Sozialismusbewältigung Teil 28

28. Teil: Progressiver Rassismus

Josef Schüßlburner

(Stand: 14.05.23) Die der marxistischen Theorie des Klassenkampfes als Fortschrittsmechanismus zugrundeliegende Rassenkampftheorie hat sich im Laufe der Entfaltung des Sozialismus im 20. Jahrhundert immer wieder dahingehend ausgewirkt, daß selbst Sozialisten, die sich als Anti-Rassisten definierten, ihrem politischen Gegner so kategorisierten wie Rassisten die Angehörigen einer als minderwertig angesehenen Rasse. Diese quasi-rassistische Mentalität ist etwa für den bundesdeutschen „Kampf gegen rechts“ kennzeichnend. Häufig trat dann jedoch der der Klassenkampftheorie zugrundeliegende Rassismus in Form einer politischen Biologisierung, wofür das Schlagwort „Sozialdarwinismus“ steht, explizit hervor, ja dies kann unter Umständen, etwa bei Unterminierung der Plausibilität der marxistischen Doktrin, dazu führen, daß der Klassenkampf zur Verwirklichung des Sozialismus doch wieder durch eine explizite Rassenkampftheorie ersetzt wird. Dafür steht etwa die Erscheinung des deutschen Nationalsozialismus. 

Die Paradoxie besteht dabei darin, daß gerade das rassistische Element des deutschen Nationalsozialismus das eigentlich Sozialistische am ihm darstellt, womit auch der internationalistische Ansatz des Sozialismus impliziert ist (was auch eine gewisse Inkonsistenz der Rassenlehre bei Hitler erklärt), weil Rassismus eben auf die Menschheit als solche ausgerichtet ist und dabei eine Theorie impliziert hat, wie der Menschheitsfortschrift zu bewerkstelligen ist. Gerade die Absicht der politischen Gestaltung des auch biologisch verstandenen Fortschritts zum Sozialismus verführte im Interesse der Beschleunigung des Fortschritts zur Annahme, diesen durch Ausrottung von reaktionären Menschenkategorien herbeizuführen. Das entsprechende Gedankenmuster läßt sich gut bei dem späteren Tscheka-Chef Felix Dscherschinski nachweisen, der unter bemerkenswerter Bezugnahme auf den SPD-Gründer Lassalle, wonach jede Verfassung das in einem bestimmten Land bestehende soziale Kräfteverhältnis festschreibe, die Überlegung anstellte, ob man dieses durch Klassenkampf zu verändernde soziale Verhältnis nicht radikal dadurch ändern könnte, indem man bestimmte Gesellschaftsschichten einfach ausrottet; eine Überlegung, die dann in der Proklamation von Sowjetkommissar (Minister) Grigori Sinowjew ihren Niederschlag fand, durch „eigenen sozialistischen Terror“ etwa 10 % der damaligen Sowjetbevölkerung, also ca. 10 Mio. Menschen auszurotten. Hier ist der zentrale Kulturbruch des 20. Jahrhunderts anzusetzen.

Gerade weil sich der Sozialismus aus humanitären und demokratie-ideologischen Gründen ausdrücklich verpflichtet sah, keine neue Klassenherrschaft zu errichten, sondern allgemeine Gleichheit der Menschen in einer klassenlosen Gesellschaft / Volksgemeinschaft zu verwirklichen, mußte das Ungleiche irreversibel beseitigt werden. Diese Irreversibilität erscheint nur durch biologische Maßnahmen garantiert, eine Vorstellung, die vielleicht noch mehr durch die Milieutheorie des Lamarckismus als durch den (Sozial-)„Darwinismus“ nahegelegt wird, indem man meint, daß der soziale Fortschritt und damit einhergehend die Beseitigung von Fortschrittshindernissen gewissermaßen in das Erbgut des sozialistischen Volkskörpers eingehen würden. Diese „sozio-politische Eugenik“, ein „Sozialdarwinismus im Kommunismus“ mußte nicht immer zum expliziten Rassismus (zurück)führen, gelangte aber häufig doch zu „einer Übertragung der Rassenideologie auf soziale Gruppen“. Deshalb ist es völlig berechtigt, die sowjetische Kulaken-Vernichtung als „first Socialist genocide“ zu bezeichnen. Hier wurde zur Versorgung der städtischen Bevölkerung, der Macht- und Klassenbasis des Sowjetregimes, nach Rückgang der Nahrungsmittelproduktion durch die Totalsozialisierung bewußt der millionenfache Hungertod einer Klasse herbeigeführt, bei der es sich um nichts anderes handelt als die sozialen Träger des ukrainischen Nationalismus (also ein „Kampf gegen rechts“). Der Klassenkampf des sozialistischen Internationalismus gegen die Klasse des selbstständigen Bauerntums war demnach nichts anderes als ein Rassenkampf gegen eine als feindlich begriffene Nation. 

