Verfassungsdiskussion Teil 13

Beiträge zur Verfassungsdiskussion – 13. Teil: Verfassungsdiskussion als notwendige Delegitimierung der BRD-Zivilreligion und Voraussetzung eines bleibenden AfD-Erfolgs

Von Josef Schüßlburner

(Stand: 14.09.2024) Was könnte Aufstieg und feste Etablierung der Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) noch verhindern, zumal die Wirkung des sogenannten „Verfassungsschutzes“ sich sehr zu vermindern scheint und selbst die Kriminalisierungsversuche und die methodische Kriegsführungsmentalität der „Vierten Gewalt“ nicht durchgreifend wirksam zu sein scheinen? Das größte Hindernis stellt nicht das Christentum dar, wie ein Verfasser meint, auch wenn sich zuletzt die deutsche Katholische Bischofskonferenz – vergleichbar der Haltung des Moskauer Patriarchats zum „Putin-Regime“ – den Vorgaben des Inlandsgeheimdienstes unterworfen hat, was in der Bibel, die eigentlich für Bischöfe maßgeblich sein sollte, wohl nicht vorgesehen ist (oder doch: man muß der VS-Obrigkeit gehorchen?). Vielmehr ist das mögliche Hindernis eines bleibenden AfD-Erfolgs das, was man als „Zivilreligion“ einstuft, die sich naturgemäß mentalitätsmäßig und strukturell an einer jeweils tradierten Religion anlehnt, aber davon geschieden werden muß (wenngleich mit dem zivilreligiösen Begriff „christdemokratisch“ schon ein demokratierelativierender Übergang von Religion zur Zivilreligion und umgekehrt angelegt ist). Zivilreligion beschreibt die religiösen Elemente einer politischen Herrschaft, die in der Menschheitsgeschichte immer die Machtausübung legitimiert hat; lediglich die moderne Demokratie nimmt unter Berufung auf das Rechtsstaatsprinzip und dessen weltanschaulicher Neutralität für sich in Anspruch, auf eine derartige religiöse Herrschaftsbegründung verzichten zu können, weshalb eine verbindliche Zivilreligion sich in der Tat als demokratiegefährdend darstellt, aber trotzdem (unvermeidbar?) vorhanden ist. Dies zeigt vor allem das Beispiel USA, wo verfassungsrechtlich eine strikte Trennung von Staat und Kirche vorgegeben ist, aber dann eine Verschmelzung von Politik und Religion in einer Weise stattfindet, die es erlaubt, Amerika als „Nation mit der Seele einer Kirche“ zu kennzeichnen.

