Minimalstaat – Überzeugend begründet?

Minimalstaat – Überzeugend begründet?Besprechung von: Robert Nozick, Anarchie, Staat, Utopie, 2006

Josef Schüßlburner

Bevor das Buch von Hans-Hermann Hoppe, Demokratie. Der Gott, der keiner ist, unter Libertären einen Kultstatuts erworben hat, hatte das hier besprochene, in den USA schon 1974 erschienene Buch bei zahlreichen Liberalen und Libertären einen vergleichbaren Kultstatus erhalten. Trotz sicherlich zur Erkenntnis führender Argumentationsteile enttäuscht die Nachweisführung hinsichtlich des zentralen Anliegens des Liberalismus, nämlich einen Minimalstaat zu begründen. Diese theoretische Schwäche des Liberalismus führt zu seinem historischen Ausgangspunkt zurück: Der Liberalismus ist im 18. Jahrhundert als politisch links-stehende notwendige Kritik an der überkommenen politischen Ordnung Europas entstanden. Anders als der etablierte Konservativismus (welcher nur durch den Liberalismus entsprechend erkannt werden konnte), welcher von der anthropologischen Selbstverständlichkeit politischer Herrschaft ausging, sah sich der Liberalismus gezwungen, politische Herrschaft zu begründen, was letztlich nur auf Rationalisierungen unter Stichworten wie „Gesellschaftsvertrag“ hinauslief, die historisch kaum eine Grundlage haben, aber dann als Ideologeme dem Sozialismus vorarbeiteten. Das Aufkommen des Sozialismus aus dem ideologischen Geist des Liberalismus zwang dem Liberalismus dann jedoch eine politisch rechte Position auf, womit klar wird, daß der Liberalismus nur im Zusammenhang mit dem Konservativismus, möglicherweise als Verbesserung desselben, seine konstruktive Rolle spielen kann.

Für den Konservativismus spricht dabei, daß zunächst etwas da sein muß, was sich „liberalisieren“ läßt, aber aller Wahrscheinlichkeit nicht von Liberalen in die Welt gesetzt worden war. Was jedoch gegeben ist und insbesondere warum dies der Fall ist, entzieht sich eher der überzeugenden liberalen Analyse. Auch insofern empfiehlt es sich für den Liberalismus, will er wirksam sein, die politisch rechte Position einzunehmen, sicherlich auch, um diese Position auf die von ihm gewollte politische und persönliche Freiheit auszurichten. Losgelöst vom Konservativismus arbeiten liberale Werte, also die entsprechenden Glaubensgehalte, doch eher dem leftism vor, wie der liberale Glaubensrekurs auf Rousseau und dessen Behauptung, wonach der Mensch frei geboren sei, hinreichend belegt. Der Konservativismus muß dann dem Liberalismus die Selbstverständlichkeit klar machen, daß der angeblich frei geborene Mensch kaum einen Tag überleben würde, würde er nicht der fürsorglichen „Knechtschaft“ seiner Eltern unterworfen sein. Daß der Mensch dann vielleicht frei werden kann, verdankt er der kulturellen Tradition, also dem kulturellen Konservativismus, was in (West-)Europa, im Unterschied zu anderen Weltgegenden u. a. den Liberalismus hervorbringen konnte. Liberale Werte ohne diesen konservativen kulturellen Kontext führen dagegen zur politischen Linken, zur utopischen Verstiegenheit etwa der Anthropologie eines Karl Marx, der sich auf ideologischer Ebene nachvollziehbar einen Menschen nur dann als frei vorstellen konnte, wenn er seine Existenz nicht auch einem anderen verdankt. Um diese Unmöglichkeit zu konstruieren, muß man den liberalen Individualismus ins Absurde steigern und gelangt dann zwingend zum linken Kollektivismus.

Eine wirkliche Lösung des liberalen Anliegens ist dem Kultbuch nicht gelungen. Als Vorschlag hierzu kann gemacht werden: Ist ein Minimalstaat wirklich etwas erstrebenswertes, dann wird er sich schon durchsetzen, wenn man dies zuläßt. Dies setzt einen Staatenwettbewerb im Rahmen eines Staatespluralismus voraus. In diesem Wettbewerb wird sich die Staatskonstruktion behaupten, die wirtschaftlich effektiv ist, was dann in der Tat eher eine Art Minimalstaat sein könnte. Auch wenn sich diese Argumentation auf das für Liberalismus stehende Wettbewerbsprinzip stützen könnte, vermeiden Liberale eine derartige Argumentation. Diese ist dann wohl zu realistisch und würde dem Liberalismus erkennbar die politisch rechte Position vorgeben, nämlich den Erhalt des eigenen Nationalstaates und die Sicherstellung von dessen Wettbewerbsfähigkeit durch eine liberale Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik vorgeben. Mit dieser politischen Wirklichkeit und den Anforderungen, welche diese stellt, wollen vor allem deutsche Liberale jedoch nicht mehr so viel zu tun haben. Nozick selbst sympathisiert erkennbar mit dem, was man als Gründungskonstruktion der US-Bundesverfassung ansehen kann, nämlich die Konföderation mit Austrittsrecht. Bekanntlich ist in den USA diese Konzeption nicht aufrechterhalten worden: Das Austrittsrecht wurde durch „Bürgerkrieg“ verweigert. Deshalb kann die Lösung nicht in der Föderation oder Konföderation liegen, sondern im Pluralismus unabhängiger Staaten.   

Minimalstaat – Überzeugend begründet?”

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