Sozialismusbewältigung Teil 27

27. Teil: Sozialistischer Klassen-Rassismus oder: Woher bezog Hitler seine Ideen?

Josef Schüßlburner

(Stand: 30.03.2023) Die Verknüpfung des Marxismus mit einem sog. Darwinismus, also der sozialdemokratische Sozialdarwinismus, der die SPD etwa von 1900 bis in die Zeit des Zweiten Weltkrieges gehend ideologisch wesentlich bestimmt hat, beinhaltete die große Wahrscheinlichkeit, daß die Klassen des Klassenkampfes nach der marxistischen Doktrin mit der biologischen Kategorie Rasse gleichgesetzt wurden und somit der Klassenkampf auch als Rassenkampf verstanden wurde. In der Tat geht die Marxsche Klassenkampftheorie auf eine Rassenkampftheorie der Französischen Revolution zurück, wonach sich mit dem Bürgertum die Romano-Gallier gegen die Aristokratie als Nachfahren der Germanen aufgelehnt hätten. Die Entstehung einer Klassengesellschaft wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts auf Eroberungen der Vergangenheit zurückgeführt, bei denen sich die siegreichen Eroberer als herrschende Klasse über die besiegten Einheimischen etabliert hätten. „Die ersten Klassen und Staaten werden aus Stämmen gebildet, die der Akt der Eroberung zusammenschweißt und übereinander schichtet“, so der spätere SPD-Chefideologe Kautsky. Diese Auffassung steht mit Ludwig Gumplowicz sogar am Beginn der Soziologie als Wissenschaft!

Dies berührt auch einen Aspekt des sog. Revisionismusstreits innerhalb der Sozialdemokratie, bei dem sich für einige Theoretiker ergab, daß der biologische Materialismus, der ursprünglich als Ergänzung des marxistischen Materialismus gedachte war, im Konfliktfall doch besser begründbar war, zumal etwa der Arzt Woltmann, dem ursprünglich die Synthese von Marxismus und Darwinismus am besten gelungen war, diese Synthese nur auf einer Grundlage gelang, die einen Übergang zur Rassenlehre äußerst wahrscheinlich machte. Dieser Übergang erfolgte schließlich schon durch Woltmann selbst, dem der Darwinismus die Annahme nahelegte, daß nur aus einer selektiven Entwicklung einer progressiven Menschenrasse eine höhere Art hervorgehen könne, die dann den Sozialismus als höhere Stufe der Menschheitsentwicklung verwirklicht. Woltmann sah dabei „in den modernen Klassenkämpfen das Ringen der im Arbeiterstand vorhandenen germanischen Schichten nach Selbständigkeit und Freiheit.“ Diese Bestrebungen könnten jedoch nur erfolgreich sein bei „Entmischung“ der europäischen Rassen durch künstliche Rückzüchtung, um damit die progressiven germanischen Rassenkerne im Interesse des Menschheitsfortschritts, also des Sozialismus, besser zur Entfaltung zu bringen. Diese Überlegung wurde von seinem Schüler Josef Reimer mit dessen zentralem Werk „Ein pangermanisches Deutschland, Versuch über die Konsequenzen der gegenwärtigen wissenschaftlichen Rassenbetrachtung für unsere politischen und religiösen Probleme“ von 1905 ausgearbeitet, mit dem dieser eine „auf die germanische Menschheit beschränkte internationale europäische Sozialdemokratie“ zur Sozialismusverwirklichung forderte: „Internationalismus heißt also seiner naturwissenschaftlichen Bedeutung nach Unterordnung mehrerer Nationen unter eine ihr gemeinsames Grundelement bildenden Rasse.“ Der Schriftsteller Josef Reimer dürfte dabei die Person sein, die Hitler maßgebend die Ideen gegeben hat. Zwar ist nicht bekannt, ob Hitler die Ausführungen Reimers bekannt waren, aber es ist erwiesen, daß er die Theorien des Franzosen de Lapouge, „L´Aryen, son rôle sociale“ von 1899 kannte, dem Woltmann sehr verbunden war, weil er ähnliche Ideen vertreten hat.

Nach Reimer sollte auf dieser gedanklichen Grundlage mit Deutschland als Ausgangspunkt beginnend mit der Eingliederung der deutschsprachigen Gebiete Österreichs ein bis nach Sibirien reichendes pangermanisches Reich errichtet und in diesem großen vereinheitlichten Wirtschaftsraum der Sozialismus verwirklicht werden. Damit werde sich auch wahre Demokratie ergeben, deren Gleichheitsgedanke die einheitliche Rasse zur biologischen Voraussetzung habe. „Wir kennen nun die erste Grundlage wahrer Demokratie: die Rasse.“

In den für die von Deutschland zu erobernden Gebieten schlug Reimer eine Trennung von Germanen und Agermanen vor, die durch Kommissionen „aus Anthropologen, Züchtern, Künstlern und Ärzten“ identifiziert werden sollten. Die germanischen Bevölkerungsteile sollten durch Maßnahmen der internationalistischen Entnationalisierung zu Pangermanen gemacht werden, um so die germanische Rassenbasis im Interesse des Menschheitsfortschritts zu verbreitern. Für die Agermanen wäre bei Ausschluß aus der germanischen Heiratsgemeinschaft – „extra connubium“ – ein Fortpflanzungsverbot (extirpatio) festzulegen: „Es wäre entschieden am einfachsten, wenn auf reichsterritorialem Boden der Vermehrung (Expansion) der Germanen ein Erlöschen (Extinktion) der Agermanen gegenüberstünde“, so Reimer (Nachweis im Text). Dieses Konzept stellte für Reimer die einzige Möglichkeit dar, ein echt sozialistisches und internationalistisches Programm zu verwirklichen, da die germanische Rasse das treibende Element sei, das unter den kapitalistischen Bedingungen für die Verbesserung ihres Loses kämpfte. Der sozialistische Internationalismus sollte sich demnach nur auf Nationen mit germanischen Rassenelementen erstrecken.

