„Die dunkle Seite der Christdemokratie“

Josef Schüßlburner

(07.09.2022) „Wenn man heute auf die harmlosen christdemokratischen Parteien blickt, vergißt man leicht die illiberale und oft intolerante Natur der katholischen Bewegung, aus der sie hervorgingen“ (Nachweis im Text). Diese „dunkle Seite der Christdemokratie“ ist Gegenstand eines gerade erschienenen Werkes des TT-Professors für Transformation der Demokratie an der Universität Wien, Fabio Wolkenstein, mit dem Titel: „Die dunkle Seite der Christdemokratie. Geschichte einer autoritären Versuchung“. Der vorliegende Beitrag stellt im Kern eine Besprechung dieses gerade im Beck-Verlag, München, erschienenen Buches von 2022 dar.

In diesem empfehlenswerten Buch wird nachgewiesen, daß sich das Verhältnis zwischen Christdemokratie und der „liberalen Demokratie“, welche der amtliche „Verfassungsschutz“ der Bundesrepublik Deutschland mit dem verfassungsrechtlichen Schutzgut von Parteiverbot und des als solches offiziell nicht anerkannten Parteiverbotssurrogats, nämlich der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ gleichsetzt, alles andere als eindeutig darstellt – die Christdemokratie hat da in der Tat eine dunkle Seite, nämlich antidemokratische Wurzeln. Diese dunkle Seite ist dabei weitgehend erfolgreich verdrängt worden. Insbesondere sind da die Auffassungen des politischen Katholizismus bedeutsam, vor allem dessen entschiedene Stellungnahmen gegen den Liberalismus, die wiederum auf eine extrem negative Einstellung des Papsttums zu den Anliegen des Liberalismus, wie Trennung von Staat und Kirche und Etablierung von Grundrechten zurückgeht. Ideologisch maßgeblich für diesen politischen Katholizismus wurden die päpstlichen Sozialenzykliken, die jedoch so angelegt waren, daß deren Beachtung nicht unbedingt ein demokratisches Staatswesen voraussetzen, sondern sich eher eine autoritäre Umsetzung anbot wie dies dann in der christlich-sozialen Dollfuß-Diktatur in Österreich, aber auch in Spanien und Portugal unter General Franco bzw. Professor Salazar umgesetzt wurde.

Die Nachwirkungen dieser antiliberalen und demokratieskeptischen Haltung haben sich bis in die Nachkriegszeit Geltung dadurch verschafft, indem Christdemokraten bestrebt waren, den liberalen Verfassungen „illiberale Ingredienzien“ hinzuzufügen, neben eher konservativen Anliegen wie verfassungsrechtliches Verbot der Ehescheidung und der Etablierung von Konfessionsschulen, ein nach Auffassung des Rezensenten konzeptionell eher links ausgerichtetes Demokratieschutzkonzept einer „wehrhaften Demokratie“ als einer „wahren Demokratie“. Der Verfasser befürchtet allerdings eine sich aus der christdemokratischen Geschichte zu erklärende Versuchung zu einem Autoritarismus, die er vor allem beim Ungarn Orbán festmacht, der eine Variante der Christdemokratie vertrete, die einst als die maßgebliche angesehen werden konnte.

In der Besprechung wird vor allem kritisiert, daß der Verfasser jeden Vergleich mit konkurrierenden Strömungen unterlassen habe. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hätte sich keine etablierte politische Strömung vorbehaltlos auf die Demokratie eingelassen, auch die Liberalen nicht. Die bekennenden Demokraten wie die Sozialdemokratie vertraten dabei eine Demokratiekonzeption, die eher der „totalitären Demokratie“ zugeordnet werden müsse, die sich im 20. Jahrhundert als schlimmer herausgestellt hätte als die „autoritären Versuchung“, die der Verfasser erkennbar unter einem Rechtruck der Christdemokratie befürchtet. Dieser Vergleich mit konkurrierenden politischen Strömungen relativieren etwas die Bedeutung der vom Verfasser zu Recht kritisierten katholisch-kirchlichen Auffassungen. Nach Ansicht des Rezensenten ist eine christdemokratische Vergangenheitsbewältigung, wozu das Buch von Wolkenstein einen zentralen Beitrag leistet, trotzdem notwendig.  Was an dieser politischen Richtung vor allem der bundesdeutschen Variante besonders stört, ist die als Verfassungsbigotterie in Erscheinung tretende Selbstgerechtigkeit, sich als die „Mitte“, also als „Demokraten“ par excellence auszugeben, um darauf gestützt konkurrierende politische Richtungen aus weltanschaulichen Gründen als „Extremisten“ vorzuführen. Mit dem Begriff „Extremismus“, der unterschiedslos auch für politisch motivierte Kriminelle angewandt wird, werden dabei, sicherlich zur Förderung von Menschenwürde, die der Christdemokratie als Überwindung des liberalen Individualismus durch den Personalismus besonders am Herzen liegt, rechtstreue Bürger mit oppositionellen Auffassungen mit dem Vorwurf der „Verfassungsfeindlichkeit“ überzogen, um politische Konkurrenz zu Lasten eines funktionierenden Mehrparteiensystems und des Meinungspluralismus in einer illiberalen Weise aus dem politischen Diskurs auszugrenzen.     