Obwohl der Parlamentarische Rat explizit das abgelehnt hat, was dann als „Vergangenheitsbewältigung“ getauft werden sollte (weshalb sich in der Grundgesetz-Präambel, anders als in den vorkonstitutionellen Landesverfassungen von Bremen und Bayern keine umschreibende NS-Erwähnung findet), hat sich die religiöse Gestimmtheit, die sich vor allem durch das Stuttgarter Schuldbekenntnis des deutschen Protestantismus zum Ausdruck gebracht hatte, trotz der Warnungen des angehenden Bundeskanzlers Adenauer (Grundgesetz sei nicht mit den Zehn Geboten zu vergleichen), bei den Grundgesetzberatungen und dann bei Auslegung und (geheimdienstlichen) Anwendung des Grundgesetzes durchgesetzt. Die maßgebliche Zivilreligion besteht deshalb in einer religiösen Aufwertung des Grundgesetzes, insbesondere der Menschenrechte, was jedoch dem rechtsstaatlichen Charakter einer Verfassung nicht guttut, sondern dann Ketzerverfolgungen unter Berufung auf eine Verfassung hervorruft, die doch eigentlich Freiheit verspricht. BRD-staatlich identifizierte Ketzerei wird als „Extremismus“ ausbuchstabiert, wobei dieser aufgrund eines gewissermaßen kirchenrechtlichen Verständnisses von Verfassung weitgehend zivilreligiös definiert ist: man ist danach nämlich auch oder gar vor allem „Verfassungsfeind“, wenn man sich völlig rechtmäßig verhält. Verfassungsideologisch wird dabei zunehmend angedockt an die „mit biblischer Wucht“ eingeführte Menschenwürde, die bei religiöser Erhöhung, die diesem Begriff gewollt anhaftet, zur staatlichen Feindbestimmung besonders brauchbar ist. Diese unter Berufung auf Verfassungswerte ausgesprochene staatliche Feinderklärung gegen  Staatsbürger, die keine Rechtsverletzungen begangen haben, wird jedoch sehr diskriminierend praktiziert, wie man daran erkennt, daß die amtliche Ausrufung zum „Rechtsextremisten“, also das dabei implizierte Nazifizieren politischer Opposition als irgendwie verbrecherisch, von dieser zur zivilreligiösen Kampfparole umgewertete Menschenwürde abgedeckt, wenn nicht gar geboten zu sein scheint. Menschenwürdefeind wird man daher, wenn man ganz sachlich zu bestimmten vorrechtlichen Voraussetzungen einer Demokratie vorträgt und etwa ein Konzept wie Israel als Heimstätte des jüdischen Volkes rezeptiv befürwortet (Deutschland als Heimstätte des deutschen Volkes scheint deshalb „verfassungsfeindlich“ zu sein oder zumindest zivilreligiös so zu werden).

Neben anderem kann als Inhalt der vor allem vom Inlandsgeheimdienst als „Verfassung“ insbesondere mit dem Vorwurf des „Geschichtsrevisionismus“ geschützten Zivilreligion ausgemacht werden ein Deutschland ablehnender Amerikanismus, der Deutsche bei faktischer Beseitigung von Staatsgrenzen durch Demokraten ersetzen will und damit zu einer impliziten Umformulierung des Diensteides führt, der wie folgt formuliert sein müßte, um das auszudrücken, was die politische Klasse der BRD zivilreligiös motiviert: „Ich schwöre, daß ich meine Kraft dem Wohle der Demokratie widmen, ihren Nutzen mehren, Schaden von ihr wenden, das Grundgesetz (als Ergänzung / Ersatz der Zehn Gebote) und die (Demokratieförderungs-)Gesetze des Bundes wahren und gegen (rechte) Verfassungsfeinde verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und (Einreise- und Einbürgerungs-) Gerechtigkeit gegen Menschen mit Menschenwürde üben werde. So wahr mir Gott helfe.“

Da die repressive und antioppositionell eingesetzte Zivilreligion mit dem religiös aufgewerteten Grundgesetz – ob zu Recht oder zu Unrecht braucht dabei nicht entschieden werden – unauflösbar verbunden ist, ist der wesentliche Ansatz zur Überwindung dieser Zivilreligion letztlich zum Zwecke des Überlebens der AfD als Wahrung von Meinungs- und Parteienpluralismus die Verfassungsdiskussion, die durch Artikel 146 GG des rechtsstaatlich verstandenen Grundgesetzes legitimiert ist. Der zentrale Ansatz ist dabei die Erkenntnis, daß das zivilreligiös heiliggesprochene Grundgesetz zum Zwecke der natürlich wünschenswerten Wiederbegründung der Demokratie nach der NS-Diktatur (und dem alliierten Militärregime) eigentlich überflüssig war, weil Deutschland eine rechtsstaatliche und demokratische Verfassung hatte, die dabei formal gar nicht außer Kraft getreten, sondern (mit Zustimmung von CDU / CSU und FDP – um diese „Codes“ zu verwenden -) nur suspendiert worden war. Man hätte also wie in der Republik Österreich verfahren können, wo die Verfassung von 1920 in der Fassung von 1929, als sie dem semipräsidialen Regierungssystem der Weimarer Reichsverfassung angeglichen worden war, wieder in Kraft gesetzt worden ist. Folge davon ist, daß der Rechtstatus einer FPÖ gesichert ist, während dies hinsichtlich der AfD unter dem zivilreligiös praktizierten Grundgesetz erkennbar nicht der Fall ist.

