Parteiverbotskritik Teil 21

Parteiverbotskritik Teil 21: Parteiverbotskonzeption als Gefährdung der politischen Freiheit in der Bundesrepublik Deutschland

Josef Schüßlburner

Die bevorstehende mündliche Verhandlung in dem nunmehr doch (vorläufig?) zugelassenen Parteiverbotsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist Anlaß, einmal zusammenfassend darzustellen, um was es bei dem Parteiverbot wirklich geht: Es geht um die Antwort auf die Frage, ob die Bundesrepublik Deutschland wirklich eine „liberale Demokratie des Westens“ (so eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im KPD-Verbotsurteil) ist. Falls das Verfassungsgericht seine in den 1950er Jahren entwickelte Parteiverbotskonzeption bei einem Verbotsausspruch aufrechterhalten sollte, muß diese Frage verneint werden: Damit steht beim Parteiverbot jedoch die Freiheit aller Deutschen auf dem Spiel. Beeinträchtigt werden Meinungsfreiheit, politischer Pluralismus und freies Wahlrecht. Dieser Eingriff durch ein Parteiverbot, welches nicht als ein gegen eine wegen Umsturzvorbereitung gefährliche Vereinigung gerichtetes Organisationsverbot konzipiert wird, sondern als weit darüber hinausgehendes Ideologieverbot mit „ewiger“ Wirkung, dient nicht dem Schutz der demokratischen Staatsform, sondern nur dem Schutz etablierter politischer Kräfte und deren Ideologien („Werte“), die sich damit vor unerwünschter Volksmeinung, ja gegen die Mehrheitsmeinung immunisieren. Damit würde sich unweigerlich eine Wesensverwandtschaft mit der Demokratiekonzeption der „Deutschen Demokratischen Republik“ ergeben.

Genau hier muß die der Freiheit und Demokratie verpflichtete Alternativkonzeption ansetzen. Es geht dabei darum, sicherzustellen, daß die Bundesrepublik Deutschland endlich eine normale Demokratie wird und nicht länger den Typ einer demokratischen Staatsform abgibt, zu deren Beschreibung gewissermaßen die Worte fehlen (so in etwa ein maßgeblicher Grundgesetzkommentar mit offiziösem Anstrich) und dabei gegen den „Grundrechtsterror“ der Deutschen steht. Zweck eines bundesdeutschen Parteiverbots kann es aber wohl nicht sein, die Wahlentscheidung von 1933 nachträglich zu korrigieren, weil sich eine derartiges Ergebnis sonst aufgrund der (rassischen?) Veranlagung der Deutschen zum „Faschismus“ wieder ergeben könnte: Statt Gegenwart- und Zukunftsbewältigung würde rassistoide „Vergangenheitsbewältigung“ zelebriert werden.

Lösung: Parteiverbot als Notstandsbefugnis / Abgrenzung von DDR

Es sei daran erinnert, daß gemäß einer Aussage im Parlamentarischen Rat mit dem Schutzgut des im Grundgesetz vielleicht geregelten Parteiverbots, nämlich der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ eine Abgrenzung zur „weniger freien“ „Volksdemokratie“ vorgenommen werden sollte. Sollte daher das Grundgesetz mit seinem Artikel 21 (2) dem Wortlaut zuwider tatsächlich ein Parteiverbot enthalten, dann muß eine Parteiverbotskonzeption entwickelt werden, die nicht gegen das Demokratieprinzip, d.h. gegen das Mehrparteienprinzip, die Meinungsfreiheit und das freie Wahlrecht und den Parlamentarismus gerichtet ist. Dies kann erreicht werden durch eine notstandsrechtliche Betrachtung: Das Parteiverbot stellt das Instrument einer Diktatur dar; eine Diktatur ist mit einer genuinen Demokratie nur vereinbar, indem der Notstand zeitlich befristet ist und in den Voraussetzungen nur angewandt werden darf, wenn andere Mittel nicht zur Verfügung stehen, die von einer Partei ausgehenden (Umstutz-)Gefahr zu beseitigen. Für das angemessene Verständnis des Notstandscharakters eines Parteiverbots wirkt sich hierbei allerdings negativ aus, daß aufgrund der Besatzungssituation in das Grundgesetz entgegen der Vorstellung von Abgeordneten des Parlamentarischen Rats keine Notstandbestimmung entsprechend Artikel 48 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) aufgenommen werden konnte und sich daher die entsprechenden Bestimmungen im Grundgesetz verstreut finden. Dessen ungeachtet muß die (angebliche) Verbotsvorschrift des Artikels 21 (2) GG in den Zusammenhang mit Artikel 91 GG (befristeter Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch Bundespolizei in den Ländern) und Artikel 87a (4) GG (befristeter Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch Militäreinsatz im Inneren) gestellt werden. Diesen Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht in seinen bisherigen Verbotsentscheidungen völlig ausgeblendet.

