Das Jahr 1968

2. Februar 1968
„Sozialistisches Zentrum“ gebildet

Bei einer sogenannten „Sozialistischen Februarkonferenz“ in Offenbach schließen sich Links-Gruppen zu einem Sozialistischen Zentrum zusammen. Die Gruppen Sozialistischer Bund (SB), Vereinigung Unabhängiger Sozialisten (VUS), Arbeitsgemeinschaft Sozialistische Opposition (ASO), Kampagne für Demokratie und Abrüstung, Initiativausschuß für die KPD, die Deutsche Friedensunion (DFU) und zahlreiche lokale Organisationen bestehen jedoch weiter. Das Sozialistische Zentrum soll lediglich Aktivitäten und theoretische Diskussionen der Gruppen koordinieren. Die einzelnen Organisationen sollen in der „gemeinsamen Abwehr aller Angriffe auf die Interessen der arbeitenden Bevölkerung und zur Durchführung einer sozialistischen Alternative zusammenarbeiten“. In dem von der „Sozialistischen Februarkonferenz“ verabschiedeten Aktionsprogramm heißt es: „Ziel jeder sozialistischen Politik bleibt die radikale Veränderung des Bestehenden – der Fortschritt zum Sozialismus.“
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13706 A

8. Februar 1968
Pressekonferenz der KPD zur Vorlage eines neuen KPD-Programms wird von der Polizei aufgelöst

In Frankfurt/Main soll eine Pressekonferenz der seit 1956 verbotenen KPD stattfinden, auf der ein neues Programm im Sinne des Beschlusses der Länderinnenminister, eine Neugründung der KPD im Rahmen des Grundgesetzes zuzulassen, vorgelegt werden soll. Die KPD erklärt hierzu: „Die KPD unterbreitet dieses Programm der Bevölkerung der Bundesrepublik zur Diskussion. Wir wollen mit allen, besonders mit den sozialdemokratischen, christlichen und parteilosen Arbeitern, darüber Meinungen austauschen.“
Der Frankfurter Polizeipräsident läßt die Pressekonferenz auf Weisung des hessischen Innenministers, der seinerseits „die Verbotsweisung auf Veranlassung und eingehende Darlegung der rechtlichen Voraussetzungen für ein Versammlungs­verbot durch den Bundesinnenminister“ ausspricht, auflösen. Die Veranstaltung wird von der Polizei als Unternehmen zur Förderung der verbotenen KPD angesehen, die als verfassungswidrig nicht das Recht zur Veranstaltung von Versammlungen habe. Als die Funktionäre sich weigern, dem Verbot und dem Auflösungsgebot Folge zu leisten, kommt es zu tumultartigen Szenen. Daraufhin nimmt die Polizei den Kandidaten des Politbüros Herbert Mies und das Mitglied des ZK und des Politbüros Max Schäfer fest.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13730 A/1

13. Februar 1968
Beschlagnahme des KPD-Programms

Aufgrund eines Beschlusses des Bundesgerichtshofes beschlagnahmt die Polizei in der Druckerei des „Blinkfüer“ in Neumünster das Programm der illegalen KPD.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13730 A/2

14. Februar 1968
Pressekonferenz der KPD in Bonn

Der „Initiativausschuß für die Wiederzulassung der KPD“ veranstaltet eine (weitere) Pressekonferenz in Bonn, die unter der Bedingung erlaubt wird, daß das neue Programm weder verteilt noch zitiert wird. Max Schäfer fordert auf dieser Pressekonferenz u. a.: „… Die ganze Lage zeigt, wie unglücklich es für die Bundesrepublik ist, daß sie neben den faschistisch regierten Ländern Griechenland, Spanien und Portugal das einzige Land in Europa ohne legale Kommunistische Partei ist. Es ist höchste Zeit, diesen Zustand zu beenden. Dazu ist erforderlich: 1. Die Aufhebung des Haftbefehls gegen Max Reimann und gegen andere bekannte Kommunisten. 2. Die Einstellung aller Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das KPD-Verbot und die Aufhebung aller aus diesem Grunde noch anhängigen Strafen. 3. Die Wiederherstellung der Legalität der KPD. Sie muß in voller Freiheit, gleichberechtigt mit den anderen politischen Parteien, ihre Politik in der Bundesrepublik vertreten können.“
Auf der Konferenz treten als Sprecher neben Schäfer auch Mies und die ehemalige KPD-Bundestagsabgeordnete Grete Thiele auf. Sie erklären u. a., daß sich die Stellung ihrer Partei zum Grundgesetz seit 1949 in einigen Punkten gewandelt habe. Die KPD habe damals das Grundgesetz abgelehnt, weil es auf Weisung der westlichen Besatzungsmächte entstanden sei und zur Spaltung Deutschlands geführt habe. Inzwischen aber seien auf deutschem Boden zwei Staaten entstanden, die friedlich miteinander leben und ihre Beziehungen zueinander normalisieren müßten.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13730 A/2

