Sozialismusbewältigung Teil 22

22. Teil: Einordnung des sozialistischen Nationalismus

Josef Schüßlburner

(10.07.2022) Der Nationalsozialismus wird vor allem wegen seines erkennbaren Nationalismus als „rechts“ und damit im Sinne der bundesdeutschen Ideologieverwaltung als „rechtsextrem“ eingestuft. Dies ist jedoch deshalb ein verfehlter staatsideologischer Einordnungsautomatismus, weil Nationalismus gewissermaßen quer zu den üblichen politischen Einordnungen als links-Mitte-rechts bzw. Sozialismus-Liberalismus-Konservativismus steht. Ursprünglich war der Nationalismus eindeutig liberal und da der sich selbst als solchen verstehendene Sozialismus anfänglich aus einem fehlverstandenen Liberalismus und unter Abgrenzung zu diesem entstanden ist, wurde der Nationalismus dann als links eingeordnet. Nationalist und Demokrat galten um die Mitte des 19. Jahrhunderts als austauschbare Begriffe, weshalb selbstverständlich der nachträglich zum SPD-Gründer erhobene Ferdinand Lassalle als (totalitärer) Demokrat ein entschiedener deutscher Nationalist war. Die Haltung der europäischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts zum Phänomen des Nationalismus läßt sich generell dabei wie folgt zusammenfassen: „Nationalism had been a Good Thing, down through the great Italian Risorgimento and German unification of the 1860´s, for all European radicals and Socialists” (Nachweis im Text). Der bundesdeutsche „Verfassungsschutz“ müßte den SPDler Lassalle und die deutschen (18)48er der politischen Linken als „ethnische Nationalisten“, also als „Rechtsextremisten“ einordnen.

Am wenigstens nationalistisch war ursprünglich der Konservativismus und letztlich brachte erst die unter politisch rechter Hegemonie herbeigeführte deutsche Reichsgründung Ende des 19. Jahrhunderts Nationalismus und Konservativismus zusammen, ja Bismarck schaffte es sogar, die Sozialisten als „vaterlandslose Gesellen“ vorzuführen; dies unter Bezugnahme auf eine insoweit über- wenn nicht gar fehlinterpretierte Aussage im „Kommunistischen Manifest“, wonach die Proletarier kein Vaterland kennen würden. Trotzdem war auch für Marx und Engels die Begründung des deutschen Nationalstaates eine kommunistische Forderung, mag dies auch mehr taktisch bestimmt gewesen sein. Sicherlich war das Verhältnis von sich eher menschheitsbezogenem Sozialismus zum politisch partikulären Nationalismus durchaus ein Problem, welches unterschiedliche Lösungen fand. Bei Lassalle wurde Sozialismus zu einem Konzept, das fast auf einen deutschen Weltherrschaftsanspruch hinauslief, zumindest eine besondere deutsche Sendung für den Sozialismus postulierte. Unter Bezugnahme auf Hegel, der fortschrittliche und reaktionäre Völker unterschied, konnten dann mehr oder weniger zur Sozialismusverwirklichung geeignete Völker ausgemacht werden, eine Vorstellung, die sich vor allem auch Friedrich Engels zu eigen machte. Diese Problematik spielte auch im sog. Revisionismus-Streit der Sozialdemokratie eine Rolle, was sich angesichts der sich zum Ersten Weltkrieg entwickelnden außenpolitischen Lage dahingehend einordnen ließ, daß der durchaus erwartete Weltkrieg die von Marx vorausgesagte, aber von den „Revisionisten“ problematisierte Revolution darstellen würde, die dann den Sozialismus herbeiführen müßte. Zur Anwendung des Klassenkampfschemas auf die internationale Lage mußten dann proletarische und kapitalistische Staaten / Völker ausgemacht werden, wobei für manche deutsche Sozialisten, die deutschen Verhältnisse mit allgemeiner Wehrpflicht und allgemeinen Wahlrecht als sehr sozialismusaffin erkannt wurden. Das Potential für die Sozialismus-Verwirklichung wäre deshalb bei den Deutschen am größten. Ein deutscher Sieg im Weltkrieg würde dementsprechend den Sozialismus international zum Durchbruch verhelfen. Damit wurde schon sehr weitgehend der Konzeption vorgearbeitet, bei der dann das zur Sozialismusverwirklichung aufgerufene Proletariat durch die (proletarische) Nation als Agens des Fortschritts ersetzt wurde, deren Kern jedoch weiterhin die Arbeiterschaft darstellte. Die Parteibezeichnung „Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ bringt diese Konzeption durchaus gut zum Ausdruck.

