Sozialismusbewältigung Teil 26

26. Teil: Sozialdemokratischer Sozialdarwinismus

Josef Schüßlburner

(Stand: 14.02.2023) In einem zentralen Punkt ist die Sozialdemokratie sicherlich die erfolgreichste politische Richtung Deutschlands, nämlich im Verdrängen und Vergessen! Wer denkt schon an „SPD“, wenn etwa von „Eugenik“ die Rede ist? Kaum jemand, obwohl die damit verbundenen Anliegen den zentralen Bestandteil sozialdemokratischer Überlegungen in der Zeit von ca. 1900 bis in die 1930er Jahre darstellten als dann diese Überlegungen, nachdem der Nationalsozialismus mit diesen Ernst gemacht hatte, erfolgreich ins Vergessen verdrängt wurden: „Nach 1918/19 erhielten solche (gemeint: eugenische, Anm.) Utopien gewisse Realisierungschancen: In der Krise nach der Niederlage des Ersten Weltkrieges wurde nicht nur die Eugenik politikfähig; die Sozialdemokratie ihrerseits wurde regierungsfähig – und ihr gestiegener politischer Einfluß in der neuen Republik führte auch zu einer gesteigerten praktisch-politischen Relevanz ihrer Eugenik“ (Nachweis im Text). Diese wiederum ist nur im Gesamtkomplex „Sozialdarwinismus“ angemessen zu verstehen, was unvermeidbar zu zentralen Ansichten des Nationalsozialismus überleitet.

Dieser sog. Sozialdarwinismus wird berechtigter Weise als zentral für die NS-Ideologie angesehen. Er wird dabei im Umfeld der BRD-Ideologieverwaltung automatisch als politisch „rechts“ eingestuft, wofür zu sprechen scheint, daß damit ein kapitalistisches Wirtschaftssystem (das der NS befürwortet hat?) „biologisch“ in Analogie zur Lehre Darwins erklärt werden kann; denn einem Bonmot des Philosophen Bertrand Russell zufolge stellt der Darwinismus im wesentlichen „die Ausdehnung der Volkswirtschaft des Laissez-faire auf die Tier- und Pflanzenwelt“ dar. Die amtliche BRD-Ideologiekontrolle verdrängt dabei völlig, daß der Sozialdarwinismus, soweit damit staatliche Maßnahmen gefordert wurden (und genau dies war mit „sozial“ gemeint), ein genuin sozialistisches Anliegen gewesen war (während die Liberalen eben keinen Staatseingriff haben wollten, weil sich alles naturgemäß von selbst entwickeln würde). Ausgangspunkt dieses sozialistischen Sozialdarwinismus ist der Versuch, die Evolutionslehre Darwins mit dem Marxismus vereinbar zu machen. Verdienste hierfür hat der Arzt Ludwig Woltmann mit einer Veröffentlichung von 1899 erworben, der sich jedoch dann gezwungen sah, im Rahmen des Revisionismus-Streits innerhalb der Sozialdemokratie eine Richtung einzuschlagen, die schon für den Nationalsozialismus eine konzeptionelle Vorbereitung darstellte. 

Darwin hatte, so Friedrich Engels, in der Biologie naturwissenschaftlich gefunden, was Marx auf gesellschaftlicher Ebene erkannt habe. Diese Verschmelzung von Darwinismus, der dabei eher als Lamarckismus anzusprechen wäre, mit dem Marxismus hat letzteren erst zu einer politisch populären Lehre werden lassen, wobei dann Kritiker vom „Vulgärmarxismus“ sprechen. Für die Sozialisten stellte sich dabei das Problem, daß gerade die von ihnen vorgesehenen sozialstaatlichen Maßnahmen die biologischen Selektionsmechanismen nach Darwin außer Vollzug setzen würden, so daß kompensatorisches staatliches Handeln geboten wäre. Deshalb spielt dann bei sozialdemokratischen Überlegungen die Eugenik, also die Sicherstellung gesunden Nachwuchses als Voraussetzung für die Sozialismus-Verwirklichung eine zentrale Rolle. Die Überlegungen waren dabei teilweise sehr weitreichend und schlossen dabei durchaus die Vernichtung „unwerten Lebens“ ein, wenngleich es galt, zu vermeiden, daß derartiges Leben überhaupt in Erscheinung trat. Dazu kann die Auffassung des maßgeblichen sozialistischen Arztes Österreichs, Julius Tandler, angeführt werden: „Welchen Aufwand übrigens die Staaten für vollkommen lebensunwertes Leben leisten müssen, ist zum Beispiel daraus zu ersehen, daß die 30 000 Vollidioten Deutschlands diesem Staat 2 Milliarden Friedensmark kosten. Bei der Kenntnis solcher Zahlen gewinnt das Problem der Vernichtung lebensunwerten Lebens im Interesse der Erhaltung lebenswerten Lebens an Aktualität und Bedeutung. Gewiß, es sind ethische, es sind humanitäre oder fälschlich humanitäre Gründe, welche dagegen sprechen, aber schließlich und endlich wird auch die Idee, daß man lebensunwertes Leben opfern müsse, um lebenswertes zu erhalten, immer mehr und mehr ins Volksbewußtsein dringen. Denn heute vernichten wir vielfach lebenswertes Leben (gemeint: durch Krieg, Anm.) um lebensunwertes zu erhalten“ (Nachweis im Text).   

