21. Teil: „Nationalsozialismus als konsequentere Sozialdemokratie“
Josef Schülburner
(25.04.2022) Was hat die SPD mit Nationalsozialismus zu tun? Handelt es sich dabei nicht um Gegensätze? Die SPD ist doch „links“, während die NSDAP „rechtsextrem“ war. Nun, die maßgeblichen NSDAP-Leute haben sich nicht als „rechts“ eingeordnet: Auch wenn Hitler selbst eine Einordnung als „links“ vermied, Chefpropagandist Goebbels hat das Etikett „links“ entschieden für sich und die NSDAP reklamiert. Seine Gegnerschaft zum „nationalen Besitzbürgertum“ war da zu eindeutig und schließlich stand die Opposition, die Hitler wirklich hätte gefährlich werden können, nämlich die Militäropposition des 20. Juli 1944, eindeutig „rechts“ vom Nationalsozialismus: es handelt sich dann also logischer Weise um einen rechtsextremen Widerstand gegen das NS-Regime! Der Irrsinn, der in der Bundesrepublik als „Verfassungsschutz“ läuft, ist manchmal kaum zu überbieten!
Vorausgehend stellt sich zudem die Frage, ob der Sozialismus als solcher überhaupt als „links“ eingestuft werden kann. Aus der Perspektive des klassischen Liberalismus, der in seinem historischen Ausgangspunkt Ende des 18. Jahrhunderts als Gegensatz zum klassischen Konservativismus (Monarchismus) wegen seiner Freiheitskonzeption entsprechend Selbstbewertung als „links“ einzustufen war, müßte man angesichts der freiheitsfeindlichen Entwicklung des Sozialismus mit massenmörderischen Konsequenzen im 20. Jahrhundert die Berechtigung des Sozialismus, sich als „links“ einstufen zu dürfen, grundsätzlich in Frage stellen. Wenn aber aus einer bestimmten Perspektive der Sozialismus gar nicht „links“ sein sollte, kann man zumindest den sozialistischen Charakter des Nationalsozialismus nicht dadurch in Frage stellen, daß er als „rechts“ einzustufen wäre.
Das Verhältnis von Hitler zur Sozialdemokratie stellt sich jedoch als viel enger dar: Hitler galt in der Revolutionsphase nach dem 1. Weltkrieg als Anhänger der Mehrheitssozialdemokratie und hat seine Sympathie für diese Partei eigentlich nie abgelegt, wenngleich er die SPD wegen ihrer „falschen Führer“ entschieden bekämpfte. Ihm war aber bewußt, daß seine Macht nur stabil war, wenn es ihm gelang, die ehemaligen SPD-Wähler für sich einzunehmen. Dies ist Hitler schließlich durch seine Sozialpolitik in einer Weise gelungen, daß man schließlich sogar von „so etwas wie eine(r) Affinität sozialdemokratischer Arbeiter zu Hitler“ sprechen konnte, „die auch umgekehrt zutraf“ (Nachweis im Text). Dementsprechend mußte die Exil-SPD (Sopade) schon 1934 erkennen: „Stimmungsmäßig verfügt die Regierung über den meisten Anhang in der Arbeiterschaft.“ Gerade „das Verhalten der Arbeiter“ gestatte es „dem Faschismus …, sich immer mehr auf sie zu stützen.“ „…die Arbeiter“ wären „stark vom Hitlerismus besessen“; selbst unter standhaften SPD-Genossen beobachteten sie „Zustimmung ja oftmals Begeisterung gegenüber der Person Hitlers“, dessen „Kraft und ehrlichen Willen“ sie fast nie anzweifelten.
Eine derartige Annäherung zeichnet sich schon in der „Systemzeit“ ab, was durch weitgehende Übereinstimmungen bei parlamentarischen Abstimmungen nachzuweisen ist und der Tatsache, daß Hitler die Mehrheit seiner Parteiaktivisten als „links“ eingestuft hat und diese sich selbst so einstuften wie etwa der mythologisierte Horst Wessel oder der wesentliche Organisator des Judenmordes Adolf Eichmann. Das Entstehen des Nationalsozialismus hat neben maßgeblichen politischen Gründen, die mit dem 1. Weltkrieg und dem Entstehen der Sowjetunion verbunden waren, die Krise des von der SPD vertretenen Marxismus zur Voraussetzung, die sich im sog. Revisionismus-Streit zum Ausdruck brachte. Dies hat nicht nur zur Aufspaltung SPD und KPD geführt, sondern hat eine Vielzahl weiterer sozialistischer Ansätze verselbständigt, die in der SPD gegen Ende des 19. Jahrhunderts schon marginalisiert waren wie etwa das auf den SPD-Gründer Lassalle zurückgehende Verständnis einer demokratischen Führerdiktatur. Letztlich gilt: „In Deutschland und Italien brauchten die Nationalsozialisten und Faschisten in der Tat nicht viel hinzu zu erfinden. Die Methoden dieser neuen politischen Bewegungen, die alle Bereiche des Lebens erfaßten, waren in beiden Ländern bereits von den Sozialisten eingeführt worden“ (v. Hayek, Nachweis im Text). So sehr sich auch Faschismus und Nationalsozialismus als selbständige Bewegungen schon aus taktischen Gründen gegenüber der Sozialdemokratie und ihrem Marxismus insbesondere zu Wahlkampfzwecken abgrenzen mußten: An der genuinen sozialistischen Überzeugung wesentlicher Vertreter des Faschismus kann nicht gezweifelt werden.
