Parteiverbotskritik Teil 3: Verfassungsmäßige Ordnung als Schutzgut des Vereinsverbots: Die dringende Revisionsbedürftigkeit der bundesdeutschen Vereinsverbotskonzeption
Josef Schüßlburner
(Stand: 28.07.2024) „Es ist also kein Zufall, daß die liberalen Demokratien des Westens ein Parteiverbot entsprechend Art. 21 Abs. 2 GG nicht kennen, wie es auch der deutschen Reichsverfassung von … 1919 fremd war“, so das Bundesverfassungsgericht zur speziellen, zentral gegen die Meinungsfreiheit gerichteten Parteiverbotskonzeption nach dem freiheitlichen Grundgesetz im Verständnis des derzeit von der politischen Klasse nachhaltig gegen die möglichen Auswirkungen von demokratischen Wahlen zu schützenden Bundesverfassungsgerichts.
Diese freiheitsfeindliche Ausrichtung des Parteiverbots hat notwendigerweise auch Auswirkungen auf das allgemeine Vereinigungsverbot, von dem das Parteiverbot nur einen Sonderfall (sog. „Parteienprivileg“) darstellt. Anders als in der freien Weimarer Reichsverfassung und in normalen „liberalen Demokratien des Westens“ kann ein Vereinigungsverbot nach dem freiheitlichen Grundgesetz nicht nur aus Gründen der Strafrechtsrelevanz ausgesprochen werden, sondern auch wegen der „verfassungsmäßigen Ordnung“, die mehr oder weniger mit der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“, dem Schutzgut des Parteiverbots, gleichgesetzt wird.
Dementsprechend kann ein Verbot wie das jüngst ausgesprochene Verbot von Compact von vornherein nur verhindert und damit die Meinungsfreiheit als Grundlage von Freiheit und Demokratie unverbrüchlich gesichert werden, wenn die Artikel 9 (2) und 21 (2) des Grundgesetzes durch eine Regelung wie Artikel 124 Abs. 1 S. 1 „der deutschen Reichsverfassung von 1919“ (so das Bundesverfassungsgericht), nämlich der freien Weimarer Reichsverfassung (WRV), ersetzt wird oder etwa eine Regelung wie § 78 der Verfassung des freien Königreichs Dänemark nördlich von der nur freiheitlichen BRD rezipiert wird, die für die Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit in einer normalen Demokratie steht.
Die entsprechende Bestimmung der Weimarer Reichsverfassung hat gelautet:
„Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden.“
Und die Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit in einer „liberalen Demokratie des Westens“ nach der angeführten Verfassung des freien Königreichs nördlich von der nur freiheitlichen BRD wird durch folgende Verbotsmöglichkeit verwirklicht:
„Vereine, die sich unter Anwendung von Gewalt betätigen oder ihre Ziele durch Gewaltanwendung, Anstiftung zu Gewaltanwendung oder ähnliche strafbare Beeinflussung Andersdenkender zu erreichen suchen, werden durch Gerichtsurteil aufgelöst.“
Würden anstelle des Grundgesetzes für die BRD die angeführten Regelungen der freien WRV oder des freien Königreichs Dänemark gelten, wäre das freiheitsfeindliche Compact-Verbot von vornherein undenkbar und die Demokratie wäre dann in der BRD vor demokratiefeindlichen „Demokraten“ („Volksdemokraten“) gesichert.
Natürlich ist es naheliegend, dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts zuwider eine der Freiheitsidee besser entsprechendes Verständnis des Grundgesetzes entgegenzuhalten, um zu versuchen, auf eine Änderung der Rechtsprechung hinzuwirken. Diese Klärung müßte dann in der Tat beim Parteiverbotskonzept ansetzen, um daraus auch Argumente für ein alternatives Verständnis des Vereinigungsverbots abzuleiten.
Mit der notwendigen Klärung von Voraussetzungen und Rechtsfolgen eines Parteiverbots (wobei man trotz der entgegengesetzten Auffassung des Verfassungsgerichts bezweifeln könnte, ob das Grundgesetz überhaupt ein Parteiverbot ermöglicht), sind auch die Voraussetzungen und die davon möglicherweise abweichenden Rechtsfolgen des Verbots eines (politischen) Vereins im Interesse der Gewährleistung einer funktionierenden Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland zu klären.
Soweit die verfassungsmäßige Ordnung als Schutzgut für das Verbot eines (politischen) Vereins / einer Vereinigung angesprochen ist, sollte dieser Begriff in der Tat mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung als Schutzgut zur Rechtfertigung des Verbots einer Partei gleichgesetzt werden. Jedoch wäre dann dieser Begriff wiederum mit dem gleichlautenden Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung als Schutzgut der Hochverratsbestimmung (vgl. § 81 StGB) gleichzusetzen. Dies würde bedeuten, daß ein politischer Verein nur verboten werden kann, wenn es sich hierbei um eine Umsturzbewegung handelt, bei der zumindest Vorbereitungshandlungen für politisch motivierte Kriminalität vorliegen, die gegen das Funktionieren der legalen staatlichen Institutionen oder gegen legales Verhalten politischer Gegner gerichtet ist. Damit sollte von vornherein das Verbot einer Vereinigung ausscheiden, deren Mitglieder lediglich dadurch in Erscheinung treten, daß sie nicht internationalsozialistischen Ideen anhängen und andere historische Bezugsgrößen als Rosa Luxemburg oder Josef Stalin haben.
