Teil 15: Chinas langer Weg zum Maoismus – das linke Element in der chinesischen Geistestradition
Josef Schüßlburner
Die Unterscheidbarkeit der politischen Strömungen als „rechts“ und „links“, die seit der Französischen Revolution förmlich in dieser Weise eingeordnet werden und deren Ringen um die vorübergehende politisch-ideologische Hegemonie mit friedlichen Mitteln kennzeichnend für eine freie Demokratie ist, hat eine lange vordemokratische Vorgeschichte. Dies soll im nachfolgenden Beitrag am Beispiel der chinesischen Geistesgeschichte, die für ganz Ostasien maßgebend ist, dargestellt werden. Im „Reich der Mitte“ hat man diese unterschiedlichen linken und rechten Strömungen ideologisch in der staatlich angeordneten „Mitte“, dem Macht-„Zentrum“ zwangsweise zu harmonisieren versucht, da die Angst vor der politischen Freiheit und vor den damit verbundenen Konflikten zu übermächtig war. Trotzdem sind die politischen (Unter-) Strömungen ziemlich eindeutig als „rechts“ und „links“ identifizierbar.
Verglichen mit Europa stellt sich die Ähnlichkeit bei „links“ größer dar als bei der politischen Rechten. Dies kann wohl darauf zurückgeführt werden, daß die politisch linken Strömungen von Europa und Asien auf die gemeinsame gnostische Unterströmung zurückführen, die sich im Manichäismus, der sich bis nach China verbreitet hatte, sogar zu einer expliziten Religion konstituierte. Die Charakteristika des „leftism“ lassen sich bei der Betrachtung der chinesischen Entwicklungen gut identifizieren: Links steht für die Herrschaftslosigkeit der „Großen Gleichheit“, welche dadurch erreicht wird, daß alle Menschen so gut wie identisch sind – wie dies in der wohl aus Indien stammenden Utopie des Reiches Uttarakuru beschrieben ist. In der Realität wird diese Gleichheit durch das Führerprinzip verwirklicht, wie es modern in einer extremen Weise mit dem Maoismus in der Erscheinung getreten ist, da unter dem vergöttlichten Führer die Unterschiede der „Brüder“ irrelevant werden und damit verschwinden. Der Militarismus bietet sich dabei gerade in China als Organisationprinzip politisch linker Strömungen an, weil dies im zentralen Gegensatz zum Familismus der konfuzianischen (rechten) Mitte also von Altershierarchien steht; bei der Militärorganisation kommt nämlich der Stärkere, der in der Regel der Jüngere ist, zum Zuge. Die gnostische Unterströmung hat wohl bewirkt, daß sich auch in Ostasien immer wieder Aufstandsbewegungen gebildet haben, die geglaubten, die Utopie der großen Gleichheit lasse sich tatsächlich politisch verwirklichen. Wie in den chiliastischen Strömungen Europas setzt die Verwirklichung der Utopie das große Abschlachten der „Dämonen“ voraus.
Der Beitrag versucht zu erklären, warum gerade in China der Moderne sich mit dem Maoismus diese linke Unterströmung durchsetzen konnte: Der Konfuzianismus als wesentliches Herrschaftsmodell der rechten Mitte war durch die Fremddynastien von Mongolen und Mandschuren diskreditiert, wobei die Tatsache dieser Fremdherrschaft auf den Antimilitarismus des Konfuzius und der dadurch bedingten außenpolitischen Schwäche zurückgeführt werden konnte. Dabei spielt auch eine Rolle, daß die letzte genuin chinesische Kaiserdynastie der Ming (1268 – 1644) aus einer linken Aufstands-Sekte hervorgegangen war. Mit dem Maoismus, der durch eine Radikalisierung der gnostischen Unterströmung der chinesischen Geistestradition durch eine verfremdete Übernahme christlicher eschatologischer Elemente (dadurch zeichnete sich die Taiping-Rebellion im 19. Jahrhundert aus) sich konstituieren konnte, setzte sich die schon lange vorhandene linke Strömung in China förmlich durch. Als Machtzentrum unterdrückt die maoistische Linke die politische Freiheit durch einen Kampf gegen Rechts (etwa gegen „Rechtsrevisionisten“), den der langjährige Ministerpräsident Zhou Enlai wie folgt erklärt hat: „Die rechtsgerichteten Elemente sagen, daß es in unserem Land viel zu wenig Freiheit gibt und sprechen so, als ob Freiheit nur dann gegeben wäre, wenn vom Staate Möglichkeiten gewährt und Garantien vorgesehen werden für jene, welche den Grundlagen des Staatssystems, welches in unserer Verfassung niedergelegt ist … in Worten und Taten Opposition leisten wollen: Es ist ganz klar, daß das Volk nicht zustimmen wird, ihnen diese Art von Freiheit zu gewähren.“ Durch die mittlerweile festetablierten bundesdeutschen 68er, die einst mit Bildern des großen Führers (nicht des deutschen, sondern des chinesischen) demonstriert haben, sind derartige Parolen auch in der Bundesrepublik Deutschland virulent und stehen dabei dem normalen Funktionieren der Demokratie entgegen, das den offen ausgetragenen Links-Rechts-Antagonismus bei Anerkennung der Legitimität der entsprechenden Positionen zur Voraussetzung hat. Falls das Volk doch dieser von Zhou Enlai abgelehnten Freiheit zustimmt, hat das in der Bundesrepublik Deutschland zur Folge, daß sich das Parteiensystem grundlegend ändern wird, für die Volksrepublik China könnte diese Freiheit für rechts das Ende des Regimes einleiten. Daher die Angst vor der politischen Freiheit, welche die Anerkennung einer politischen Rechten zur Voraussetzung hat.
Hinweis
Die vorliegende Abhandlung stellt eine Ergänzung zu zwei jüngeren Veröffentlichungen des Verfassers dar:
Josef Schüßlburner
Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte
2010, Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe), 8,50 Euro
ISBN: 978-3-935063-94-4, erhältlich auch hier
Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus,
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Dieses Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wieder erschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich. Erhältlich auch hier