11. April 1968
Unruhen nach dem Mordanschlag auf Rudi Dutschke
Der 23jährige Anstreicher Josef Bachmann unternimmt auf dem Kurfürstendamm in Berlin ein Attentat auf den 27jährigen Rudi Dutschke, der als führender Kopf des SDS und damit der sogenannten Außerparlamentarischen Opposition gilt. Dutschke wird schwer verletzt. In der Folge kommt es in zahlreichen Städten der Bundesrepublik und in West-Berlin zu Demonstrationen, Unruhen und teilweise blutigen Zusammenstößen mit der Polizei, in deren Verlauf in München der Fotoreporter Klaus Frings (32) und der Student Rüdiger Schreck tödlich verletzt werden.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13885 A

30. April 1968
Sondersitzung des Bundestages über Ursachen und Auswirkungen der Osterunruhen
Der Deutsche Bundestag befaßt sich in einer Sondersitzung mit den Ursachen und Auswirkungen der Unruhen der Ostertage. Grundlage der Debatte ist ein „Bericht der Bundesregierung zur innenpolitischen Situation“. In dem Bericht der Bundesregierung, der von Bundesinnenminister Ernst Benda vorgetragen wird, heißt es, die weitgehend vom SDS ausgelösten und gesteuerten Unruhen seien ernst, aber sie hätten den Staat nicht in Gefahr gebracht.
„Weder befindet sich die Bundesrepublik, wie die Kommunisten hoffen mögen, in einer vorrevolutionären Epoche, noch bereitet sich, wie andere glauben mögen, ein Wiederaufleben des nazistischen Ungeistes vor. Wahr ist leider nur, daß der Links- und Rechtsradikalismus sich gegenseitig hochsteigern.“
In einer vorläufigen Bilanz der Osterunruhen heißt es, in diesen fünf Tagen (11.–15. 4) hätten in mindestens 27 Städten Demonstrationen stattgefunden. In insgesamt 26 Fällen seien sie mit Ausschreitungen, Gewaltakten und schwerwiegenden Rechtsverletzungen verbunden gewesen.
„An den einzelnen Tagen waren an Demonstrationen im Bundesgebiet jeweils zwischen 5.000 und 18.000 Personen beteiligt (ohne die Teilnehmer der Ostermärsche). An Demonstrationen mit Ausschreitungen beteiligten sich jeweils ­zwischen 4.000 und 11.000 Personen. Gegen 827 Personen sind polizeiliche Ermittlungsverfahren wegen Auflaufs, Aufruhrs, Landfriedensbruchs, Brandstiftung, Körperverletzung und anderem eingeleitet worden. 92 sind Schüler, 286 Studenten, 185 Angestellte, 150 Arbeiter, 31 sonstige Berufe, 57 ohne Berufe, unbekannt ist der Beruf bei 26. Diese Aufgliederung zeigt, wie falsch es wäre, die Gewaltaktionen als Studentenunruhen zu bezeichnen. 280 Polizeibeamte sind verletzt worden, dazu sind 290 andere Personen auf Grund polizeilichen Eingreifens zu Schaden gekommen.“
Zur Frage eines Verbots des SDS sagt Benda in dem Bericht, daß dieser die revolutionäre Transformation der bestehenden Ordnung wolle. Der SDS sei deshalb eine verfassungsfeindliche Organisation, und die Voraussetzungen für sein Verbot seien gegeben. Dennoch habe er dem Kabinett vorgeschlagen, derzeit von einem Verbot abzusehen, und das Kabinett habe zugestimmt. Die Anhänger des SDS würden bei einem Verbot sicherlich in andere Organisationen ausweichen, und ein Verbot würde Solidaritätserklärungen selbst unpolitischer oder nicht radikaler Studenten und Professoren zur Folge haben.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13893 A

