Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit durch „Verfassungsschutz”

Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit durch „Verfassungsschutz“ – Innovationsverlust durch politisch-weltanschauliche Wettbewerbsbeschränkungen im Parteienstaat

Josef Schüßlburner

Mit seinem Artikel 5 Absatz 3 Satz 2 enthält das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) eine schwer interpretierbare Einschränkung der Freiheit der Wissenschaft, für die es in den liberalen Demokratien des Westens keinen Vergleichsfall gibt und wofür auch in der jüngsten deutschen Verfassungsgeschichte kein Bezugspunkt existiert: Danach „entbindet“ die „Freiheit der Lehre“ „nicht von der Treue zur Verfassung“. Soweit dabei unter „Verfassungstreue“ etwas anderes verstanden wird als das, was man unter „Gesetzestreue“ versteht (Kritik am Mietrecht, also „Mietrechtsfeindlichkeit“ ist danach kein Beleg für Nichteinhaltung mietrechtlicher Verpflichtungen), dann kann dies nur zur Annahme führen, daß eine nicht im Einklang mit Verfassung / Demokratie oder gar nur im Widerspruch zum GG stehende Lehrmeinung mit dienstrechtlichen Konsequenzen (Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Dienstentlassung etwa wegen verfassungsfeindlichen Menschenbildes und verfassungsuntreuer Staatsauffassung) verboten sein soll. Ein derartiges nicht mehr juristisches, sondern verfassungstheologisches Verständnis von „Verfassungstreue“ (Kritik an GG „belegt“ dann die Bereitschaft zum Verfassungsbruch oder stellt diesen schon dar) entfaltet vor allem dann einschneidende Verbotswirkung, wenn „die Verfassung“ ideologisiert als „Weltenei“ verstanden wird, aus dem sich eigentlich für alle Lebensfragen mehr oder weniger zwingende Antworten ergeben. Dann wären in vielen Wissenschaftsbereichen nur bestimmte Erkenntnisse als „verfassungskonform“ vorgesehen.

Zwar will die verfassungsrechtliche Kommentarliteratur so weit doch nicht gehen, um zum „Schutz der Verfassung“ alle möglichen „Irrlehren“ zu verbieten, allerdings bleiben bei der üblichen Nichtakzeptanz der vom Gesetzmäßigkeitsprinzip gebotenen Annahme: „Verfassungstreue = Gesetzestreue“ die Versuche, eine „liberalere“ Auslegung dieser GG-Bestimmung zu finden, äußerst unberechenbar. Diese rechtliche Unklarheit vergrößert die ohnehin aufgrund des konzeptionellen „Verfassungsschutzes“ bestehende Unsicherheit bei der verfassungsrechtlichen Gewährleistung der allgemeinen Meinungsfreiheit, insbesondere in Bezug auf das öffentliche Dienstrecht. Diese Freiheitsbeschränkung in einem Bereich, der Grundlage einer modernen Wissensgesellschaft darstellt, steht dabei in einem inneren Zusammenhang mit den das politische Parteiwesen betreffenden restriktiven Vorschriften von Artikel 21 GG, welche „die liberalen Demokratien des Westens nicht kennen“ (Bundesverfassungsgericht im KPD-Verbotsurteil). Dabei kann die unberechenbare Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit von etablierten Gegnern des freien Ideen- und Parteienwettbewerbs, insbesondere von Befürwortern des „Kampfes gegen Rechts“, als Beleg dafür genutzt werden, daß mit dem nach Artikel 21 Abs. 2 GG wohl möglichen Parteiverbot im klaren Widerspruch zur Garantie der Meinungsfreiheit auch die von einer Partei vertretenen Ideen aus dem Prozeß der politischen Meinungsbildung „ausgeschieden“ werden dürfen (so ebenfalls das Verfassungsgericht; im SRP-Verbotsurteil).

