Zivilrecht als politisches Kampfinstrument? Zur Kündigung von Girokonten aus politischen Gründen
Josef Schüßlburner
Das hiermit online gestellte Gutachten gilt unter juristischen Experten bereits als „Klassiker“. Von Seiten der politischen Linken ist diese Darlegung dafür verantwortlich gemacht worden, daß die im Jahr 2000 eingeleitete Politik der (linken) „Zivilgesellschaft“, Unternehmen zu Boykottmaßnahmen gegenüber unerwünschten Parteien und Presseorganen, insbesondere zur Kontenkündigung zu nötigen, letztlich an der höchstrichterlichen Rechtsprechung gescheitert ist.
Unter Jura-Studenten stellt dieses Gutachten wegen seiner besonderen Behandlung der schwierigen Problematik der Grundrechtsgeltung im Privatrechtsverhältnis einen „Geheimtyp“ für Hausarbeiten dar. Das Gutachten löst die entsprechende Problematik nach einer Auseinandersetzung mit den üblichen Argumenten durch die Darlegung von Sinn und Zweck der verfassungsrechtlichen Garantie der Privatautonomie, deren verfassungsrechtliche Ableitung als Verfassungsprinzip jenseits bisheriger Theorieansätze vorgenommen wird: Durch die Garantie der Privatautonomie soll weitgehend eine politische Instrumentalisierung des Zivilrechts zu politischen Zwecken verhindert werden, da dies eine Rückkehr zu einer vordemokratischen „feudalistischen“ Ordnung bedeuten würde, die „modern“ als „Sozialismus“ in Erscheinung getreten ist.
Die 2001 veröffentlichte Darstellung ist zum Bedauern des Verfassers noch immer aktuell und kann mit unwesentlichen Änderungen nunmehr online gestellt werden. Die seit 2001 eingetretene Rechtsentwicklung, insbesondere der Erlaß des diskriminierenden Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist in einem „Vorwort 2012“ dargelegt.
Die Redaktion dankt dem Friedenskomitee 2000 der Deutschland-Bewegung, Postfach 13 08, 82303 Starnberg, für die Einwilligung zur Online-Veröffentlichung. Als gebundene Broschüre ist das Gutachten nur noch in Bibliotheken wie der Deutschen Nationalbibliothek einsehbar.
Die Untersuchung zur Rechtswidrigkeit der politisch motivierten Kontokündigungen kommt zu folgenden Ergebnissen:
1. Die ständige Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zugunsten der Gleichhandlung von sog. extremistischen Parteien bei der Benutzung von öffentlichen Einrichtungen erlaubt die eindeutige Aussage, daß die Kündigung von Girokonten gegenüber Parteien und sonstigen Vereinigungen rechtswidrig wäre, wenn sie von einer Verwaltungsbehörde mit der Einordnung einer entsprechenden Organisation als „rechtsextremistisch“ begründet werden würde, die in sog. VS-Berichten vorgenommen wird. Eine derartige Kündigung verletzt die in Art. 3 Abs.3, 5 und 9 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 und 21 GG enthaltenen Grundrechte und Verfassungsprinzipien. Die Rechtswidrigkeit der politisch motivierten Kündigung der Girokonten ergibt sich bei Vertragsbeziehungen der öffentlichen Hand aus § 134 BGB, da für den Staat und seinen Organen die Grundrechte gemäß Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar geltende Verbotsnormen darstellen.
2. Aus dem gleichen Grunde ist eine derartige Kündigung / Vertragsverweigerung auch rechtswidrig, wenn sie nicht von einer Behörde, sondern von einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, wie von einer in Form der öffentlichen Anstalt organisierten Sparkasse vorgenommen wird. Da sich der Staat nicht durch die „Flucht ins Privatrecht“ den zwingenden Verpflichtungen des öffentlichen Rechts, insbesondere des Verfassungsrechts entziehen kann, ist die Kündigung seitens einer Aktiengesellschaft wie der Deutschen Postbank AG wegen Verletzung der genannten Grundrechte rechtswidrig, solange eine derartige AG von staatlichen Stellen kontrolliert wird oder auch nur eine staatliche Beteiligung vorliegt.