Die Gleichsetzung der Verbotsvoraussetzungen für Verein und Partei ist zum Ausschluß von Umgehungstatbeständen und einer Parteiverbotsvorwirkung, also zur Verhinderung des eigentlich verfassungswidrigen Parteiverbotssurrogats, erforderlich: Ein politischer Verein stellt häufig den Beginn einer Parteineugründung dar. Kann dann aber ein Verein verboten werden, obgleich eine entsprechende Partei nicht verboten werden könnte, könnte auf diese Weise eine Parteineugründung äußerst erschwert werden. Die zahlreichen Vereinsverbote, die in der Bundesrepublik Deutschland ausgesprochen worden sind und international eine Parallele wohl hauptsächlich in der (wirklich vorbildlichen?) Türkischen Republik haben, könnten dafür sprechen, daß auf diese Weise zahlreiche Verbote ausgesprochen wurden, die man als Parteiverbot nicht hätte durchziehen können; dadurch ist die Wahrscheinlichkeit nicht von der Hand zu weisen, daß der im Interesse des Mehrparteienprinzips und des politischen Pluralismus errichtete besondere Schutz von Parteien (sog. Parteienprivileg) durch bloße Vereinsverbote unterlaufen wurde. Das Compact-Verbot ist ersichtlich zum Zwecke der Unterdrückung des (vermuteten) „Vorfelds“ der staatliche bekämpften Oppositionspartei Alternative für Deutschland (AfD) ausgesprochen worden und stellt demnach eine Variante des eigentlich durch das sog. „Parteienprivileg“ ausgeschlossenen Parteiverbotssurrogats dar.
Verfassungsmäßige Ordnung als (negative) Verbotsvoraussetzung für einen (politischen) Verein und freiheitliche demokratische Grundordnung als (negativer) Anknüpfungspunkt für die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei kann nur dann etwas Unterschiedliches bedeuten, wenn man – dies wäre ein vertretbares alternatives Verständnis der Grundgesetzvorschriften – erkennt, daß der als Parteiverbotsbestimmung verstandene Artikel 21 Abs. 2 GG gar keine Parteiverbot ermöglicht und damit das Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG), das erst explizit ein Parteiverbot statuiert, insoweit als verfassungswidrig zu erkennen wäre. Bei diesem alternativen Ansatz mag dann freiheitliche demokratische Grundordnung in etwa den vom Bundesverfassungsgericht erkannten Prinzipienkatalog (wie Mehrparteiensystem, das vor allem durch ein Parteiverbot abgeschafft wird) meinen; dann könnte zwar die Verfassungswidrigkeit einer Partei festgestellt werden, weil sie den Prinzipienkatalog nicht (hinreichend) anerkennt, sie könnte aber als Verein nur verboten werden, wenn sie gleichzeitig als Umsturzbewegung identifiziert werden kann. Bei diesem alternativen Verständnis mag die Verfassungswidrigkeitserklärung nach Artikel 21 Abs. 2 GG maximal zu einem vorübergehenden Wahlteilnahmeverbot führen, wodurch das Spezifische „verwirkt“ wäre, das eine Partei von einem bloßen politischen Verein unterscheidet. Dann könnte aber die als verfassungswidrig erkannte Partei als Verein (etwa als politischer Diskussionszirkel) fortbestehen, um dann nach Reorganisation (Ausscheiden bedenklicher Mitglieder, Gewinnen neuer Mitglieder, Änderung des Programms) wieder als Partei zu den Wahlen antreten zu können.
Bei diesem Verständnis könnte trotz Verfassungswidrigkeitsfeststellung der politische Pluralismus gewahrt bleiben und einer politischen Strömung, falls diese das politische Bedürfnis einer Anzahl von mündigen, d.h. menschenwürdeberechtigten Bürgern und freien Wählern zum Ausdruck bringt, die Chance gegeben werden, die alternativen politischen Auffassungen künftig in einer legalen und auch polizeirechtlich unbedenklichen Weise zum Ausdruck zu bringen.
Einer funktionierenden Demokratie angemessener wäre jedoch, die „Vollstreckung“ der verfassungsgerichtlichen Feststellung zur Verfassungswidrigkeit einer Partei der Wahlentscheidung des mündigen Bürgers / freien Wählers zu überlassen. Selbst im Deutschen Kaiserreich hat man dem mündigen Bürger dies zugetraut und ihm trotz – jeweils zeitlich befristeten (!) – Sozialistengesetzes, das der Exekutive Vereinverbote ermöglicht hat, die Wahl der als verfassungsfeindlich angesehenen SPD gestattet. Ein derartiges Maß an Mündigkeit sollte auch in der Bundesrepublik Deutschland dem Bürger zugestanden werden, zumal das Grundgesetz der Menschenwürde einen besonderen Rang einräumt!
Um allerdings ein derartiges Grundgesetzverständnis politisch durchzusetzen, wird es unvermeidbar sein, eine Änderung des Grundgesetzes anzustreben, die unverbrüchlich die Normalstandards einer liberalen Demokratie des Westens in der Bundesrepublik Deutschland verwirklicht. Sowohl die freie Weimarer Reichsverfassung als auch die Verfassung eines freien Landes im Norden von der nur freiheitlichen BRD könnten dazu eine Formulierungshilfe darstellen! Dazu kann man sich auch auf die Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarats zu Parteiverboten und analogen Maßnahmen beziehen.
Wann wird die Alternative für Deutschland (AfD) schon im legitimen Eigeninteresse eine derartige Forderung eines der liberalen Demokratie des Westens entsprechenden Staatsschutzkonzepts in der nur freiheitlichen BRD zur Gewinnung von Wählern, zur politischen Neutralisierung negativer Gerichtsentscheidungen in VS-Sachen und zur Delegitimierung des polit-ideologischen Verfassungsschutzes erheben? Man sollte sich nicht auf den bisherigen Zustand von „Mehr Glück als Verstand“ verlassen!