Kritik der Europaideologie – Teil 11

Kritik der Europaideologie – Teil 11: Die wahren Reichsbürger: die deutschen „Europäer“

Josef Schüßlburner

Sind die Christdemokraten die wirklichen „Reichsbürger“? Diese Frage wird im vorliegenden Beitrag bejaht. Allerdings ist es verfassungsrechtlich geboten, sich nicht als derartiger „Reichsbürger“ auszugeben, sondern man muß sich dabei als „Europäer“ verstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat nämlich neben anderem der zu verbietenden SRP als verfassungswidrig vorgeworfen, ein „mystisches Reichsverständnis“ zu pflegen. Damit hat diese als verfassungswidrig eingestufte Partei wohl die im Parlamentarischen Rat von der CDU vertretene Erkenntnis verfehlt, daß man nunmehr „europäische Union“ oder „europäische Konföderation“ sagen müsse, wenn man den Reichsgedanken adäquat zum Ausdruck bringen wolle. Aufgrund dieser Argumentation ist der Begriff Deutsches Reich für das zu reorganisierende Staatswesen abgelehnt und der Begriff „BRD“ eingeführt worden, damit sich der Reichsgedanke mit „Europa“ zur Entfaltung bringen kann.

Das Reichsverständnis, das danach verfassungsfeindlich „mystisch“ ist, wenn man dieses weiterhin auf Deutschland bezieht, darf sich deshalb ideologiepolitisch verfassungskonform nur auf „Europa“ beziehen, dessen mythologischen Grundlagen jedoch bei einem christdemokratischen Europabekenntnis unvermeidbar mit dem historischen Reichsgedanken verknüpft sind. Es ist aufgrund der Verknüpfung des Reichs mit dem Christentum, die in der Vorstellung der „translatio imperii“, nämlich der Fortsetzung des Römischen Reichs als christliches in Form des „Heiligen Römischen Reichs“ zum Ausdruck kam, verständlich, weshalb vor allem für die Christdemokratie „Europa“ eine derartig mystische Bedeutung bekommen sollte. „Europa“ wird damit implizit als christdemokratische Reichsersatzideologie zur demokratisch verstandenen Fortsetzung des Reichs, das wegen des zwischenzeitlichen Zusammenhangs mit den einzubindenden, wenn nicht gar zu überwindenden Deutschen („Heiliges Römisches Reich deutscher Nation“) nicht mehr als „Reich“ bezeichnet werden darf, sondern eben „Europa“ genannt werden muß. Letztlich läßt sich damit „Christdemokratie“ mit „Europademokratie“ dechiffrieren, wobei da so etwas wie eine verdrängte christliche „Reichsdemokratie“ verborgen ist. Verständlich wird dabei, daß dieses „Europa“ das eigentliche und genuine politische Anliegen dieser christdemokratischen „Mitte“ darstellt, die ansonsten nach opportunistischen Gründen, vor allem auch der internationalen Machtlage entsprechend, linke und rechte politische Anliegen moderierend übernimmt.

Dieser Zusammenhang zwischen einem als „Europa“ verstandenen „Reich“ und der (deutschen) Christdemokratie gebietet nach den mythologischen Voraussetzungen des Europamystizismus zu fragen, auch wenn dies empörte Reaktionen hervorrufen dürfte, geht doch die propagierte Vorstellung dahin, daß „Europa“ als aufgeklärtes Projekt gerade geschaffen wurde, um politische Mythen, die danach nur als „nationale Mythen“ denkbar sind, abzuschaffen, weil damit auch die „Plage des Nationalismus“ überwunden werden könnte.