Da einer staatlichen Ideenunterdrückung aufgrund der damit verbundenen behördlichen Emanzipation vom Legalitätsprinzip eine ausweitende Tendenz innewohnt, was auch den Interessen etablierter konkurrierender Strömungen geschuldet ist, die von der Freiheitsbeschränkung profitieren, ist aufgrund dieser rechtlichen Unsicherheit die Grundlage wissenschaftlichen Denkens gefährdet. Selbst wenn durch den rechtlich unklaren „Verfassungsschutz“ primär geisteswissenschaftlicher Tätigkeit als einer die Legitimität der staatlichen Verfassung angeblich gefährdenden Gedankentätigkeit eine Grenze gesetzt sein dürfte, so droht sich die damit verbundene Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit zumindest mittelfristig aufgrund des inneren Zusammenhangs der Wissenschaftsbereiche auch nachteilig auf den wirtschaftlich-technischen Fortschritt auszuwirken. Die methodische Verknüpfung der Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit mit etablierten parteipolitischen Machtinteressen, die sich mit „Verfassungsschutz“ legitimieren, wirkt sich insgesamt nachteilig auf die Wettbewerbskonzeption von Demokratie und damit deren Freiheitsgrad aus. Bei Annahme einer Interdependenz der gesellschaftlichen Subsysteme (freier Parteienwettbewerb im politischen System, freier Ideenwettbewerb in der Wissenschaft, freier Marktwettbewerb im wirtschaftlichen Subsystem) wird durch die gegen politische und weltanschauliche Ideen gerichtete bundesdeutsche Verfassungsschutzkonzeption über die Beschränkung der Wissenschaftsfreiheit die wirtschaftliche Rationalität der politischen Gesamtordnung beeinträchtigt.

Die hohe Staatsverschuldung als synthetische Größe, welche die Effektivität des politischen Gesamtssystems zu bewerten erlaubt, deutet an, daß die nicht zuletzt durch „Verfassungsschutz“ als weltanschaulich-politische Wettbewerbsbeschränkung herbeigeführten bundesdeutschen Systemmängel bereits die Grundlagen des wirtschaftlichen Fortschritts zur Erosion bringen.

Abzuwenden ist der schon mittelfristig drohende Wohlstandsverlust durch die Erhöhung des parteipolitischen und weltanschaulich-wissenschaftlichen Ideenwettbewerbs. Die Auflösung der gegen die Wissenschaftsfreiheit wirkenden parteipolitischen Kartellsituation kann nur durch die Anerkennung der Legitimität einer politischen Position rechts der Mitte erreicht werden. Erst dadurch wird durch Gewährleistung des unbeschränkten Wettbewerbs der Ideen Freiheit umfassend verwirklicht. Die Gewährleistung des offen zum Ausdruck gebrachten Links-Rechts-Antagonismus als Grundlage einer freien Demokratie und als Voraussetzung für die Kostensenkung des politischen Systems, welche zur Wahrung des Wohlstands durch Auflösung von Kartellverhältnissen durch Wettbewerb (etwa der Möglichkeit einer freien und offenen Opposition gegen kostspieligen Europa-Extremismus) ermöglicht wird, hat der Verfasser in seinem neuesten Werk postuliert:

Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte von Josef Schüßlburner, erschienen im Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe – 1. Oktober 2010, 8,50 Euro), erhältlich auch hier.

Die vorliegende Abhandlung stellt eine leicht überarbeite Fassung einer für die Deutschland-Bewegung im Jahr 2005 erstellten dar: Josef Schüßlburner, Die Chancen alternativer Wissenschaft- und Politikansätze unter den Bedingungen von Parteienstaat und Innovationsverlust Zugleich ein Beitrag zur demokratietheoretischen Betrachtung der Bundesrepublik Deutschland. Unser-Land-Studie 2/2005, 30 Seiten.

“Bedrohung der Wissenschaftsfreiheit durch „Verfassungsschutz“ – Innovationsverlust durch politisch-weltanschauliche Wettbewerbsbeschränkungen im Parteienstaat”

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