Prüffall „Verfassungsschutz“ – was tun mit einem illiberalen Fremdkörper einer Demokratie?

Prüffall „Verfassungsschutz“ – was tun mit einem illiberalen Fremdkörper einer Demokratie?

Josef Schüßlburner

(02.03.2021) Die anliegende Power Point Präsentation (PPP) gibt stichwortartig wieder, was im 24. Teil der Serie zum Parteiverbotssurrogat ausführlicher dargestellt ist und im Bundestagsbereich in Berlin vorgetragen worden war.

Es geht dabei um die Bewertung des sog. „Gutachten zu tatsächlichen Anhaltspunkten für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der `Alternative für Deutschland` (AfD) und ihren Teilorganisationen“, das eigentlich nur für den Dienstgebrauch bestimmt war, aber trotzdem in einer pseudoschlauen Weise von der bundesdeutschen non-intelligence an die Öffentlichkeit gebracht wurde.

Dieses überwiegend politikwissenschaftliche Gutachten, das zwischenzeitliche auf 1000 Seiten fortgeschrieben worden sein dürfte und derzeit vom Bundesinnenministerium „intensiv geprüft“ wird und dabei als Grundlage dienen soll, die gesamte Oppositionspartei wegen legalen Gebrauchs bestimmter Begrifflichkeiten der geheimdienstlichen Überwachung zu unterwerfen (weil dies in einer Demokratie so üblich ist?), muß im Konflikt mit der weltanschaulichen Neutralität des Rechtsstaats stehend als ideologie-politisch eingestuft werden. Allein die Tatsache, daß man zum angeblichen Nachweis einer Verfassungsgefährdung durch die politische Opposition ein wortreiches „Gutachten“ dieses Umfangs benötigt, ist schon hinreichend Beleg genug, daß die Vorwürfe fern jeglicher rechtsstaatlicher Zurechnungskategorien konstruiert sind. Läge wirklich eine Staatsgefährdung vor, könnte dies in ein paar Seiten abgehandelt werden (etwa: Parteiorganisation hat Waffenlager angelegt, bildet Parteimitglieder militärisch aus und setzt Generäle unter Druck).  

Dem als grundgesetztheologisch einzustufenden „Gutachten“ in der Version der pseudo- schlaumeierischen Veröffentlichung konnte man entnehmen, daß das etablierte Parteiensystem die vom deutschen Wähler in freien Wahlen zur Hauptoppositionspartei im Deutschen Bundestag gemachte konkurrierende Partei als „Prüffall“ und Teile der Partei als „Verdachtsfall“ hinsichtlich des Verdachts der Verfassungsfeindlichkeit einstufen will, um sie in Bürgerbeobachtungsberichten (VS-Berichten) als „rechtsextrem“ vorführen und ihre beamteten Parteimitglieder disziplinarrechtlich verfolgen zu können. Damit soll eine für das Establishment unangenehme Partei dem eingespielten Parteiverbotssurrgat unterworfen werden.

Zur Begründung der „Verdachtssplitter“ werden als rechtlich zu bewertende „Handlungen“ nur „Aussagen“, „Meinungsäußerungen“, „Ideen“ vorgeworfen, also letztlich Gedankentätigkeit. Vielleicht kann man noch „Verbindungen zu …“ irgendwelchen Organisationen wie Interviews in der geheimdienstlich beobachteten Presse als „Handlung“ beschreiben. Letztlich besteht aber auch hier die vorgeworfene „Handlung“ darin, daß Gedankengut übernommen wird, gemeinsame Meinungsbekundungen stattfinden, ein bestimmtes „Narrativ“ gepflegt wird und dergleichen, also letztlich kollektive Gedankentätigkeit praktiziert wird.

Statt rechtlich Verbotenem, allerdings als „verfassungsschutzrechtlich relevant“ eingestuft, werden als „Verdachtssplitter“, die sich manchmal „gewichtig verdichten“ – aber es ist noch nicht alles ganz dicht, sondern es muss noch gedichtet werden (was zwischenzeitlich ja gemacht wurde) – vorgeworfen: kulturdeterministische Geschichtsinterpretation, Abstufung hinsichtlich der Wertigkeit von Kulturen, nicht zielführende Kritik an der parlamentarischen Demokratie, Kritik an der Vergangenheitsbewältigung, insbesondere Kritik am „Schuldkult“, Zweifel an der Souveränität der BRD, Feindkonstruktion bei der Genderproblematik, rechtsextremes Geschichtsbild, völkische Staatsauffassung, Islamfeindlichkeit, da nicht zwischen Islamismus und Islam unterschieden werde und dem Islam die Integrierbarkeit abgesprochen werde und vor allem „Revisionismus“. Es ist also ein staatlicher Fundamentalangriff auf die Meinungsfreiheit geplant, welche amtlich delegitimiert werden soll.

Dagegen wird nicht festgestellt: Die AfD hat keine Gastwirte eingeschüchtert, damit keine Veranstaltung etwa der ehemaligen SED oder der Regenmacherpartei durchgeführt werden können, die AfD hat sich nicht dafür ausgesprochen, daß SED- oder CDU-Politikern die Hotelübernachtung verwehrt wird und hat keine Gegendemonstrationen organisiert, die darauf abzielten, konkurrierenden Parteien die Ausübung der Grundrechte Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit abzusprechen. Es lassen sich auch keine antiparlamentarischen Handlungen der AfD-Fraktionen behaupten.  Derartige Handlungen – und nicht nur Ideologie-Konstrukte – werden jedoch von Gegnern der AfD gegen diese Partei praktiziert, ohne daß dies in dem „Gutachten“ erwähnt werden würde – es wird also bewußtes Beschweigen praktiziert, um die Oppositionspartei staatlich besser bekämpfen zu können. Das Gutachten identifiziert sich mit den Ideologieanliegen der konkurrierenden Parteien, es soll die Kritik der Oppositionspartei an der massiven von den konkurrierenden Kräften bis hin zu einer „Herrschaft des Unrechts“ (Innenminister Seehofer) geduldete illegale Masseneinwanderung dadurch konterkariert werden, daß man die Oppositionspartei als „verfassungsfeindlich“, insbesondere wegen Menschenwürdeverletzungen durch verbale Bekundungen, die nicht einmal den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit erfüllen, mit geheimdienstlichen Verdachtsverdacht („Verdachtssplitter“) staatlich bekämpft.

