Parteiverbotskritik Teil 9

Parteiverbotskritik Teil 9: Die profaschistische Wurzel der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption oder: Etabliertes Parteiensystem als eigentliches Schutzgut von Parteiverbot und Parteiverbotssurrogaton

Josef Schülburner

(Stand: 22.12.2022) Die zur Bekämpfung der Oppositionspartei AfD amtlich vorgebrachten Vorwürfe ideologie-politischer Art leiten sich wesentlich aus der Verbotsbegründung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil gegen den Verbotsantrag im zweiten NPD-Verbotsverfahren ab. Für den amtlichen „Kampf gegen rechts“ insgesamt ist jedoch immer noch die Verbotsbegründung des Verbotsurteils gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) von maßgeblicher Bedeutung, wobei nicht nur die Begründung selbst eine Rolle spielt, sondern die Begründungsmethodik ausschlaggebender ist. Das Verfassungsgericht hat es dabei nämlich in einem entscheidenden Punkt abgelehnt, der juristischen Methodik zu folgen, sondern hat eine phänomenologische Betrachtung abgestellt, womit die Politologie die Jurisprudenz verdrängt: Dies führt dann zu ideologie-politischen Vorwürfen gegen eine zu verbietende Oppositionspartei. Diesen politikwissenschaftlichen Ansatz mußte das Verfassungsgericht pflegen, um dadurch die Parteienstaatstheorie des maßgeblichen Richters Leibholz anwenden zu können, deren Vereinbarkeit mit dem geschriebenen Grundgesetz äußert zweifelhaft erscheint, was auch dazu geführt hat, daß sich die bundesdeutsche Staatsrechtswissenschaft zwar theoretisch zwischenzeitlich von dieser Lehre abgewandt hat, in praktische Hinsicht wie etwa bei der Parteiverbotskonzeption diese Theorie noch immer die bundesdeutschen Verhältnisse beschreibt.  

Gerade an der Urteilsbegründung des SRP-Verbots läßt sich die äußerst befremdliche Methodik des speziellen Parteiverbotssystems mit permanenten Auswirkungen auf das Parteiverbotsersatzsystem aufzeigen. Die Parteienstaatslehre hat erkennbar profaschistische Wurzeln, was sich dahingehend auswirkt, daß mit dieser Lehre eher eine blockparteiliche Demokratie nach Art der antifaschistischen „DDR“ begründet werden könnte, als eine parlamentarische Demokratie nach dem rechtsstaatlich interpretierten Grundgesetz. Wenn etwa im SRP-Verbot die Aberkennung der auf freie Wahlentscheidung gewonnen Parlamentsmandate damit begründet wurde, daß das Volk kein Recht hätte, Kandidaten einer verfassungswidrigen Partei zu wählen, dann führt dies im Extremfall dazu, daß eine Herrschaft der sich als „Demokraten“ verstehenden Minderheit trotzdem noch eine Demokratie darstellt, weil die Demokraten-Diktatur die Herrschaft der von der Mehrheit angeblich oder tatsächlich unterstützten Nichtdemokraten verhindert. Die „Volksdemokratie“, im Parlamentarischen Rat als zwar „weniger frei“ aber durchaus als Demokratie anerkannt, liegt in der Konsequenz der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption.

Gerade die massive Anwendung des Parteiverbotssurrogats gegen eine Oppositionspartei (eine Regierungspartei wird davon nie betroffen sein) macht deutlich, daß sich mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17.01.2017 im zweiten NPD-Verbotsverfahren die Parteiverbotsproblematik nicht erledigt hat, sondern vor allem in Form des Parteiverbotssurrogats weiterhin fortbesteht. 

Insbesondere bei der Analyse der SRP-Entscheidung wird deutlich, daß diese spezielle bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption sich wesentlich auf die Parteienstaatstheorie des langjährig amtierenden Richters des Bundesverfassungsgerichts Gerhard Leibholz (1901-1982), zurückführen läßt, auf die dabei auch die Institutionalisierung eines weitgehend staatsfinanzierten Parteienstaates zurückgeht. Vor den möglicherweise ungewollten Wählerwünschen des Volkes ist dieser mit der gleichheitswidrigen Sperrklausel geschützt, deren Sperrwirkung durch Mitwirkung des öffentlich in Erscheinung tretenden Inlandsgeheimdienstes und der darauf gestützten Diskriminierungsmaßnahmen ins Unüberwindliche erhöht werden kann; dies gipfelt in Verboten, die letztlich gegen die Weltanschauung von Konkurrenzorganisationen gerichtet sind. Damit wird notwendigerweise der Fortbestand des etablierten Parteiensystems zum eigentlichen Schutzgut der Parteiverbotskonzeption und vor allem auch des daraus abgeleiteten Parteiverbotssurrogats.