In der revolutionären Volksrepublik China hat dann der Klassenkampf zum Konzept der Vererbung sozialer Kategorien geführt, indem die Klassifikation eines Familienoberhaupts aus der Vorrevolutionsphase einfach auf die Kinder übertragen wurde. „Die ´Schwarzen´ (Abkömmlinge der sog. Feudalklasse oder auch nur von „Rechtsabweichlern“, Anm.) und ihre Kinder wurden systematisch diskriminiert, bei der Zulassung zu den Universitäten ebenso wie im Berufsleben (Direktive vom Juli 1957) und im politischen Leben. Es war für sie außerordentlich schwierig, die Erlaubnis zur Heirat mit einem ´roten´ Partner zu bekommen, und in der Gesellschaft wurden sie häufig wie Aussätzige behandelt: Man fürchtete Schwierigkeiten mit den Behörden, wenn man zuviel Umgang mit ´problematischen´ Personen hatte. Mit der Kulturrevolution erreichte die Etikettierungswut ihren Höhepunkt und zeigte all ihre selbst aus der Sicht des Regimes perversen Effekte.“ 

Maßgebend für den Rassismus des NS-Regimes war allerdings der demokratisch-progressive Rassismus des Anglosaxonismus und damit des progressiven Amerikanismus als amerikanischer Sozialismusvariante. Dieser hat Modelle für genozidale Expansion und schließlich das „Rassenrecht“ geliefert. Gerade „Amerika“, worauf die Europäer ihre Hoffnungen auf Fortschritt, Freiheit und Demokratie projiziert haben, zeigte die fast inhärente Verknüpfung des demokratischen Denkens mit progressivem Rassismus. „Als das Wesen des Menschlichen mit einem biologischen Gattungsbegriff universell und wertfrei verstanden wurde, entstanden auch die Kategorien jener Ausgrenzung, die, weil wissenschaftlich und nicht sozial begründet, irreversibel waren. Der Genozid, die ´Ausrottung´ des Menschen, war damit eine Sache der Vernunft geworden. Der Fremde, der Feind wurde plötzlich nicht mehr aus religiösen oder sozialen Gründen abgelehnt, bekämpft oder versklavt, sondern, und dies ist das Neue, unter Berufung auf das universelle Prinzip der Vernunft einer ´natürlichen´ Entwicklung´“ (Nachweis im Text). Formaler Anknüpfungspunkt des NS am Amerikanismus war dabei die Darlegung von Madison Grant, The Passing of the Great Race, wo die rassistische Segregationsgesetzgebung als Versuch hingestellt wurde, das zu verhindern, was das indische Kastensystem offensichtlich nicht erreicht habe, nämlich den Zivilisationsniedergang der arischen Rasse durch Rassenmischung. Auch die zeitgenössischen USA erkannten in einer Rassenpolitik die Lösung ihrer Probleme: „Americans thought of their country … as the last Arcadia, a quasi-Utopian refuge… But how to preserve Arcadia? That, in itself, demanded a global foreign policy. And how to create the true Arcadian? That demanded a race policy” (Nachweis im Text).

NS-Deutschland stellte durch die Rezeption des einschlägigen US-Rechts das einzige sozialistische System dar, das explizit ein derartiges „Rassenrecht“  aufwies und neben den USA und vielleicht noch dem zeitgenössischen Süd-Afrika (dort begann das wirkliche Segregationsrecht erst nach dem 2. Weltkrieg) war NS-Deutschland überhaupt der einzige entsprechende Staat. Diese Gesetzgebung dürfte der „Legalitätstaktik“ geschuldet sein, während die explizit-revolutionäre Sowjetunion keine derartige Gesetzgebung benötigte: Der Status der Volkszugehörigkeit wie etwa „Jude“ war dort im Paß vermerkt und falls ein Volk zur reaktionären Klasse erklärt wurde, konnte dies schon klassenkämpferisch vollzogen werden. Zusammengefaßt kann man vielleicht feststellen: NS-Deutschland befand sich gewissermaßen in der Mitte von amerikanischem Rassismus mit ursprünglich progressivem Ansatz und dem radikal-marxistischen Sowjetsystem. Unter bestimmten Bedingungen wurde dann das spezifische Rassenrecht mit sowjetischen, also sozialistischen Methoden umgesetzt. Vielleicht läßt sich mit dieser Einordnung der deutsche National-Sozialismus angemessen verorten.

Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um etwa die zweite Hälfte des 5. Kapitels mit der Überschrift Sozialistischer Klassen-Rassismus des Werkes des Verfassers:

Josef Schüßlburner, Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur online-Stellung auf dieser Internetseite. Das Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wiedererschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 € erhältlich. Bei Amazon bestellen

Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es ist teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt). 

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