Sozialismusbewältigung Teil 19

Teil 19: Christliche Grundlagen des Kommunismus

Josef Schüßlburner

(08.11.2021) Die Beantwortung der im 18. Teil der vorliegenden Serie zur Sozialismusbewältigung, nämlich „Rückkehr des Sozialismus durch die Christdemokratie?“ aufgeworfenen Frage, ob und bejahendenfalls in welchem Ausmaß eine Wiederkehr des Sozialismus durch die Christdemokratie zu erwarten ist, siehe hier, hängt wesentlich von der Bestimmung des Verhältnisses des Christentums, auf das sich die Christdemokratie schon nach der Namensbezeichnung bezieht, zum Sozialismus ab.

In seiner grundlegenden Darlegung über den Sozialismus als „Todestrieb der Geschichte“ muß Schafarewitsch, der den Sozialismus letztlich deshalb ablehnt, weil er im Gegensatz zu den Werten des Christentums steht, doch einräumen, daß die Beziehungen zwischen Kommunismus / Sozialismus und Christentum dennoch ziemlich eng sind. Hinzuweisen ist dabei vor allem auf das Kloster, das als die wahre christliche Lebensform gilt und dabei gekennzeichnet ist durch die Abschaffung des Privateigentums und der Familie. Auf dieser Grundlage ist das wohl erste kommunistische Regime errichtet worden, das auch als solches angesehen wurde, nämlich der sog. Jesuitenstaat in Paraguay. Dies ist deshalb hervorzuheben, weil dieses sozialistische Regime im christlich-orthodoxen (katholischen) Rahmen verwirklicht wurde, während der explizite Sozialismus, der noch nicht so benannt worden ist, aber von den neuzeitlichen Sozialisten, wie vom SPD-Chefideologen Kautsky, als Vorläufer anerkannt wurde, von einer häretischen Tradition des Christentums vertreten wurde. Allerdings gab es dabei Übergänge von Orthodoxie und Ketzerchristentum, vertreten etwa durch den „Sonnenstaat“ von Campanella, aber auch von der „Utopia“ von Thomas More, immerhin einem Heiligen der Katholischen Kirche. Zudem sind prominent noch drei französische Prêtres der katholischen Kirche des 18. Jahrhunderts zu nennen, die im Vorfeld der Französischen Revolution maßgeblich sozialistischen Theorien vorgearbeitet haben. 

Aus dieser Sicht erscheint fast eher erklärungsbedürftig, wieso Sozialismus / Kommunismus in ihrer expliziten Ausrichtung seit dem 19. Jahrhundert mit dem Christentum in einen Gegensatz gerieten, der den „christlichen Sozialismus“ (ein Begriff älter als der marxistische Sozialismus), welcher das „Ahlener Programm“ der CDU-Gründungsphase geprägt hatte, marginalisieren sollte. Die Erklärung dafür kann in der Auffassung des (sozialistischen) Ketzerchristentums darin gefunden werden, daß sich „die wahren Christen“, als die sich die sog. Ketzer sahen, dadurch auszeichneten, daß sie sich „Papst Sylvester nicht unterworfen und das Geschenk des Kaisers Konstantin zurückgewiesen hatten.“ Mit Kaiser Konstantin ist in der Tat das völlig Unwahrscheinliche in Erscheinung getreten, nämlich ein christliches Kaisertum. Diese Verknüpfung des eigentlich untrennbar mit dem antiken Heidentum verwobenen Kaisertums mit dem Christentum hat das geschaffen, was man lange als „Christentum“, „christliches Abendland“ und dergl. verstanden hat, also der „römisch“ genannte Katholizismus mit einem mit monarchischen Befugnissen ausgestatteten und auch mit einer Dreifachkrone gekrönten Papst. Dies hat das christliche Gleichheitsversprechen notwendiger Weise auf eine moralisch-religiöse oder nur transzendente Ebene abgeschwächt, so daß in der tatsächlichen Ausübung des Christentums eine hierarchisch gegliederte Gesellschafts- und Machtordnung etabliert werden konnte, bei der Familie und Privateigentum eine wichtige Rolle zuwachsen sollten, weil sie letztlich die Machtbeziehungen zum Ausdruck brachten. Einige zentrale Kirchen mit ihren Gruften für Fürsten, die von „Gottes Gnaden“ die politische Herrschaft ausübten, stellen so etwas wie einen herrschaftlichen Ahnenkult dar.