In zentralen Bereichen erwiesen sich die Nationalsozialisten – die SPD dadurch in die Defensive drängend – gewissermaßen als die konsequenteren Sozialdemokraten: Das Wirtschaftsprogramm, das die SPD mit Regierungsübernahme angesichts der Dürftigkeit der Aussagen des Marxismus gewissenmaßen ad hoc entwickeln mußte, bestand in der Fortführung der Kriegswirtschaft. Die SPD war allerdings aufgrund ihrer Annäherung an den Linksliberalismus nach Abspaltung ihrer Linksextremisten (Kommunisten) – sicherlich bei Verbleiben von „linksradikalen Kräften in der SPD“ (so ein VS-Präsident) – nicht bereit, aus dieser Konzeption die Konsequenzen zu ziehen, nämlich, daß die staatliche Regulierung nach kriegswirtschaftlichen Grundsätzen letztlich diktatorische Regierungsvollmachten implizierten, die bei einer parlamentarischen Regierungsweise kaum zu verwirklichen waren. Was notwendig wäre, hatte der Sozialdemokrat Otto Neurath in seinem Sozialisierungsplan vorgegeben: „Was der Militarismus gelehrt hat, das muß der Sozialismus vollbringen!“ „Damit hatte die Sozialdemokratie das entscheidende Wort in der ganzen Sozialisierungsfrage ausgesprochen; ihre sämtlichen Nachkriegsprogramme konnten nur noch auf einen militärisch organisierten Sozialismus, also auf die Anpassung des ökonomischen Apparats an die imperialistischen Notwendigkeiten, auf die Kriegswirtschaft des totalen Staates für den Fall des totalen Krieges hinauslaufen! Sie war hierbei blind vor dem Umstand, daß der Militarismus nun einmal ohne das autoritäre Befehlswesen nicht existieren kann, daß sich also ein militärischer Sozialismus eher mit Diktatur einer militärisch organisierten Partei als mit einer Vielzahl liberaler und parlamentarischer Wahlvereine vereinbaren läßt“ (Nachweis im Text).
Die mangelnde Konsequenz hat Hitler der SPD etwa in der eigentlich nie erwähnten Antwort auf die häufig zitierte Reichstagsrede von Otto Wels (SPD) zum sog. Ermächtigungsgesetz gezielt zum Vorwurf gemacht: Er warf nämlich den sozialdemokratischen Revolutionären von 1918 vor, nicht die sozialistische Republik gegründet zu haben! Nach Hitler wäre es folgerichtig gewesen, die „Errungenschaften der Revolution auf sozialem Gebiet gegenüber dem internationalen Finanzkapital zu verteidigen“; stattdessen habe man die Waffen aus der Hand gelegt, womit die Gründung einer derartigen sozialistischen Republik wegen des kapitalistischen Drucks nicht mehr möglich war. Auch für Goebbels hat die „deutsche Revolution“ mit dem Weltkrieg 1914 begonnen, die es nun zu vollenden gelte, da 1918 eine „wirkliche Revolution“ nicht stattgefunden habe: „Platt gesagt: an die Stelle der Schlotbarone traten die Geldbarone,“ weshalb das deutsche Arbeitertum durch den Ausgang des Krieges und „die verratene Revolution“ eine zweifache, außen- wie innenpolitische Niederlage gegen den Kapitalismus erlitten habe. Der Nationalsozialismus habe die sinkende Fahne des Sozialismus aufgegriffen, um das 1918 Versäumte nachzuholen, nämlich der Bourgeoisie das zuzufügen, was Marx richtig vorausgesehen hätte. Zumindest Goebbels, und mit ihm letztlich auch Hitler, wenn man genau liest, hat den Nationalsozialismus als die konsequentere Sozialdemokratie angesehen.