Dieser Ansatz konnte mit Aussagen etwa von Lassalle und Engels weiter vertieft werden. Der SPD-Gründer Lassalle ging etwa von einem Erobererrecht der sozialismusfähigen Kulturnationen aus, weil das „Recht der Geschichte und ihrer Gesamtentwicklung“ größer sei als das Recht „ihrer einzelnen Adern – der besonderen Völker.“ „Die Probe auf dieses Recht (der Eroberung, Anm.) ist bei der Eroberung eines Volkes verschiedener Rasse mehr das Aussterben (gemeint: Ausrottung, extirpatio?, Anm.) bei der Eroberung eines Volkes derselben Rasse mehr die Assimilierung derselben, die Hinüberhebung in den eigenen und höheren Kulturgeist.“ Engels hatte die Auffassung vertreten, daß der „nächste Weltkrieg“, den er mit Marx dauernd herbeischreiben wollte, „nicht nur reaktionäre Klassen und Dynastien, er wird auch ganze reaktionäre Völker vom Erdboden verschwinden machen. Und das ist auch ein Fortschritt.“ Insbesondere seine Aufrufe zum Vernichtungskampf gegen die Slawen sind dabei zu erwähnen.

Es handelt sich bei derartigen Äußerungen also nicht um Außenseiterpositionen, sondern diese Auffassungen waren im sozialdemokratisch / sozialistisch progressiven Mainstream zu finden. 1902 ist der Fabianer H. G. Wells vom Verschwinden und Aussterben der Bevölkerungsgruppen ausgegangen, die er beschrieb als „swarm of black and brown and dirty white and yellow people who do not come into the new need of efficiency“ seines sozialistischen Zukunftsstaates. Wells verstand sich zwar nicht als Marxist, auch wenn er später Lenins Machtübernahme enthusiastisch begrüßte, scheint aber seine Ansichten aus dem allgemeinen linksprogressiven Ideenvorrat geschöpft zu haben. Dieser Ideenvorrat ist dadurch gekennzeichnet, daß die englischen Progressiven, aus denen schließlich in England die Labour-Party und in den USA der Linksliberalismus (Progressismus) hervorgingen, die Freiheit- und Fortschrittlichkeit der angelsächsischen politischen Institutionen seit Beginn der Aufklärung rassisch  begründet haben. Nach dem englischen Republikaner Robert Knox hätten die „Saxons“ („Teutonics“, „Nordics“) eine angeborene rassische Veranlagung für wirkliche Demokratie; sie stellten „the only democrats on earth“ dar und repräsentierten deshalb die höchste Variante der Menschengattung. Trotz einer im wesentlichen paternalistischen Attitüde fremdrassigen Völkern gegenüber konnten im Extremfall „degenerated races“ im Interesse des (demokratischen) Fortschritts ausgerottet werden. Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts war die Vorstellung einer überlegenen angelsächsischen Rasse, welche die Welt niederer Rassen regenerieren würde, fest im englischen Denken verankert. Weltfriede, Ordnung und Moralität wären danach von den angelsächsischen oder germanischen („teutonic“) Christen zu errichten, „and if necessary it was to be founded on the bodies of inferior races.“ 

Eine Umsetzung dessen, was als „Rassenpolitik“ bezeichnet wurde, fand sozialdemokratisch mit der Feindstellung gegen das „Lumpenproletariat“ statt, womit eine soziale Kategorie biologisiert und damit zum Gegenstand eugenischer Überlegungen wurde.

Zusammengefaßt kann daher gesagt werden, daß der Nationalsozialismus im Verständnis Hitlers als die „pangermanische Sozialdemokratie“ auszumachen ist, die der Schriftsteller Reimer sich noch von einer Wandlung der Sozialdemokratie selbst erhofft hatte. Anders als bewältigungspolitisch angenommen, steht „schon die rassistische Komponente seiner Weltanschauung“ einer Zuordnung Hitlers zur politischen Linken gerade nicht entgegen, zumindest nicht einer Einordnung als Sozialisten. „Sozialismus und Eugenik waren von Natur aus keine gegensätzlichen Konzepte, so wie auch Sozialismus und Rassismus von Zeit zu Zeit zusammengehörten“ (so – „eher relativierend“ – zusammenfassend eine im heutigen Mainstream angesiedelte Auffassung eines Experten).

Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um etwa die erste Hälfte des 5. Kapitels mit der Überschrift Sozialistischer Klassen-Rassismus des Werkes des Verfassers:

Josef Schüßlburner, Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, 2008 Lichtschlag Medien und Werbung KG

Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es ist teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt). 

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur online-Stellung auf dieser Internetseite. Das Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wiedererschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich. Bei Amazon bestellen

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