Der auf das asiatische Politikverständnis zurückgehende Reichsgedanke, den Alexander der Große für Europa bzw. Eurasien übernahm, hatte sicherlich seine historische Logik und Berechtigung, insbesondere bei der gesamteuropäischen Abwehr des Islam, muß dabei als die universalistische These der europäischen Entwicklung ausgemacht werden, während das wirklich Neue der demokratische Nationalstaat mit seinem realistischen Partikularismus darstellt: Der partikuläre Nationalstaat ist Grundlage der Säkularisierung und der wirtschaftlichen Entwicklung. Die insbesondere von der Christdemokratie gepflegte Europa-Idee stellt damit einen Rückfall in eine letztlich religiöse Herrschaftsbegründung dar, die schließlich auch gegen den wirtschaftlich-technischen Fortschritt wirkt, für den der neuzeitliche Nationalstaat steht. Was die deutschen „Europäer“, insbesondere der Christdemokratie wirklich motiviert, kommt in einem Bekenntnis eines derartigen Vertreters, eines christlich-sozialen, wie folgt zum Ausdruck: „Wir hofften, die damals geteilte deutsche Nation würde aufgehen in einer europäischen Nation, und wir würden uns damit auch entlasten von geschichtlichen Verantwortlichkeiten“ (Nachweis im Text). Was damit gemeint ist, dürfte klar sein: Im deutschen Holocaustbüßen als bundesdeutsche Zivilreligion hat die Aufforderung des Verfassungspatrioten Tucholsky zum Landesverrat gegen den deutschen Staat zugunsten von „Europa“ eine moralisch erhebende neue Begründung erfahren. „Vergangenheitsbewältigung“ erfordert zur Abtragung geschichtlicher Schuld deutsche Einbindung in Europa. Die dabei eingesetzten ideologie-politischen Instrumente, wie monströse Plattenanlagen, laufen auf ein ideokratisches Herrschaftssystem hinaus, welches das Volksherrschaftsprinzip als Form eines weltlichen Staatskonzepts etwa durch Geschichtstheologeme, wie offizieller Kriegsursachenfestlegung als Legitimationsgrund eines „Bewältigungsstaates“ ablöst.

Dem eine wirtschaftliche Rationalität vorspiegelnde Ökonomismus, der ursprünglich aus wohl eher propagandistischen Gründen die Europa-Idee getragen hat, wohnt der Wunsch inne, die politische Dimension der condition humaine abzuschaffen – hinzuweisen ist auf die Erwartung Friedrich Engels vom „Absterben des Staates“ – oder Politik durch Ökonomie und Ethik – Menschenrechte – zu ersetzen. So wie durch die Honeckersche Verfassungsänderung  der „DDR“ die Deutschen durch „Arbeiter und Bauern“ ersetzt wurden, so reduzierten christdemokratische Europäer die Deutschen auf „Marktburger“. Auf der Ebene der Konsumenten, Produzenten und Insolventen hoffte man, die rückschrittliche Einteilung von Menschen in Deutsche, Franzosen etc. aufheben zu können, kann aber dann nicht erklären, wieso dann etwa die Japaner nicht Europäer sind, gibt es doch auch dort „Marktbürger“.

„Europa“ stellt zunehmend den Kern eines soteriologischen Ansatzes dar, was deutlich wird, wenn der deutsche Protestantismus „Europa“ als „versöhnte Gemeinschaft“ begreift, wobei dieses Verständnis als Beitrag des deutschen Protestantismus für die Formulierung einer Europapolitik ausgegeben wird, d. h. es wird eine Theologisierung eines künstlichen Europanationalismus geleistet. In der Tat wird ja bereits heute die Europakonzeption zunehmend mit heilgeschichtlichen Ansätzen begründet, wie mit der „Irreversibilität“ einer angeblich zwingenden geschichtlichen Entwicklung, die zur Auffassung vom „Ende der Geschichte“ führt, welche in der sozialreligiös verstandenen liberaldemokratischen Ordnung bestehen soll und dabei als „Europa“ firmiert. Um mit dieser Vorstellung das Europa-Konzept begründen zu können, muß man die – bei demokratischer Betrachtung – Subjekte des Geschichtsprozesses, nämlich die Völker auflösen. Die Elemente, die den Auflösungsprozeß zugunsten einer „höheren Ordnung“ sichern sollen, erhalten dann notwendigerweise eine sozialreligiöse Sanktion. Aus dieser heiligen Ordnung, wofür „Europa“ dann steht, das die politische Ordnung zur eigentlichen Religion werden läßt (Grundgesetz = Christentum), kann man nicht mehr austreten, selbst dies europarechtlich erlaubt sein sollte. Der Reichsgedanke, der sich hinter der Europavorstellung der Christdemokratie verbirgt, würde dann seine Erfüllung finden: Ein erstrebenswerter Zustand?

Hinweis
zumal die Partei, der sich die Broschüre widmet, für das Wahlprogramm zu den Bundestagswahlen 2021 den zumindest implizit genannten Vorschlag aufgegriffen hat, den Dexit zum Programmpunkt zu machen.

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

„Kritik der Europaideologie – Teil 11“

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