Stellt man die Frage, weshalb dann anstelle der freien Weimarer Reichsverfassung das nur freiheitliche Grundgesetz getreten ist, dann kann dies maßgeblich auf zivilreligiöse Bedürfnisse zurückgeführt werden, insbesondere benötigten die USA als Sinai-Macht das Gefühl „democracy“ durchgesetzt zu haben. Deshalb darf man Demokratie nicht wirklich als „eine deutsche Affäre“ (Hedwig Richter) ansehen, weshalb mittlerweile sogar die Bundesflagge problematisch zu werden beginnt, weil sie über den amerikanischen Sinnstiftungshorizont der BRD-Bildung durch die amerikanischer Sinai-Macht in die deutsche Vergangenheit zurückreicht, die doch eigentlich bis zurückgehend zu den Germanen (die ohnehin schon ein NS-Konstrukt darstellen) nur als Vorstufe zum Holocaust verstanden werden darf. Am Grundgesetz ist daher insgesamt weniger der inhaltliche Text problematisch, sondern die eigentliche Problematik liegt in seiner zivilreligiösen Grundierung und Funktionalisierung, deren Folgen dann die durchaus gegebene Rechtsstaatlichkeit immer wieder überlagern, wie zuletzt etwa durch die Gegenentwurfskonstruktion des Bundesverfassungsgerichts, wodurch ein nach rechtsstaatlicher Grundgesetzauslegung verfassungswidriges Gesetz dann doch verfassungsgemäß ist, weil es der staatlichen Bewältigungspolitik, also zivilreligiösen Bedürfnissen dient. 

Die notwendige Verfassungsdiskussion mag zwar nicht zur förmlichen Anwendung von Artikel 146 GG führen, jedoch kann durch den damit angestoßenen Verfassungsvergleich (etwa durch Vermittlung der Erkenntnis: AfD wäre nach der freien Weimarer Reichsverfassung besser geschützt als nach dem nur freiheitlichen Grundgesetz) maßgebend erreicht werden, daß die Zivilreligion delegitimiert wird und sich so der durchaus gegebene rechtsstaatliche Charakter des Grundgesetzes durchsetzt mit der Folge, daß die Bundesrepublik Deutschland vielleicht auch ohne Grundgesetzänderung (die man allerdings in zentralen Punkten zur Gewährleitung des Mehrparteienprinzip und des Meinungspluralismus im Wege der Verfassungsdiskussion anstreben sollte) doch noch eine „liberale Demokratie des Westens“, also eine normale Demokratie wird. In derartigen Demokratien darf man eine politisch rechte Agenda vertreten, ohne Verbotsdrohungen wegen eines ideologischen „Rechtsextremismus“ unterworfen zu werden. Die Etablierung der AfD wäre dann bei der damit verbundenen Delegitimierung der Zivilreligion gesichert.   

Hinweis
Die gesamten Beiträge zur Verfassungsdiskussion stellen insofern eine Ergänzung zur Broschüre des Verfassers zur AfD dar, als darin dargelegt wird, daß von einer „Alternative für Deutschland“, die diesem mit der Parteibezeichnung zum Ausdruck gebrachten hohen Anspruch gerecht werden will, auch eine Verfassungsalternative (zentrale Grundgesetzänderungen bis zur Grundgesetzablösung gehend) als politisches Konzept entwickelt werden müßte. Zumal dies aus vorliegend dargestellten Gründen im Eigeninteresse des Überlebens als legitimer Rechtsopposition, die den politischen Pluralismus und damit die Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland garantiert, erforderlich ist.


Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

„Verfassungsdiskussion – Teil 13“

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