Effektive Opposition gegen diese Herrschaftsordnung mußte daher beim Gottesgnadentum ansetzen, das am überzeugendsten dadurch in Frage gestellt erscheint, daß die Existenz eines Gottes, der diese behauptete Herrschaft verliehen hätte, bestritten wird. Weitestgehend war bei dieser Konstellation die durch Familie und Eigentum vermittelte Macht, also durch Sozialismus, in Frage zu stellen, was dann insgesamt den Sozialismus in einen Gegensatz zum (römischen) Christentum brachte, wobei das unterschwellig immer vorhandene Erbe des Ketzerchristentum mit seinen gnostischen Bezügen den Weg zu einem speziellen Atheismus auftun konnte, den man zumindest hinsichtlich des Marxismus eher als Pseudoatheismus einstufen muß. Dies deshalb, weil etwa die marxistische Geschichtskonstruktion als Immanentisierung der christlichen Geschichtskonstruktion erscheint, wofür das Nachwirken der antiken Gnosis die Transformationsformeln liefert. Wobei die Transformation auch in die andere Richtung gehen könnte, etwa indem aus Sozialismus wieder Christentum wird (was postkommunistische Vorgänge in Rußland erklären dürfte).

Dieser Transformation von Christentum in Sozialismus (und vielleicht auch umgekehrt) steht vor allem das vom Ketzerchristentum zurückgewiesene konstantinische Erbe entgegen, das vor allem mit der absoluten Monarchie des Papsttums und den restlichen Monarchien Europas repräsentiert wird. Das Papsttum ist dabei selbst als Bezugspunkt für die etablierten Protestantismen notwendig, weil diese Kirchen eine kohärente Lehre nur als Abgrenzung hierzu definieren können, so wie etwa der Calvinismus die gegen sozialistische Gleichheitskonzeptionen gerichteten Hierarchien in Form von Leistungshierarchien als Konkurrenzvorstellung zur lange Zeit vom Katholizismus ausgedrückten aristokratischen Hierarchien definiert hat. Würde dieser Bezugspunkt, nämlich das Papsttum und die damit begründete hierarchische Organisation des (katholischen) Christentums, also das römische Erbe, entfallen, würde der „protestantische Kapitalismus“ seinen Bezugspunkt verlieren und das sozialistische Gleichheitsverlangen könnte sich aufgrund des christlichen Kontextes ungehindert umsetzen.

Als Beleg für diese Vermutung kann angeführt werden, daß es in China ohne die christliche Gleichheitsidee wohl keinen expliziten Kommunismus geben würde. China kannte zwar zahlreiche Volksaufstände mit chiliastischem Charakter, die durchaus eine Ähnlichkeit mit dem europäischen Sektenchristentum auswiesen, was vielleicht auch auf eine maßgebliche Inspiration durch den gnostischen Manichäismus (der sich ja als Christentum verstand) zurückzuführen ist. Aber ein dezidierter Kommunismus hatte zur Voraussetzung, daß im Taiping-Aufstand explizit das christliche Gleichheitsversprechen als grundlegend aufgegriffen wurde, welches spontan – ohne sich dessen bewußt zu sein – im Verständnis des mittelalterlichen Ketzerchristentum Europas begriffen wurde. Dies gibt wohl doch einen entscheidenden Hinweis, wie das christliche Gleichheitsversprechen spontan zu verstehen ist, nämlich als Sozialismus. Sofern dies nicht komplizierte Theologien relativieren, die dann – bezogen auf China – eher eine Christianisierung des Konfuzianismus versuchten.

Für die banalere Frage nach der Entwicklung der Christdemokratie läßt sich daraus ableiten, daß sie künftig den Sozialismus eher begünstigen als bekämpfen wird. Eine Parole wie „Freiheit oder Sozialismus“ könnten CDU / CSU schon jetzt nicht mehr durchziehen, weil sich dies angesichts der europäischen Währungskollektivierung ersichtlich gegen sie selbst richten würde. Mentalitätsmäßig hängt dies mit dem Rückgang der Macht des monarchischen Papsttums und der dabei zum Ausdruck gebrachten Hierarchie und Ungleichheiten, was das Christentum an das römische Erbe bindet, wesentlich zusammen, weil dies dazu geführt hatte, das christliche Gleichheitsversprechen nur moralisch und transzendent zu verstehen. Nunmehr wird dies wieder dem Ketzerchristentum entsprechend direkt politisiert. Die Christdemokratie ist sogar als gefährlicher einzustufen, weil sie den Sozialismus etwa durch eine planwirtschaftliche Klimarettungspolitik und der Duldung illegaler Masseneinwanderung als Erscheinungsform des politisch verstandenen christlichen Gleichheitsversprechen und Universalismus einfach umsetzen wird, ohne dies explizit als Sozialismus zu verkünden (ähnlich wie dies durch das Ahlener Programm vorgezeichnet ist). Die Abwehr des Sozialismus gebietet daher die Ersetzung der Christdemokratie durch eine bürgerliche Partei, was am besten dadurch geschieht, daß CDU / CSU zwischen FDP und AfD aufgeteilt werden und damit aus den Parlamenten verschwinden. Die Christdemokratie kann sich dann noch durch Antisozialismus zu retten suchen, was ihr natürlich freisteht – nur läßt die generelle weltgeschichtliche Entwicklung daran zweifeln, daß der Christdemokratie noch eine Rechtswende gelingen könnte.   

Hinweis
Der vorliegende Beitragstellt eine Ergänzung zum Werk des Verfassers dar:


Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus,
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Dieses Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wieder erschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich.

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