3. Politisch motivierte Kündigungen sind aber auch rechtswidrig, wenn sie von wirklichen Privatrechtssubjekten vorgenommen werden, die im öffentlichen Auftrag derartige Kündigungen aussprechen. Sofern ein ausdrückliches Auftragsverhältnis zwischen Bank und staatlichen Stellen („Verfassungsschutz“) nicht vorliegt oder nicht nachgewiesen werden kann, ist eine analoge Anwendung des Grundrechtsschutzes zugunsten der ideologiepolitisch diskriminierten Kunden geboten, wenn sich die Privatbanken eigenmächtig oder unter Berufung auf staatliche Stellen eines (gesellschafts-)politischen Auftrags berühmen, die Kündigungen die ausdrückliche Billigung durch staatliche Stellen wie die öffentlich in Erscheinung tretenden Inlandsgeheimdienste erfahren und Anzeichen dafür vorliegen, daß den Kündigungen kartellartige Abreden zugrunde liegen, vermittels derer mit Duldung oder Förderung politischer Kräfte eine marktbeherrschende Stellung begründet wird, die wiederum den kündigenden Unternehmen ein Verhalten erlaubt, das sich bei rein kommerzieller Betrachtungsweise als untypisch und kaum sinnvoll darstellt. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich auch insoweit aus § 134 BGB.
4. Die politisch motivierten Kündigungen durch Geschäftsbanken als juristischen Personen des Privatrechts sind nach § 138 BGB rechtswidrig. Dies gilt zumindest für juristische Personen des Privatrechts, die aufgrund ihrer „kapitalistischen“ Ausrichtung dem Mitbestimmungsgesetz unterliegen und dabei nicht als sog. Tendenzbetriebe eingeordnet werden können. Juristische Personen mit rein kommerzieller Zielsetzung unterliegen nämlich dem Entpolitisierungs- und Sachgerechtigkeitsgebot, das der Trennung von Staat und Gesellschaft und der Ausdifferenzierung von Privatrecht und öffentlichen Recht zugrunde liegt. Mit diesen grundlegenden Systemprinzipien der durch § 138 BGB geschützten öffentlichen Ordnung soll zum einen das „plutokratische“ Unterlaufen von Demokratie und zum anderen die politische Funktionalisierung der Privatrechtsordnung verhindert werden.
5. Im übrigen mißachten die politisch motivierten Kündigungen durch Privatbanken die rechtstheoretisch unterschiedlich begründbare Ausstrahlungswirkung der einschlägigen Grundrechte, da im Lichte dieser Grundrechte den Geschäftsbanken die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehungen mit den staatlich diskriminierten Organisationen in aller Regel nach § 242 BGB oder einer Spezialvorschrift wie § 626 BGB zugemutet werden kann: Das Girokontenverhältnis ist einerseits als unpersönlich-technisch einzustufen, so daß in der Regel keine besonderen Interessen von Banken an der Beendigung von Verträgen mit vertragstreuen Kunden bestehen. Andererseits ist ein Girokonto für Bankkunden Voraussetzung ihrer Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr, so daß gewichtige Argumente dafür sprechen, aus Gründen der Daseinsvorsorge einen Kontrahierungszwang anzunehmen. Dieser ist vom Gesetzgeber bei der Kodifizierung des Girovertrages nicht ausdrücklich statuiert worden, nicht zuletzt deshalb, weil die Bankenverbände die Beachtung des Standards „Girokonto für jedermann“ zugesichert haben. Die Ratio dieser Zusicherung, nämlich die Anerkennung des Angewiesenheit auf die Führung von Girokonten, gilt nicht nur für einkommensschwache Kunden, sondern auch für Parteien und Verlagsgesellschaften. Ein Abstreiten dieses Standards aus ideologie-politischen Gründen ist als treuwidrig i. S. von § 242 BGB einzustufen.
6. Die Berufung der Banken auf die Vertragsfreiheit zur Rechtfertigung der politisch motivierten Kündigungspraxis greift im Ergebnis nicht durch. Soweit es um Kreditinstitute im Staatsbesitz geht, steht diesen die Privatautonomie im Sinne eines Substrats grundrechtlicher Berechtigungen ohnehin nicht zu. Die Grundrechtsstellung juristischer Personen ist gemäß Art. 19 Abs. 3 GG gegenüber natürlichen Personen beschränkt. Je unpersönlicher / „kapitalistischer“ die juristische Person ausgestaltet ist, desto geringer stellt sich die grundrechtliche Berechtung dar und desto stärker stellt sich die berechtigte Inpflichtnahme durch die öffentliche Ordnung dar. Die Legitimität privatrechtlicher Gestaltungsakte hat außerdem das Bestehen einer Wettbewerbsordnung zur Voraussetzung. Sofern Anzeichen für wettbewerbswidriges Verhalten oder Staatseinfluß, etwa durch Inlandsgeheimdienste oder staatlich fördernde „Toleranzbehörden“ vorliegen, hört die Privatautonomie auf und es wird illegitime (politische) Macht ausgeübt. Diese unterliegt jedoch wiederum der Kontrolle durch das öffentlich Recht, was über §§ 242, 134 und 138 BGB zur Nichtigkeit der politisch motivierten zivilrechtlichen Gestaltungsakte führt.