Derartige weitreichenden Überlegungen wurden dabei allerdings auf die sozialistische Zukunftsgesellschaft bezogen, weil erst der Sozialismus durch Abschaffung der Klassengesellschaft eine wissenschaftlich konsequente Anwendung der Eugenik erlauben würde, deren Ziel der SPD-Chefideologe Kautsky wie folgt beschrieben hat: „Ein neues Geschlecht wird erstehen, stark und schön und lebensfreudig, wie die Helden der griechischen Heroenzeit, wie die germanischen Recken der Völkerwanderung, die wir uns als ähnliche Kraftnaturen vorstellen dürfen, wie etwa heute noch die Bewohner Montenegros.“

Was jedoch sozialdemokratische Theoretiker als Zukunftsaufgabe ansahen, zur Sozialismusverwirklichung einen germanenhaften Menschentypen hervor zu züchten, war für den 1933 an die Macht gekommenen Nationalsozialismus eine Gegenwartsaufgabe, da der Sozialismus durch den Nationalsozialismus endlich verwirklicht werden und kein bloßes sozialdemokratisches Geschwätz bleiben sollte. Der NS konnte dabei mit dem „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchs“ auf sozialdemokratische Vorarbeiten zurückgreifen, was auch erklärt, daß die Exil-SPD (Sopade) an dieser NS-Gesetzgebung eher zu kritisieren hatte, daß sie nicht konsequent genug sein würde. So ist gänzlich vergessen, daß die Sopade das 1935 verabschiedete NS-Ehegesundheitsgesetz wegen dessen allgemeiner Tendenz, Eheverbote gegen „Minderwertige“ zu verhängen, „nicht zu beanstanden“ hatte und noch 1938 mit Befriedigung die selbstkritischen „Überlegungen nationalsozialistischer Rassentheoretiker“ gegenüber den unerwünschten Folgen der „übersteigerten quantitativen NS-Bevölkerungspolitik“ vermerkte, die zu einer von SPD-Eugenikern gewarnten „ungehemmten Vermehrung des Lumpenproletariats“ führen müsse (Nachweise im Text).

Derartige Überlegungen spielten Marxismus-adäquat auch bei der zeitgenössischen Sowjetideologie eine entscheidende Rolle. So meinte denn der „Sozial-Demokrat“ (Eigenbezeichnung) Trotzki, der Gründer der Roten Armee und eigentlicher Begründer des sowjetischen Zwangsarbeitersystems, daß dieser „befreite Mensch“, der nicht mehr bereit sei, sich „demütig undurchsichtigen Gesetzen von Vererbung und blinder Geschlechtsauslese zu beugen“, „ungleich stärker, klüger und sensibler sein“ werde als die bisherige Menschenvariante; „sein Körper harmonischer, seine Bewegungen rhythmischer, seine Stimme musikalischer. Die Formen des Alltagslebens werden zu dynamischer Theatralik finden. Der durchschnittliche Menschentyp wird sich zum Niveau eines Aristoteles, Goethe und Marx emporschwingen.“ Nicht nur Hitler meinte, daß man mit sozialistischen Angelegenheiten endlich Ernst machen sollte, sondern zeitgleich der Sowjetschriftsteller Maxim Gorki: „Die Zeit ist nahe, da die Wissenschaft eine unabweisbare Anfrage an die so genannten Normalen richten wird: Wollt ihr, daß alle Krankheiten, die Behinderungen, die Unvollkommenheiten, die Senilität und der frühzeitige Tod des Organismus präzise untersucht werden? Diese Untersuchung könnte nicht mit Experimenten an Hunden, Kaninchen und Meerschweinchen durchgeführt werden. Dazu wird man Hunderte von menschlichen Einheiten benötigen. Das wird ein echter Dienst an der Menschheit sein, das wird ganz offensichtlich viel bedeutender, viel nützlicher sein als die Vernichtung vieler Millionen Gesunder für das bequeme Leben einer miserablen, psychisch und moralisch degenerierten Klasse von Räubern und Parasiten.“

Dieses real-sozialistische Bekenntnis ist wohl berechtigter Weise (Nachweis im Text) wie folgt kommentiert worden: „Die Perspektive dieses Prozesses war … nichts anderes als Auschwitz“, womit angezeigt ist, welcher Gedankenströmung, bei Ideologie bewertender Betrachtungsweise, das entsprechende national-sozialistische Geschehen wohl zuzuordnen ist. Dem Konservativismus oder (National-)Liberalismus wohl eher nicht. Umfassende Sozialismusbewältigung, die nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt werden kann, ist daher überfällig!     

Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text zum sozialdemokratischen / nationalsozialistischen Sozialdarwinismus handelt es sich um etwa die zweite Hälfte des 4. Kapitels mit der Überschrift (National-) Sozialismus als gnostischer Irrationalismus des Werkes des Verfassers:

Josef Schüßlburner, Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, 2008 Lichtschlag Medien und Werbung KG

Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es ist teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt). 

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur online-Stellung auf dieser Internetseite. Das Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wiedererschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich. Bei Amazon zu bestellen hier!

“Sozialismusbewältigung Teil 26”

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