Dänische Regelung als Vorbild / bestätigt durch deutsche Verfassungsgeschichte

Bei einem notstandsrechtlichen Verständnis des Parteiverbots wird ersichtlich, daß das Parteiverbot nur befristet zur Abwendung von politisch motivierter Gewaltanwendung ausgesprochen werden kann, die anders nicht abgewehrt werden kann. Ein Eingriff in die Meinungsfreiheit durch ein Parteiverbot ist abgewendet, wenn Artikel 21 (2) GG im Lichte der genannten anderen und weiterer einschlägiger Bestimmungen des Grundgesetzes in etwa so verstanden wird wie dies mit § 78 der Verfassung des Königreichs Dänemark ausdrücklich geregelt ist: „Vereine, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“

Selbstverständlich kann ein Parteiverbot in einer Demokratie keine Aberkennung von Parlamentsmandaten zur Folge haben, die auf Ausübung des freien Wahlrechts zurückzuführen sind (es sei denn, es liegt ein gravierenden individuelles Fehlverhalten des Abgeordneten selbst vor). Sofern das positive Gesetzesrecht, wie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz oder das Bundeswahlgesetz etwas anderes besagen, sind diese als verfassungswidrig zu erkennen. Diese Beurteilung ist durch die deutsche Verfassungsentwicklung zurückgehend auf Artikel 30 der preußischen Verfassung von 1850 über das Sozialistengesetz der Bismarckzeit und den Diktaturartikel der Weimarer Reichsverfassung abgesichert: Ein ohnehin nur befristet wirkendes Parteiverbot kann zu keinem gegen die Deutschen an sich gerichtetes Wahlteilnahmeverbot führen und damit den Deutschen insgesamt eine Wahloption verbieten, will die Bundesrepublik Deutschland wirklich der freieste Staat der deutschen Geschichte sein. Die bisherige Parteiverbotskonzeption widerlegt diese in Sonntagsreden aufgestellte Behauptung. Eine Fortsetzung dieser Parteiverbotskonzeption zur Ausschaltung einer ganzen politischen Strömung über ein darauf gestütztes Ersatzverbotssystem (amtliche Geheimdiensterklärung zum Feind, berufliche Existenzgefährdung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes wegen Bekundung einer falschen Ideologie, Erhöhung der Sperrwirkung der ohnehin verfassungswidrigen Sperrklauseln des Wahlrechts durch Ungleichbehandlung bei der Rekrutierung von Kandidaten) führt unweigerlich in Richtung Deutsche Demokratische Republik! Soll dieser Weg zu einer „DDR-light“ (die aufgrund gravierender politischer Probleme vielleicht gar nicht so „light“ werden würde) aufgrund der proklamierten, durch ihre Abstammung bedingten Faschismusanfälligkeit der Deutschen als Grundrechtsterroristen wirklich eröffnet werden?

Es steht also beim bundesdeutschen Parteiverbot einiges auf dem Spiel!

Hinweis: Der Beitrag, der den Kern der Verbotsproblematik und deren einer Demokratie angemessene Lösung darstellen soll, ist aus einem Vortrag hervorgegangen. Der Vortragsstil ist weitgehend beibehalten, so daß von Belegen von Aussagen weitgehend abgesehen ist. Ein gewisser Ausgleich wird durch die Literaturhinweise hergestellt. Ansonsten sind die Nachweise in den einzelnen der bisher erschienen 20 Beiträge zur Parteiverbotskritik auf dieser Internetseite unter der Rubrik „Kampf ums Recht“ zu finden:

Kampf ums Recht

Maßstab für die Verwirklichung der politischen Freiheit, die durch eine mit Demokratie und Meinungsfreiheit vereinbare Parteiverbotskonzeption zur Voraussetzung hat, ergibt die Antwort auf die Frage, ob eine rechte politische Position in der gleichen Weise als legitim anerkannt wird wie eine linke politische Position. Dies hat der Verfasser in seinem Werk

Josef Schüßlburner
Konsensdemokratie. Die Kosten der politischen Mitte
2010, Verlag Edition Antaios (Gebundene Ausgabe), 8,50 Euro
ISBN: 978-3-935063-94-4, erhältlich auch hier

“Parteiverbotskritik Teil 21”

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