Im Hinblick auf den generellen Ansatz, das Zivilrecht als Kampfinstrument der „Zivilgesellschaft“ gegen „rechts“ auszugestalten, ist zu sagen:
1. Die Tatsache, daß US-amerikanische Urteile, die mit Hilfe des zivilrechtlichen Schadensersatzrechts strafrechtsähnliche Sanktionen durchsetzen wollen, mit dem deutschen ordre public unvereinbar sind und daher nicht als vollstreckbar anerkannt werden können, führt zu der Schlußfolgerung, daß diese deutschen Systemvorstellungen widersprechenden amerikanischen Rechtsvorstellungen, mittels derer „Nazis in den Konkurs“ getrieben werden sollen, in Deutschland bei Geltung des Grundgesetzes im Wege der Rezeption des amerikanischen Rechts durch Gesetzesänderung nicht verwirklicht werden könnten.
2. Die unter dem Vorbehalt des ordre public stehende und damit die grundlegenden Systemprinzipien des deutschen Verfassungsrechts vor politischer Verfremdung geschützte, aber auch davor zu bewahrende Privatautonomie besitzt nämlich als Verfassungsprinzip, das etwa in der Trennung von Staat und Gesellschaft zum Ausdruck kommt, Verfassungsrang. Diese Zivilrechtskonzeption, die zur Verhinderung „plutokratischen“ Unterlaufens von Demokratie mit einer weitgehenden Entpolitisierung des Zivilrechts verbunden ist, wird in der Kompetenznorm des Art. 74 Nr. 1 GG für das „bürgerliche Recht“ verfassungsrechtlich vorausgesetzt. Die diese Konzeption schützende verfassungsrechtliche Norm läßt sich dem Art. 152 WRV entnehmen, der einer gegen die Systemprinzipien der deutschen Rechtsordnung widersprechenden Instrumentalisierung des Zivilrechts, insbesondere als Mittel eines zivilen „Privatkriegs“, mit dem Vorwurf der „Sittenwidrigkeit“ begegnet. Insofern bringt § 138 BGB, wie der Hinweis auf das „Sittengesetz“ in Art. 2 Abs. 1 GG zeigt, eine Norm des Verfassungsrechts zum Ausdruck. Diese setzt wiederum „Rechtsreformen“, die auf eine politische Instrumentalisierung des Zivilrechts abzielen, enge verfassungsrechtliche Grenzen.
3. Der Ausbau des Zivilrechts zum politischen Kampfinstrument kann nicht an die Stelle von öffentlich-rechtlichen Beschränkungen der politischen Freiheit, wie Grundrechtsverwirkung oder Partei- und Vereinsverbot treten und dabei den geringeren Freiheitsgrad der politischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit dem „freien Westen“ kaschieren helfen. Vielmehr würde der diskriminierende Einsatz zivilrechtlicher Gestaltungsrechte zu einer Kumulation der Unzulänglichkeiten der politischen Ordnung führen: Der politische Gegner würde nicht nur, wie im Falle der Grundrechtsverwirkung und des öffentlich-rechtlichen Parteiverbots, sowie bei der Anwendung der Verbotssurrogate (VS-Eintragung), „entpolitisiert“, sondern auch noch zivilrechtlich bei Verstoß gegen die Menschenwürdegarantie „entbürgerlicht“.
4. Diese Kumulation „sonderweglicher“ Demokratieschutzansätze, wie ideologisches Parteiverbot und groteske Aufwertung der Bedeutung von Inlandsgeheimdiensten, mit zivilrechtlichen Formen politischer Diskriminierung droht von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu einer versuchsweise als „antifaschistisch-liberalextremistisch“ zu kennzeichnenden Ordnung eines „Gesellschaftsstaates“ überzuführen, der mit seinem obersten „Wert“ „Bevölkerungsverständigung“ – einer Verfälschung der Völkerverständigung i. S. von Art. 9 Abs. 2 GG – eine gegen das Volkssouveränitätsprinzip nach Art. 20 GG verstoßende Fremdbestimmung deutlich machen würde.
5. Durch die Politisierung zivilrechtlicher Gestaltungsrechte im Kampf der „Zivilgesellschaft“ „gegen rechts“ droht der Rückfall in ein vormodernes „feudalistisches“ Herrschaftssystem, das den durch sachgerechte gesellschaftliche Arbeits- und Funktionsteilung erreichten Wohlstand bedroht, eine Umgehung grundlegender öffentlich-rechtlicher Vorschriften beinhaltet und Formen eines schleichenden Privatkriegs – privatrechtliche „Strafe“ für falsche politische Einstellung – institutionalisiert. Die alternative Gesellschaftskonzeption, die sich mit der Instrumentalisierung des Zivilrechts als politisches Kampfinstrument auftut, trifft damit ebenfalls das Verdikt der Sittenwidrigkeit i. S. von § 138 BGB und des Art. 2 Abs. 1 GG.
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