An dieser Parteienstaatslehre muß hervorgehoben werden, daß ihr Begründer Leibholz einst mit seinem Theorieansatz dem faschistischen Einparteiensystem Italiens demokratischen Charakter konzedieren mußte. Aufgrund der letztlich antiparlamentarischen Stoßrichtung dieser Lehre hat es dem Bundesverfassungsgericht keine Schwierigkeiten bereitet (seinerzeit ohne Rechtsgrundlage!), mit dem Parteiverbot automatisch die aufgrund freien Wahlrechts erworbenen Parlamentssitze abzuerkennen. Dies ist damit begründet, daß das Volk kein Recht habe, sich von Parteien parlamentarisch vertreten zu lassen, welche mit ihrer politischen Vorstellungswelt der als Überparteiprogramm (Prinzipienkatalog) erkannten freiheitlichen demokratischen Grundordnung widersprechen. Zur Ausscheidung der Ideen, was aufgrund der Umdefinition der rechtsstaatlichen Demokratie in eine leicht ideologisierbare demokratischen Werteordnung zum eigentlichen Zweck des Parteiverbots wird, welche dem geschriebenen Text der Verfassungsurkunde zuwider mit dem Vorwurf des grundrechtsterroristischen Mißbrauchs gegen ungewollte Opposition rechtsstaatswidrige Diskriminierung ermöglicht, wird das Parteiverbot mit einem Wahlteilnahmeverbot verknüpft. Damit wird es aufgrund dieser Parteiverbotskonzeption möglich, daß selbst die Herrschaft einer Minderheit von Demokraten, die gegen eine (erwartete) verfassungsfeindliche Mehrheit regiert, als Demokratie verstanden wird. Der Wille des Volks wird dann nicht mehr in einem Parlament repräsentiert, sondern durch eine „Verfassung“ oder durch die virtuelle Einheitspartei der „Demokraten“.

Dieses (gewissermaßen) DDR-Potential der bundesdeutschen Parteiverbotskonzeption, mit der die profaschistische Wurzel der Parteienstaatslehre zum Vorschein kommt, ist durch eine rechtsstaatliche Parteiverbotskonzeption zu überwinden. Allerdings steht mit der Überwindung der Parteienstaatslehre für das etablierte Parteiwesen viel mehr als nur die Möglichkeit des Verbots von Konkurrenzparteien wegen rechter politischer Weltsicht auf dem Spiel: In Frage gestellt werden dann wahlrechtliche Sperrklauseln, Fraktionszwang und die weitgehende Staatsbesoldung von Parteien, welche aus diesen Vereinigungen durch Inkorporation in den Staatsapparat Herrschaftsinstrument der Gewählten über ihre Wähler macht. Die bundesdeutsche Parteiverbotskonzeption ist aufgrund des geisteswissenschaftlichen Begründungsarsenals der Parteienstaatslehre, welche die traditionelle staatsrechtliche Argumentationsweise verdrängt (wofür auch die konkreten Parteiverbotsbegründungen zeugen), mit erheblichen Kollateralschäden für das normale Funktionieren einer Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland verbunden: Unter dem Vorwand der Bekämpfung des Nazismus werden dabei (in Übereinstimmung mit der alliierten Lizenzierungspolitik der Besatzungsherrschaft) generell „Rechtsparteien“ bis zurückgehend auf die Konservativen und Nationalliberalen des Kaiserreichs des „Grundrechtsterrors“, d.h. des zwar legalen, aber demokratie-illegitimen „Mißbrauchs“ von Grundrechten bezichtigt. Deshalb kann auch der in einer normalen Demokratie zur Entscheidungsfindung des Volks notwendige und frei ausgetragene Links-Rechts-Antagonismus in der Bundesrepublik Deutschland nicht wirklich praktiziert werden.

Zusammengefaßt: Beim Kampf gegen das Parteiverbotssurrogat, das aus der besonderen, letztlich pro-faschistischen Parteiverbotskonzeption abgeleitet ist, muß gewissermaßen die Ent-Leibholzung des bundesdeutschen Verfassungsrechts angestrebt werden, damit die Bundesrepublik Deutschland eine normale Demokratie des Westens wird. Die praktizierte Parteiverbotskonzeption, welche maßgebend auf der Parteienstaatslehre von Richter Leibholz beruht, ist dabei zu überwinden. Dies wird zumindest langfristige Auswirkungen auf Parteienfinanzierung, wahlrechtliche Sperrklausel, Veröffentlichungspraxis der Polizeiministerien gegen (ideologische) „Extremisten“ haben und würde die Voraussetzungen schaffen, daß der bundesdeutsche Parlamentarismus bleibend einen repräsentativen Charakter gewinnt. Insbesondere ist dann der „Kampf gegen rechts“ als erheblicher Kollateralschaden der doch so mutigen Bekämpfung des kaum vorhandenen Nazismus einzustellen. Ein Parteiverbot ist auf ein Organisationsverbot zu beschränken, das zu seiner Rechtfertigung den Nachweis bedarf, dass nur durch ein derartiges Verbot eine dringend erforderliche Abwehr einer konkreten Gefahr möglich ist. Die Ausscheidung von Ideen kann daher entgegen der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts nicht Zweck eines Parteiverbotes sein. Diese Erkenntnis, würde sie allgemein anerkannt werden, würde erheblich zur unverbrüchlichen Wahrung der Meinungsfreiheit in der Bundesrepublik Deutschland beitragen. Schließlich sind freies Wahlrecht und die Stellung frei gewählter Parlamentarier bei einem Parteiverbot zu beachten. Dies gilt naturgemäß auch für das als solches offiziell gar nicht anerkannte Parteiverbotssurrogat (Geheimdienstüberwachung politischer Opposition, Auflistung derselben in amtlichen Berichten und darauf basierenden massiven Diskriminierungen).

“Parteiverbotskritik Teil 9”


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