7. Mai 1968
Stellungnahme des SDS zur Bundestagssitzung vom 30. April 1968
Ein Sprecher des SDS erklärt u. a.: Bundesinnenminister Benda hat nur aus Opportunitätsgründen ein Verbot des SDS für den Augenblick ausgeschlossen, er hat aber erklärt, daß die verfassungsfeindliche Zielsetzung des SDS eindeutig erwiesen sei. Es handelt sich dabei aber ganz augenscheinlich um eine Diffamierung durch diejenigen, die selbst durch Notstandsgesetze und Unterstützung der amerikanischen Aggression in Vietnam antidemokratisches Gedankengut in der Bundesrepublik vertreten. Wir werden uns einer derartigen Illegalisierung nicht beugen, wir werden uns nicht an den Rand der Legalität drängen lassen, wir werden die Initiative zur Wahrnehmung demokratischer Interessen weiterführen.“
Archiv der Gegenwart 1968, S. 13902 D

26. September 1968
Gründung einer Deutschen Kommunistischen Partei
Ein Bundesausschuß gibt in Frankfurt/Main die Gründung der Deutschen Kommunistischen Partei bekannt. An der Spitze der Liste der Gründungsmitglieder stehen der frühere Sekretär des ZK der KPD und persönliche Referent des Parteivorsitzenden Max Reimann und Chefredakteur der früheren kommunistischen „Volksstimme“ in Köln, Kurt Bachmann, ferner Kurt Erlebach und Georg Polikeit. In einer vom Zentralorgan der SED Neues Deutschland veröffentlichten Erklärung zur Begründung der Neukonstituierung heißt es, man unternehme diesen Schritt in der Überzeugung, „daß in der jetzigen politischen Situation das Wirken einer KP in der BRD für die Interessen der Arbeiterklasse und der ganzen arbeitenden Bevölkerung notwendiger denn je ist.“
Die Partei werde die Traditionen von Marx und Engels, von Bebel, Luxemburg, Liebknecht und Thälmann in sich aufnehmen und im Geiste des antifaschistischen Widerstands gegen die Nazidiktatur wirken. Die Entwicklung in der BRD könne durch eine legale KP nur gewinnen: „Was in England, Frankreich und selbst in den USA erlaubt ist, darf in der BRD nicht länger unter Ausnahmerecht des kalten Krieges stehen.“
Die DKP werde das Grundgesetz achten und die darin verkündeten demokratischen Grundsätze verteidigen. Sie fordere, daß die seit 1949 vorgenommenen antidemokratischen Änderungen und Einschränkungen, besonders die Notstandsgesetze, rückgängig gemacht werden. Die vom Großkapital beherrschte Klassengesellschaft der BRD sei nicht fähig, die grundlegenden sozialen und menschlichen Probleme dieser Zeit, besonders die Fragen, die mit der Umwälzung in Wissenschaft und Technik verbunden seien, zum Wohle des Volkes zu ­lösen.
Die DKP werde eine konsequente Friedenspolitik verfechten. Man betrachte es als besondere Aufgabe, „ein freundschaftliches und vertrauensvolles Verhältnis zu den Mitgliedern und Anhängern der SPD herzustellen“. Prinzipielles Ziel sei die sozialistische Umgestaltung von Staat und Gesellschaft. Die Erklärung würdigt den erfolgreichen Aufbau einer sozialistischen Gesellschafts- und Staatsordnung in der DDR, unterstreicht die enge Verbundenheit mit der SED, unter deren Leitung dies erreicht worden sei, verweist aber zugleich auf die Tatsache, daß eine schematische Nachahmung des in der DDR beschrittenen Weges infolge der andersgearteten historischen Situation und unterschiedlichen Ausgangsbedingungen in der BRD nicht möglich sei. Sie wendet sich scharf gegen das Verbot der KPD in der BRD und fordert eine Aufhebung.
Archiv der Gegenwart 1968, S. 14214 B

Zusammengestellt von Hans-Helmuth Knütter und Alexander Helten

Abkürzungen der Literaturangaben
AL = Michael Bühnemann u. a. (Hg.): AL. Die Alternative Liste Berlin. Berlin 1984
APuZ = Aus Politik und Zeitgeschichte
Backes = Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1996
BPA-Bulletin = Bulletin des Bundespresseamtes (Bonn)
Schlomann = Friedrich W. Schlomann: Die Maulwürfe. Berlin 1994

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