Bei diesem Ansatz zeigte der deutsche Nationalsozialismus seine größte ideologische Ähnlichkeit mit dem Befreiungsnationalismus der sog. Dritten Welt, bei dem Sozialismus zum Argument für die Zwecke des Nationalismus, also der nationalen Unabhängigkeit wurde. Dies führt auf die Imperialismustheorie Lenins zurück, der im Kontext des Revisionismus-Streits meinte, daß der Imperialismus das Instrument des Kapitalismus wäre, den von Marx prognostizierten Zusammenbruch des Kapitalismus hinauszuzögern. Deshalb müßten antiimperialistische Kräfte bei den Völkern der später sogenannten Dritten Welt ergänzend die Funktion des Proletariats nach der Klassenkampftheorie mitübernehmen. Lenin war im Interesse seiner Machtstrategie sogar bereit, explizit das „Kommunistische Manifest“ umzuschreiben: „Proletarier aller Länder und unterdrückte Völker vereinigt euch!“  Bei dieser „flexiblen Auslegung und Ausweitung des Marxismus“, die fast auf eine Umdeutung insbesondere seiner ursprünglich pro-europäischen (arischen) Fortschrittsdoktrin hinauslief, spielte für den Eintritt des Sozialismus das Industrieproletariat dann nur noch eine untergeordnete Rolle. Bemerkenswert ist, daß diese konzeptionelle Umdeutung – oder kreative Fortentwicklung – des Marxismus, die dann dem außenpolitischen Kalkül der Sowjetunion entsprach, nicht dazu geführt hat, dem Sowjetkommunismus den sozialistischen Charakter abzustreiten, während die verwandte Modifizierung der sozialistischen Doktrin durch den „Faschismus“ immer noch dazu führt, diesem den sozialistischen Charakter zu bestreiten.

Dabei kann gerade am Hitler-Stalin-Pakt demonstriert werden, daß eine gemeinsame Grundlage dieser Sozialismusfortentwicklungen denkbar erschien. Zumindest wurde dies von Linksintellektuellen der damaligen Zeit in dieser Weise verstanden, was deren weitgehende Kollaboration erklärt.

„Die sozialistische Revolution trägt überall die nationalistische Fahne!“, so zusammenfassend die zutreffende Erkenntnis von Sebastian Haffner (Nachweis im Text). Dementsprechend können insbesondere die kommunistischen Strömungen und Regime in Asien als „jeweils stark geprägt vom Nationalismus“  gekennzeichnet werden, was natürlich erst recht für die nicht-kommunistischen, sich selbst aber als „sozialistisch“ einstufenden anderweitigen Befreiungsnationalismen der sog. Dritten Welt gilt. Als Grundmuster des sozialistischen Nationalismus dieser Art kann insbesondere der schon aus quantitativen Gründen bedeutsame Maoismus angeführt werden. Diese ideologiepolitische Fortentwicklung des Sozialismus im 20. Jahrhundert, die allerdings auf eine, wenngleich wiederum modifizierte Rückkehr zum vorrevisionistischen Sozialismus darstellte, der sich aber immer noch – und zwar legitimer Weise – als Sozialismus verstand, hat dabei teilweise zu einer förmlichen Verabschiedung vom Marxismus geführt: Dies war etwa im deutschen Nationalsozialismus wie später in Nord-Korea  der Fall, wobei diese Verabschiedung mit erheblicher Mentalreservation zumindest bei Goebbels, aber selbst bei Hitler verbunden war. Am Marxismus verurteilte Goebbels  ja nicht das Sozialistische, sondern das Internationalistische, formulierte in Abgrenzung hierzu seinen Nationalismus wiederum unter bewußter Abgrenzung gegenüber dem ihm noch mehr als dem sozialistischen Internationalismus verhaßten bürgerlichen Nationalismus („das hat mit konservativer Gesinnung nichts mehr zu tun“) in einer Weise, daß sein NS-Sozialismus mit den Befreiungsnationalismen der sog. Dritten Welt weitgehend identisch wurde: Die Nation sollte das Gefäß, den Rahmen abgeben, in dem der Sozialismus verwirklicht werden könne. In anderen Weltgegenden sollte diese Auffassung, wohl eher bedingt durch die Weltmachtstellung der kommunistischen Sowjetunion nach dem 2. Weltkrieg als aufgrund besonderer Überzeugung, zur Beibehaltung der marxistischen Doktrin bei ihrer kreativen Umformulierung führen, wie dies im Drittweltsozialismus, zumindest bei den dort sich weiterhin als „kommunistisch“ definierenden Parteien der Fall war.      