Darin zeigt sich, was aus dem christdemokratischen Bemühen nach einer postliberalen Verfassung in der BRD geworden ist: Neben einer umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit, die gegen das Mehrheitsprinzip in Spiel gebracht werden kann und einer Europakonzeption, die den demokratischen Spielraum der nationalen Parlamente gefährdet, vor allen die sog. „wehrhafte Demokratie“, die mittlerweile in etwas fortentwickelt ist, was man als Verfassungsschutzextremismus ansprechen könnte. Dieser läßt aber eher eine Linkswendung der Christdemokratie als Demokratiebedrohung erwarten, was der Rezensent gegenüber den Befürchtungen des Verfassers als alternative Demokratiebedrohung durch christdemokratische Politik darlegt. Dagegen hat eine Rechtswendung der Christdemokratie der Demokratie durchaus gutgetan: So wurde eine Regierungsbeteiligung von Kommunisten mit den italienischen Christdemokraten abgewehrt und der bundesdeutsche Wohlstand beruht auf einer Mitte-Rechts-Koalition unter Kanzler Adenauer, welche es diesem ermöglicht hat, sich über den christlichen Sozialismus aus der Anfangszeit der CDU hinwegzusetzen. Da die CDU nunmehr eine derartige politische Erfolgskoalition von Mitte-Rechts verweigert, kann dies nur die Linkswendung der Christdemokratie, also eine stillschweigende Rückkehr zum christlichen Sozialismus bedeuten. Hierbei stellt sich die Frage, weshalb der österreichischen Christdemokratie eine Rechtskoalition möglich ist, die sich für die CDU vergleichsweise verbietet: Der Grund liegt sicherlich nicht nur an der gegenüber dem Grundgesetz für die Bundesrepublik freieren Verfassung der Republik Österreich, ein Spiegelbild der freien Weimarer Reichsverfassung. Vielmehr ist von Bedeutung, daß in Österreich den Bürgern aufgrund des christlich-sozialen Regimes von Dollfuß die autoritäre Vergangenheit der Christdemokratie bewußt ist und es deshalb nicht besonders glaubwürdig wäre, würde die ÖVP die FPÖ in einer Weise bekämpfen wie dies in einer postliberalen Weise mit den illiberalen Ingredienzien der christdemokratisch geprägten bundesdeutschen Verfassung die CDU „gegen rechts“ macht. Trotz der Namenänderung von Christlichsozialer Partei Österreichs in Österreichische Volkspartei ist die Kontinuität der christdemokratischen Strömung den Österreichern bewußt und wird von der ÖVP auch gar nicht in Abrede gestellt. Dagegen ist es in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend gelungen, daß durch Namenänderung von Zentrum in CDU bzw. Bayerischer Volkspartei in CSU die ideologische Kontinuität ins Vergessen verdrängt werden konnte. CDU / CSU erscheinen da als Neugründungen, was ja nicht ganz falsch ist, weil insbesondere die konfessionellen Grenzen, die in Österreich kein Problem darstellten, überwunden wurden. Dementsprechend steht die CDU weniger eindeutig in der Kontinuität zum politischen Katholizismus wie dies bei der ÖVP der Fall ist. Anknüpfungspunkt für eine christdemokratische Vergangenheitsbewältigung wäre dann nach Auffassung des Rezensenten eher die Rolle der CDU als Blockpartei des DDR-Kommunismus – eine von Wolkenstein überhaupt nicht behandelte Variante der Christdemokratie – weil dies das Potential der zumindest stillschweigenden Rückkehr zu so etwas wie einen „christlichen Sozialismus“ auftut, was sich als stärkere Demokratiebedrohung darstellen würde als die von Wolkenstein zum Thema gemachte „autoritäre Versuchung“. 

Im weiteren Sinne handelt es sich bei der Rezension auch um eine Ergänzung zu den Beiträgen zur Christdemokratie auf dieser Internetseite, nämlich:

Verfassungsfeindliche Tendenzen innerhalb der Christdemokratie als DDR-Block- und BRD-Kartellpartei gegen rechts

und

Verfassungsfeindliche Tendenzen innerhalb der Christlich-Sozialen – von der Dollfuß-Schuschnigg-Diktatur zum CSU-Verfassungsschutzextremismus

“Die dunkle Seite der Christdemokratie”

Ein Gedanke zu “„Die dunkle Seite der Christdemokratie“

Kommentare sind geschlossen.

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner