Das Jahr 1993

1993
Revolutionäre Zellen (RZ)/Rote Zora (Frauenorganisation)
Die RZ treten 1993 mit terroristischen Aktionen nicht in Erscheinung, jedoch nimmt sich eine gewaltbereite Gruppe deren langjähriger Aktionsthemen Flüchtlings- und Asylpolitik an. Ziel dieser Anschläge sind am 3. 10. 1993 Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes (BGS). Begründet werden diese mit der Stellung des BGS bei der „Jagd nach Flüchtlingen“. Die Frauenbewegung Rote Zora tritt nicht publizistisch, jedoch aktionistisch in Erscheinung. In dem veröffentlichten Diskussionspapier kündigt sie an, ihren militanten Kampf gegen das „patriarchale System“ fortzuführen. Die Gestaltung der Konzeption zukünftiger revolutionärer Politik wird von den einzelnen Zellen diskutiert, jedoch wird die prinzipielle Konzeption der autonomen Zellen, die eigenständig militant handeln können, nicht in Frage gestellt. Inhaltlich sei auch in Zukunft durch die vorherrschende Asyl- und Ausländerproblematik ihr militantes Handeln gerechtfertigt.
Verfassungsschutzbericht 1993

1993
„antiimperialistische widerstandszelle nadia shehadah“/Antiimperialistische Zellen (AIZ)
Als Vorläuferorganisation der AIZ agiert 1993 die „antiimperialistische widerstandszelle nadia shehadah“. Sie tritt für einen Rückgriff auf „klassische“ Positionen der RAF ein. Auf der Grundlage der RAF-Konzeption vom 14. 5. 1970 bis 1. 4. 1992 (in diesen Zeitraum fielen die gewaltsame Befreiung Andreas Baaders sowie die Ermordung des Treuhandchefs Dr. Karsten Rohwedder) gehen von ihr zahlreiche gewaltbereite Aktionen aus, wie der Brandanschlag auf die juristische Fakultät der Universität Hamburg am 21. 11. 1992 oder der Schußwaffenanschlag auf das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall am 17. 11. 1992 in Köln.
Verfassungsschutzbericht 1993

1993
Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE)
Der VORAN (siehe unter „Trotzkistische Gruppen“) nutzt die Jugendorganisation JRE, um auch jugendliche Nichtextremisten an ihre Ziele heranzuführen. Die JRE tritt durch Flugblätter publizistisch in Erscheinung. Inhaltlich zeichnen sich diese durch eine hohe Militanz aus, sie beinhalten einen Aufruf zur antifaschistischen Selbsthilfe (Nazi-Banden zerschlagen). Besonderer Anerkennung erfreut sich die JRE in PDS-nahen Publikationen.
Verfassungsschutzbericht 1993

1993
Antiimperialistische Zellen (AIZ)
Die AIZ treten seit 1992 unter wechselnden Bezeichnungen auf, so z. B. unter „antiimperialistische widerstandszelle nadia shehadah“. Wie im Vorjahr orientieren sich die AIZ an den Denkstrukturen, die bis zum 1. 4. 1992 die RAF leiteten. Die Abkehr vom neuen gewaltfreien RAF-Kurs begründen die AIZ mit den reformistischen Zügen der RAF-Linie. Bei einem Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der Kreisgeschäftsstelle der CDU in Düsseldorf bezeichnen sie die Partei in ihrem mehrseitigen Selbstbezichtigungsschreiben als „deutschnationale partei des brd-imperialismus der 90er jahre.“ Des weiteren verüben sie am 24./25. 9. 1993 einen Sprengstoffanschlag auf das Gebäude des FDP-Landesverbandes in Bremen, sie schreiben der FDP eine zentrale Rolle bei der imperialistischen Großmachtpolitik zu. In einer an die Presse gerichteten Erklärung kündigen sie für die Zukunft an: „unsere politik wird dahingehend orientiert sein, dort militant/bewaffnet anzugreifen, wo die brd-eliten ihre arbeitsplätze bzw. ihre wohnsitze haben“.
Verfassungsschutzbericht 1993

1993
Trotzkistische Gruppen
Der trotzkistischen Bewegung lassen sich etwa 1.500 Mitglieder zurechnen. Sie setzt sich zusammen aus 13 Organisationen und sechs Zirkeln, die einem der konkurrierenden Dachverbände des internationalen Trotzkismus angehören. Ihr gemeinsames Ziel ist die „Weltrevolution“ und die Herbeiführung der „Diktatur des Proletariats“ in Form eines Rätesystems. Durch eine entristische Arbeitsweise versuchen die Trotzkisten hauptsächlich, die SPD und die Gewerkschaften zu unterwandern. Ihr Hauptbetätigungsfeld ist die Zerschlagung des kapitalistischen Staates, durch die der Wirkungsbereich der Nationalsozialisten eliminiert wird. Als Mittel der Zerschlagung dient der revolutionäre „Antifaschismus/Antirassismus“, der auch durch Militanz wie „kollektive Aktionen und Gewalt“ und „bewaffnete Arbeiterräte unter Führung einer kommunistischen Partei“ erzielt werden soll. Neben der Ausnutzung sozialer Probleme durch Agitation in Betrieben wandten sie sich auch massiv gegen den Vertrag von Maastricht. Die deutsche Sektion der englischen Trotzkisten „Committee for a Worker’s International“ (CWI), „VORAN zur sozialistischen Demokratie e. V.“ (VORAN), „entriert“ vor allem die Jungsozialisten. Mit Hilfe ihrer Tarnorganisation „Jugend gegen den Rassismus in Europa“ (JRE) werden anscheinend auch Nichttrotzkisten erfolgreich geworben, da „VORAN“ einen Sympathisantenzuwachs bekundet. Die JRE ruft in ihrem Propagandamaterial jedoch auch zu gewalttätigem Kampf und zu „antifaschistischer Selbsthilfe“ auf. Sie fordert die Zerschlagung faschistischer Banden und billigt „aktive Gegenwehr“, wendet sich jedoch gegen individuellen Terror, da dieser die Arbeiterklasse in die Arme der Regierung treibe. Bei Demonstrationen kooperiert „VORAN“ häufig mit Autonomen und wird von PDS-nahen Zeitschriften unterstützt. Die 250 Mitglieder starke „Sozialistische Arbeitergruppe“ (SAG), deutsche Sektion der englischen „International Socialists“, sieht ihren Agitationsschwerpunkt im antifaschistischen Kampf.
Verfassungsschutzbericht 1993

Januar/Februar 1993
Aufruf der linksextremistischen Zelle „Antifa jetzt“
Die linksextremistische Zelle „Antifa jetzt“ fordert im Szeneblatt „Interim“ die RAF auf, ihre „technischen und organisatorischen Möglichkeiten“ zu nutzen und alle „Fascho-Führer“ zu liquidieren, um so ein „Vakuum in den Fascho-Strukturen“ zu schaffen. Die RAF hatte einen Gewaltverzicht erklärt, um Hafterleichterungen für ihre inhaftierten Mitglieder zu bewirken. Es war aber nicht auszu­schließen, daß die RAF „mangels anderer konsensfähiger Themen“ in Mordaktionen gegen Rechtsextreme die einzige Chance sehen würde, in der linken Szene breite Zustimmung zu finden und wieder eine Führungsrolle zu übernehmen.
Hamburger Abendblatt, 2. 2. 1993

Anfang März 1993
Erklärung von Brigitte Mohnhaupt
Eine Erklärung von Brigitte Mohnhaupt gelangt an die Öffentlichkeit, in der sie die Verknüpfung der vorübergehenden Einstellung terroristischer Aktivitäten der RAF mit der Freiheit der Gefangenen als negativ bewertet.
JW-Informationsdienst, 9/0206, Nr. XXXIV – 15. 4. 1993

März 1993
Croissant wegen Spionage verurteilt
Der ehemalige RAF-Anwalt Claus Croissant wird wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit im Dienst des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR (seit 1981) zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.
Schlomann, S. 119

27. März 1993
Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt
In der Nacht zum 27. 3. 1993 wird auf den Verwaltungstrakt und vier Zellengebäude der neuerbauten Justizvollzugsanstalt (JVA) ein Sprengstoffanschlag verübt. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bekennt sich das Kommando „Katharina Hammerschmidt“ zu der Tat. Das Schreiben bezeichnet die JVA als „Abschiebeknast für die rassistische staatliche Flüchtlingspolitik“. Die JVA, die am 1. April 1993 ihren Betrieb aufnehmen sollte, galt als Musterbeispiel für den in Hessen geplanten humanen Strafvollzug.
JW-Informationsdienst, 9/0206, 1-Nr. XXXIV – 15. 4. 1993

14. April 1993
Erklärung des Bundesinnenministers Kanther zum Verfassungsschutzbericht 1993
Die Zahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund stieg von 980 (1992) auf 1.085 (1993), darunter ein Tötungsdelikt. Gleichzeitig stieg die Zahl der Sprengstoffanschläge von fünf (1992) auf 17. Im Antifa-Kampf wurden 337 gewalttätige Aktionen von „Links“ gegen „Rechts“ und 120 Angriffe in umgekehrter Richtung registriert. Ende 1993 hat die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 6.000 und die kommunistische Plattform der Partei des Demokratischen Sozialismus 5.000 Mitglieder sowie mehrere tausend Anhänger. Insgesamt gibt es im Bereich des organisierten Linksextremismus ca. 29.000 Mitglieder in Kern- und Nebenorganisationen sowie 12.000 Personen in linksextremistisch beeinflußten Gruppen. 6.700 Personen zählen zu den Anarchisten und Sozialrevolutionären, wovon 5.000 gewaltbereite „Autonome“ sind.
BPA-Bulletin

27. Juni 1993
Festnahme von Birgit Hogefeld
Die mutmaßliche RAF-Terroristin Birgit Hogefeld wird am 27. 6. 1993 im mecklenburg-vorpommerischen Bad Kleinen festgenommen. Bei der Aktion der GSG 9 wird der BGS-Beamte Joachim Newrzella von den Terroristen erschossen. Die Todesumstände des Begleiters von Hogefeld, Wolfgang Grams, sind unklar. Nach Angaben der beteiligten Beamten hat er sich der Festnahme durch Selbstmord entzogen.
JW-Informationsdienst, 1/1257, Nr. XXXIV/25/26 – 30. 6. 1993

18. August 1993
Antiimperialistische Zellen (AIZ)
Sieben mit Sägespänen gefüllte Säcke verbrennen vor dem Elternhaus eines GSG-9-Beamten. Der Hintergrund ist der Einsatz der GSG 9 in Bad Kleinen.
FOCUS, 25. 9. 1995

17. 11. 1993
Antiimperialistische Zellen (AIZ)
Die Antiimperialistischen Zellen (AIZ) feuern sieben Schüsse auf die Zentrale des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Köln ab.
FOCUS, 25. 9. 1995

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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