Dies macht den „Verfassungsschutzschutz“ zum „Prüffall“ des Vorliegens nicht der Verfassungsfeindlichkeit, sondern der Verfassungswidrigkeit: „In Demokratien ist es nicht üblich, Bürgerinnen und Bürger auf eine gesinnungsbezogene Verfassungstreue zu verpflichten und Parteien – obgleich diese sich an die Spielregeln des friedlichen Meinungskampfes halten – als „extremistisch“ abzustempeln und von einem Geheimdienst kontrollieren zu lassen“ (so zu Recht Leggewie / Meier, Nach dem Verfassungsschutz, 2012, S. 10 f.).

Dieser politische Opposition ideologie-politisch bekämpfende „Verfassungsschutz“ kann nur dann nicht als verfassungswidrig bezeichnet werden, wenn man u.a. mit einem gegen rechts sich in Position bringenden SPD-Politiker davon ausgeht, daß das „Grundgesetz der (gemeint: für die, Anm.) Bundesrepublik Deutschland … keine liberale, also wertneutrale Verfassung im amerikanischen Sinne“ darstellt. Und in der Tat: Bei Berichten zur Überwachung der politischen Opposition durch den Inlandsgeheimdienst und einer darauf basierenden, auf staatliche Bekämpfung politischer Opposition ausgerichteter Regierungspropaganda denkt man üblicherweise nicht an „liberale Demokratien des Westens“ – so die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts im KPD-Verbotsurteil zur Abgrenzung der bundesdeutschen Parteiverbotsdemokratie von normalen Demokratien -, sondern an Staaten, die von etablierten deutschen Politikern gerne wegen Demokratiedefizite kritisiert werden, wie Türkei, Rußland oder auch Ungarn und Polen. In der Tat: „Daß das Prinzip der wehrhaften Demokratie in einem defekt-demokratischem System wie dem Rußlands jedoch selbst zum Feind der Freiheit mutieren kann, darf … nicht unterschlagen werden“ (so Tom Thieme, „Parteipolitischer Extremismus in Rußland“ in der Reihe „Extremismus und Demokratie“, 2007, S.  181).

Im Interesse der liberalen Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland muß daher der „Verfassungsschutz“ bis hin zu seiner möglichen Abschaffung dringend reformiert werden. Minimallösung ist dabei, den sog. „Verfassungsfeind“ dahingehend zu definieren, daß er den rechtswidrigen Machterwerb anstrebt und deshalb zumindest Gewaltbereitschaft zeigt. In einer umfassenderen Weise ist jedoch die bundesdeutsche Parteiverbotsdemokratie zu überwinden, indem das Grundgesetz und einschlägige Rechtsvorschriften in der Weise geändert werden, daß sie den „Guidelines on Prohibition and Dissolution of Political Parties and Analogous Measures” der sog. Venedig-Kommission der „Europäischen Kommission für Demokratie durch Recht“ des Europarats von 1999 entsprechen. Dies könnte geschehen, indem bei Anlehnung an § 78 der Verfassung des freien Königreichs Dänemark der Artikel 21 (2) des Grundgesetzes etwa wie folgt gefaßt wird: „Parteien, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Verfassungsgerichtsurteil aufgelöst.“

Nur dann wird die ideologie-politische Diskriminierungspolitik aufhören, die auf einer weltanschaulichen Homogenitätsvorstellung beruht, welche zu gleichheitswidrigen Hierarchien führt, wonach bestimmte Parteien aus ideologischen Gründen massiv diskriminiert, ja verboten werden können. Dies beeinträchtigt nicht nur die liberale Demokratie durch Praktizieren einer verfassungsschützerischen Ungleichheitsideologie, sondern auch den Rechtsstaat, verstanden als Gegenprinzip zum Ideologiestaat. Außerdem wird die Menschenwürde beeinträchtigt, geht doch der „Verfassungsschutz“ davon aus, daß die Deutschen wohl abstammungsbedingt wieder Nazis wählen würden, sollten sie nicht obrigkeitsstaatlich durch öffentlich in Erscheinung tretenden Inlandsgeheimdiensten bei Androhung von massiven Diskriminierungen etwa von Anhängern beobachteter Parteien im öffentlichen Dienst davon abgehalten werden. Eine liberale Demokratie des Westens sieht anders aus! Eine Aufforderung an die AfD, sich im Eigeninteresse für die Verwirklichung der „liberalen Demokratie des Westens“ in der Bundesrepublik Deutschland einzutreten. Die wäre eine wirkliche Alternative für Deutschland!

Hinweis
Die vorliegende PPP stellt einen Ausgangspunkt der jüngst erschienen Broschüre des Verfassers dar:

Josef Schüßlburner
Scheitert die AfD? Die Illusion der Freiheitlichkeit und die politische Alternative
Studie 39 des IfS, Verein für Staatspolitik e. V., 2020, Broschur, 239 Seiten, 7 Euro
Erhältlich beim Verlag Antaios

“Prüffall Verfassungsschutz”

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