Schlüsselrolle bei der globalstrategischen Einkreisung der unterentwickelt gehaltenen Länder, insbesondere in Lateinamerika.“
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 6. 1983

13. Juni 1983
Verhaftungen in Berlin

Die Mitbegründer der Berliner „Zeitungskooperative“, Benny Härlin und Mi­chael Klöckner, werden verhaftet, weil die von der „Zeitungskooperative“ herausgegebene Zeitschrift „radikal“ Bekennerbriefe der RZ abgedruckt hat. Gegen die Verhaftung protestieren u. a. die IG Druck und Papier, der Verband deutscher Schriftsteller (VS) und die Berliner SPD.
AL, S. 39

18. Juni 1983
Krawalle in Berlin

Nach Demonstrationen gegen eine in Berlin geplante Veranstaltung der sogenannten „Konservativen Aktion“ kommt es vor allem im Bezirk Kreuzberg zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.AL, S. 39

27. Juni1983
Anschlag auf das Haus des Frankfurter Flughafenchefs

Auf das Haus des Vorstandsvorsitzenden der Frankfurter Flughafen AG (FAG), Bekker, wird ein Sprengstoffanschlag verübt. Zu dem Anschlag, der einen Sachschaden von ca. hunderttausend Mark verursacht und im Zusammenhang mit der Eröffnung eines Straßentunnels unter der Startbahn West steht, bekennt sich in einem Schreiben an die „Frankfurter Rundschau“ eine „Revolutionäre Zelle“.
Die Welt, Bonn, 29. 6. 1983; Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29. 6. 1983

28. Juli 1983
Bekennerbrief zum Anschlag auf Allianz-Versicherung

Zu dem Sprengstoffanschlag auf das Verwaltungsgebäude der Allianz-Lebensversicherung in Stuttgart, bei dem ein Sachschaden von ca. 70.000 Mark entstand, bekennt sich eine der Polizei bisher unbekannte „Revolutionäre autonome Widerstandszelle“. In dem Bekennerbrief wird der Anschlag damit begründet, daß die Versicherung zu den Unternehmen gehöre, die „uns zum Beispiel durch das Zerstören von billigem Wohnraum immer mehr unsere Lebensgrundlage entziehen“.
Süddeutsche Zeitung, München, 28. 7. 1983

9. August 1983
Bekennerbrief zu Anschlägen auf Offizierklub

Zu den Sprengstoffanschlägen auf den Offizierklub des US-Luftstützpunktes Hahn (Hunsrück), die geringen Sachschaden verursacht haben, bekennt sich eine Gruppe „Herbstanfang“. Der Bekennerbrief ist mit einem RAF-typischen roten Stern versehen und trägt die Überschrift: „Im Kampf um Leben. Krieg dem imperialistischen Krieg“. Weiterhin fordern die Autoren „den Widerstand hier in der BRD“ sowie „die verschiedenen Ansätze ernsthaft zusammenzubringen und gegen das gesamte imperialistische System zu richten.“
die tageszeitung und Frankfurter Rundschau, 9. 8. 1983

15. August 1983
Brandanschläge in Berlin

In Berlin werden Brandanschläge auf ein Möbelhaus, einen Güterbahnhof und eine Druckerei verübt und verursachen Millionenschäden. Die Berliner Sicherheitsbehörden sehen die Brandstifter in Kreisen der sogenannten „Autonomen Gruppen Kreuzberg“, denen auch die im Frühjahr dieses Jahres erfolgten Brand- und Bombenanschläge auf die Berliner Wohnungsbau-Kreditanstalt sowie auf Banken und öffentliche Gebäude zur Last gelegt werden.
Die Welt, Bonn, 16.08.1983

19. September 1983
„Rote Zora“

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet, daß die Untergruppe „Rote Zora“, weiblicher Ableger der „Revolutionären Zellen“, mit Bombenanschlägen gegen „Frauenhändler“ kämpft. In diesem Jahr verübte die Gruppe bereits vier Anschläge auf Heiratsagenturen, die deutschen Männern junge Mädchen und Frauen aus Asien, Afrika und Lateinamerika vermitteln. In Flugblättern kündigen die Bombenlegerinnen weiteren „Widerstand“ an gegen die „frauenverachtenden Praktiken“ von „Ehevermittlern und Regierungen, die diese Geschäfte unterstützen“.
Der Spiegel, 38/1983, S. 77 f.