Auch in zahlreichen anderen sicherlich bewältigungsrelevanten Punkten (die noch etwa hinsichtlich Eugenik und Judentum in weiteren Abhandlungen zur vorliegenden Sozialismusbewältigung dargestellt werden) vermied die SPD die Antworten auf Fragen, die sich nach ihrer Doktrin ergaben, weil eine konsequente Antwort wahrscheinlich eine „faschistische“ gewesen wäre. Schließlich kann man den sozialistischen Charakter des Nationalsozialismus nicht dadurch in Frage stellen, weil er eine formale Verstaatlichungspolitik vermieden hat, sondern vielmehr das gemacht hat, was dann später den Reformkommunisten („Eurokommunisten“) konzeptionell positiv angerechnet werden sollte. Nämlich das Privateigentum formal beibehalten und sich mit staatlicher Wirtschaftslenkung begnügt zu haben bzw. begnügen zu wollen. Da im Nationalsozialismus die Grundrechte sozialismuskonform abgeschafft waren, gab es selbstverständlich auch kein Eigentumsrecht wie der maßgeblichen Darstellung des NS-Verfassungsrechts eindeutig entnommen werden kann. Danach hat der „deutsche Sozialismus“ den „bindungs- und verantwortungslosen Charakter des Eigentums“ überwunden, da dem Sozialismus alles Eigentum Gemeingut darstellt. Der Eigentümer ist danach nur Verwalter seiner Güter und dabei gegenüber Volk und Reich verantwortlich. „Seine Rechtsstellung ist nur dann wirklich gerechtfertigt, wenn er dieser Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft genügt. Die Gemeinschaftsbindung tritt hier nicht als etwas Zusätzliches und Nachträgliches hinzu; sie ist keine von außen an das Eigentum herangetragene Beschränkung. Sondern sie wohnt der Substanz des Eigentums von vornherein inne; das Eigentum ist seinem Wesen und Inhalt nach eine gemeinschaftsgebundene Befugnis“ (Verfassungsjurist Huber, Nachweis im Text).
Der NS hat den gegnerischen Sozialismus als „Marxismus“ nicht aus prokapitalistischen Gründen abgelehnt, sondern diesen mit dem Vorwurf überzogen, „kein wahrer Sozialismus“ zu sein, „weil er nicht den individualistisch-liberalen Kapitalismus und den mit ihm verbundenen Klassengegensatz durch eine neue Gemeinschaftsordnung zu überwinden strebt, weil er vielmehr die individualistische Interessenwirtschaft im Klassenkampf zu Ende führen will.“ Dies stellt einen typischen Häresie-Vorwurf dar, d.h. die Kritik des Nationalsozialismus an der klassischen sozialistischen Doktrin verbleibt inner-sozialistisch. Ohne umfassende Sozialismusbewältigung kann es deshalb auch keine Bewältigung des Nationalsozialismus geben!
Hinweis
Bei dem anschließend veröffentlichten Text handelt es sich um das 1. Kapitel des Werkes des Verfassers:
Josef Schüßlburner, Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus, 2008 Lichtschlag Medien und Werbung KG
Gegenüber der Buchausgabe ist der Text dahingehend modifiziert, daß er als selbständiges Dokument gelesen werden kann; es wird teilweise nach der Buchveröffentlichung erschienene neue Literatur berücksichtigt und außerdem findet insbesondere durch „Verlinkungen“ eine Einpassung in die vorliegende Serie zur Sozialismus-Bewältigung statt; auch Verlinkungen insbesondere zu Wikipedia für Leser, die sich mit der Materie intensiver beschäftigen wollen, werden – dem Internetzeitalter geschuldet – vorgenommen. Und dies trotz der Problematik, daß gerade die Bereiche, um die es vorliegend geht, insbesondere in der deutschen Ausgabe von Wikipedia häufig eine sehr einseitig linke Sichtweise verbreiten (neutraler ist da in der Regel die englischsprachige Fassung, sofern eine solche zu bestimmten Themenkomplexen überhaupt vorliegt).
Die Redaktion von www.links-enttarnt.de dankt dem Lichtschlag-Buchverlag für seine Zustimmung zur online-Stellung auf dieser Website.
Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus,
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Dieses Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wieder erschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich.
Verlagsangaben
Hat der Nationalsozialismus sozialdemokratische Wurzeln? Alle Kernelemente, die dem NS zum Vorwurf gemacht werden müssen, finden sich im klassischen Sozialismus ideologisch vorgezeichnet. Trotz erbitterter Auseinandersetzung zwischen den Sozialismen stellen sich die Übergänge als fließend dar. Der Autor fordert eine umfassende Sozialismus-Bewältigung, die nicht auf den Nationalsozialismus beschränkt werden kann. Nur dann erscheint es möglich, die Wiederkehr „faschistischer“ Tendenzen zu verhindern, die in der BRD vor allem als „Antifaschismus“ auftreten und sich in der Verehrung für die Nationalsozialisten Mao Tse-tung und Pol Pot bei der 68er-Generation manifestiert haben. Diese will nunmehr im Sinne der Wiederkehr des nachhaltig Verdrängten das Vermächtnis von Adolf Hitler umsetzen, den „Schlag gegen rechts“ zu führen.