Damit ist wohl hinreichend belegt, daß der Nationalismus geschichtlich zum zentralen Element des Sozialismus geworden ist, so daß der extreme Nationalismus des deutschen NS selbstredend keinen Grund darstellen kann, diesem den sozialistischen Charakter abzusprechen. Wäre dies berechtigt, dann müßte man dies auch bei den maßgeblichen Unabhängigkeitsbewegungen der Dritten Welt unter Einschluß der sich ausdrücklich als „kommunistisch“ bezeichnenden Parteien, wie dem Maoismus ebenfalls tun. Dies haben aber etwa die deutschen 68er, die mit Mao-Postern protestiert haben, jedoch uneingeschränkt nicht getan. Vielmehr haben sich die bundesdeutschen 68er deshalb mit derartigen Postern posiert, weil sie sich für links hielten und dementsprechend auch ihre Bezugsperson, diesen „orientalischen Hitler“ (wie Mao einsortiert wurde) eingeordnet haben.

Es ist daher ziemlich verfehlt, ideologie-politisch dem Nationalsozialismus den Nationalismus vorzuwerfen, der dabei ohnehin stillschweigend, wenn nicht offen durch einen Rassismus ersetzt wurde – ein Phänomen, daß sich auch beim Drittwelt-Sozialismus teilweise feststellen läßt, wie etwa beim seinerzeit führenden chinesischen Marxisten Li Ta-chao, wonach sich in weltweiter Sicht der Klassenkampf in einen Rassenkampf verwandelt habe. Entscheidend müßte für einen rechtsstaatlich ausgerichteten „Verfassungsschutz“ die Einstellung zur Demokratie sein, weshalb einer links-sozialistischen Richtung innerhalb der Sozialdemokratie mit nationalen Vorzeichen, die bewältigungsinduziert mit „junge Rechte“ fehlbezeichnet ist, kaum vorzuwerfen ist, daß sie aufgrund ihres Nationalismus eine relative ideologische Affinität mit dem Nationalsozialismus aufwies, sondern es ist ihr vor allem zugute zu halten, daß sie sich gerade in der politisch entscheidenden Frage der parlamentarischen Demokratie entschieden vom NS abgesetzt hat. Deshalb hätte gerade ein konsequenter und überzeugender deutscher SPD-Nationalismus unter günstigeren politischen Rahmenbedingungen zur Sicherung der parlamentarischen Demokratie eine wirkliche Alternative für diejenigen Sozialisten sein können, welche wegen des Internationalismus des traditionellen Sozialismus den Weg zum National-Sozialismus fanden. Deshalb stellt eher der Internationalismus, den die bundesdeutsche Ideologiestaatlichkeit mit Sozialismus gleichsetzt, das eine Demokratie überwindende Element dar, welches dann vom „Verfassungsschutz“ nachhaltig „beobachtet“ werden müßte!

Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um das 2. Kapitel des Werkes des Verfassers: Josef Schüßlburner, Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, 2008 Lichtschlag Medien und Werbung KG

Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es wird teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt). 

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur Online-Stellung auf dieser Internetseite. Das Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wiedererschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 € erhältlich. Bei Amazon bestellen

Verlagsangaben
Hat der Nationalsozialismus sozialdemokratische Wurzeln? Alle Kernelemente, die dem NS zum Vorwurf gemacht werden müssen, finden sich im klassischen Sozialismus ideologisch vorgezeichnet. Trotz erbitterter Auseinandersetzung zwischen den Sozialismen stellen sich die Übergänge als fließend dar. Der Autor fordert eine umfassende Sozialismus-Bewältigung, die nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt werden kann. Nur dann erscheint es möglich, die Wiederkehr „faschistischer“ Tendenzen zu verhindern, die in der BRD vor allem als „Antifaschismus“ auftreten und sich in der Verehrung für die Nationalsozialisten Mao Tse-tung und Pol Pot bei der 68er-Generation manifestiert haben. Diese will nunmehr im Sinne der Wiederkehr des nachhaltig Verdrängten das Vermächtnis von Adolf Hitler umsetzen, den „Schlag gegen rechts“ zu führen.

“Sozialismusbewältigung Teil 22”

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