19. September 1983
Anschlag der Revolutionären Zellen

In der Nacht zum 20. 9. verüben die linksextremen Revolutionären Zellen einen Sprengstoffanschlag auf das Rechenzentrum des MAN-Werkes in Ginsheim-Gustavsburg bei Mainz. Dabei entsteht ein Sachschaden von mehreren Millionen DM. Im in Rüsselsheim aufgegebenen Bekennerschreiben heißt es zur Begründung des Anschlags, der Maschinen- und Lastwagenhersteller MAN sei einer der größten Rüstungsproduzenten der Bundesrepublik und stelle unter anderem Transportfahrzeuge für die amerikanischen Pershing-II-Raketen her. Außerdem wird dem Unternehmen als Vertreter des „multinationalen Kapitals“ vorgeworfen, Befreiungsbewegungen in der dritten Welt zu vernichten.
JW-Informationsdienst, 21. 9. 1983

26. September 1983
Die Autonomen

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ berichtet über eine neue westdeutsche Protestbewegung, die sich „autonom“ nennt und gewalttätig vorgeht. Den Begriff „autonom“, entlehnt von italienischen und französischen Vorbildern, verwenden mittlerweile Gruppen aus der Ökologie- und Hausbesetzerszene, aus der Friedens- und Frauenbewegung. Sie propagieren „direkte Aktionen“ gegen Nachrüstung und NATO, planen die Behinderung von Munitionstransporten und die Besetzung von Militäranlagen. Friedfertige Blockaden halten sie für unwirksam. Sie planen „Widerstandsstrukturen gegen das wirtschaftliche und politische System“, eine Veränderung durch „permanente Revolte“, um das „ganze Schweinesystem“ aus den Angeln zu heben. „Einig sind wir uns darüber“, so heißt es in einem Autonomen-Thesenpapier, „daß wir den Staat … zerstören … wollen.“ (Vgl. Spiegel-Gespräch, 43/1983, S. 108 ff.) Rund 700 westdeutsche „autonome Gruppen“ haben nach Erkenntnissen der Verfassungsschützer „mehrere tausend überwiegend Jugendliche“ mobilisiert. Der niedersächsische Verfassungsschutz befürchtet, daß sich neben der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) und den „Revolutionären Zellen“ (RZ) eine „weitere Variante des Terrorismus auftun könnte“.
Der Spiegel, 39/1983, S. 35 f.

3. Oktober 1983
Anschlag auf das Haus des Chefredakteurs der „Berliner Morgenpost“

Auf das Dahlemer Haus des Chefredakteurs der „Berliner Morgenpost“, Otto, wird ein Sprengstoffanschlag verübt. Dabei entsteht erheblicher Sachschaden. Am 4. 10. 1983 geht ein mit einem schwarzen Stern unterzeichneter Bekennerbrief zu diesem Sprengstoffanschlag bei der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin ein. „Bisher“, so schreiben die Täter, „konnten hier trotz ,Enteignet-Springer‘- und ,Anti-Bild‘-Kampagnen Springerjournalisten ungestraft ihren Schmutz verbreiten. Wir haben damit begonnen, diesen Mißstand anzugehen…“.
Der Tagesspiegel, 4. 10. 1983; Berliner Morgenpost, 5. 10. 1983

2. November 1983
Behörden rechnen mit Terroraktionen bei Raketenstationierung

Für den Fall einer Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen rechnen die deutschen Sicherheitsbehörden mit zunehmenden linksterroristischen Aktivitäten aus dem Bereich der „Roten-Armee-Fraktion“ (RAF) und der „Revolutionären Zellen“ (RZ). Dem veröffentlichten Bericht des Bundesinnenministeriums zufolge haben sich im ersten Halbjahr 1983 die „Revolutionären Zellen“ und die RZ-Frauengruppe „Rote Zora“ zu insgesamt 19 Anschlägen bekannt. Das Motiv sei die Gegnerschaft zur Startbahn West in Frankfurt.
General-Anzeiger, Bonn, 3. 11. 1983

20. Dezember 1983
Haftbefehle gegen mutmaßliche Terroristen

Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes (BGH) erläßt auf Antrag von Generalbundesanwalt Rebmann gegen vier aus dem Raum Rüsselsheim stammende Männer Haftbefehl wegen des dringenden Verdachts der Vorbereitung von Sprengstoffverbrechen. Darüber hinaus sind sie dringend verdächtigt, Mitglieder einer terroristischen Vereinigung zu sein. Zwei von ihnen haben zudem vermutlich für die „Rote-Armee-Fraktion“ (RAF) geworben. In den Wohnungen des Quartetts werden nicht nur Parolen und Insignien der RAF, sondern auch Briefe einiger inhaftierter RAF-Mitglieder sowie ein Gerät zum Bombenbau, Skizzen und Luftfotos militärischer Einrichtungen gefunden. Bei den Verhafteten handelt es sich um Joachim Weickert (24), Michael Brand (24), Klaus Dieter Wagner (25) und Elmar Flamme (21). Generalbundesanwalt Rebmann bezeichnet den Vorgang als „beachtlichen Einbruch in das RAF-Umfeld“.
Frankfurter Neue Presse, 20. 12. 1983 (Rheinische Post, 21. 12. 1983)

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben

AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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