Kritik der Europaideologie – Teil 5

Kritik der Europaideologie – Teil 5: Der indische Subkontinent als EU-Menetekel – Zivilreligiöse Konfliktverschärfung als Voraussetzung demokratischer Völkerintegration

Josef Schüßlburner

(17.12.2021) Die wesentliche Begründung, ob ausgesprochen oder nicht, welche nunmehr zum ersten Mal eine Bundesregierung veranlaßt, ausdrücklich einen föderalen europäischen Bundesstaat anzustreben, besteht vor allem darin, daß ein vereintes Europa den Frieden garantieren würde. Das Beispiel Indien zeigt jedoch, daß ein nach demokratischen Prinzipien regierter Vielvölkerstaat, insbesondere im Interesse der Sezessionsabwehr, keineswegs friedlicher ist als das System einer Vielzahl demokratisch regierter Nationalstaaten. Auf das politologische „Gesetz“, wonach zwischen demokratisch regierten Staaten keine Kriegsgefahr bestünde, wird sich im Fall Indiens vor allem im Verhältnis zu Pakistan kaum ein ernsthafter Politologe verlassen wollen. Da wäre es schon realistischer, die Wirkung dieses „Gesetzes“ im Pluralismus demokratisch regierter unabhängiger Nationalstaaten in Europa zu erwarten – was dann aber ein Argument gegen ein vereintes Europa darstellt, weil es zur Friedenssicherung eben keines derartigen Europas bedarf, sondern viel eher zu vermuten ist, daß ein derartiges Vereintes Europa schon wegen der damit notwendigerweise einhergehenden Entdemokratisierung gegen den Frieden wirkt!

Der gerade wieder aktuell gewordene Konflikt um den besonderen indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir zeigt das Gewaltpotential auf, das auch mit nach demokratischen Methoden regierten Vielvölkerstaaten fast notwendigerweise verbunden ist. Da die neue Bundesregierung, „eine europäische Regierung in Deutschland“, nunmehr ausdrücklich in Europa mit dem indischen Subkontinent vergleichbar einen nach demokratischen Methoden regierten Vielvölkerstaat anstrebt, ist das Konfliktfeld des indischen Subkontinents erhellend, weil dies eine Voraussage erlaubt, was den Europäern noch bevorsteht, sollte sich der amtliche Europaextremismus tatsächlich verwirklichen lassen.

Um keinen für den Erhalt des Vielvölkerstaates negativen Präzedenzfall einer demokratisch herbeigeführten Sezession zu schaffen, kann das Kaschmir-Problem, bei dem Indien rechtlich und moralisch strukturell in der Defensive ist, bei Inkaufnahme der Kriegsgefahr nicht gelöst werden. Indien ist auch nicht vor Annexionen wie gegenüber dem Königreich Sikkim zurückgeschreckt, die letztlich der Integration eines Vielvölkerstaates geschuldet waren. Ein „vertieftes Europa“ der Europa-Extremisten stellt sich dementsprechend als Friedensgefährdung dar. Immerhin besteht in Europa ein den Frieden erhaltenes Austrittsrechts, das im Falle Indiens nicht besteht und die potentielle Unfriedlichkeit in dieser Weltgegend wesentlich begründet. 

Das mit der Demokratisierung zu erwartende Auseinanderbrechen eines Imperiums in Nationalstaaten wurde bekanntlich im Falle des British Raj (der britischen Herrschaft über Indien) dadurch vermieden, daß das grundlegende nationalstaatliche Konfliktmuster in einen Religionskonflikt überführt wurde. Dem verdankt Pakistan – ursprünglich unter Einschluß des späteren Bangladesch – seine Existenz und insoweit ist ein Auseinanderbrechen des Imperiums doch erfolgt, wenngleich nicht in der Weise wie es demokratietheoretisch eher zu erwarten gewesen wäre.

Sowohl für Pakistan als auch für die Indische Union als stillschweigendes Muster für ein „vertieftes Europa“ bleibt die Aufrechterhaltung und Vertiefung dieses religiös konnotierten Konfliktmusters Voraussetzung, um ein (weiteres) Auseinanderbrechen in produktive Nationalstaaten zu verhindern. Der Preis, welcher für eine derartige (vorweggenommene) Quasi-Europäisierung des indischen Halbkontinents bezahlt werden muß, besteht nicht zuletzt in der Gefahr eines Atomkriegs zwischen den letztlich religiös definierten Vielvölkerstaaten. Die Stabilität der Vielvölkerdemokratie Indische Union, aber auch von Pakistan, falls es trotz Islam eine Demokratie bleibt, hängt eben wesentlich von der gegenseitigen Feindschaft dieser Staaten ab.

Insbesondere der Hinduismus als Zivilreligion, welcher aber fast schon eine wirkliche Religion ist, erlaubt die religiöse Vereinnahmung des Säkularisierungskonzepts, auf dem die Indische Union (und letztlich auch Pakistan) verfassungsrechtlich gründet. Da die Substanz des gegenüber konkreten religiösen Dogmen ziemlich gleichgültigen („toleranten“) Hinduismus im Kastensystem und was mit diesem alles in negativer Hinsicht verbunden ist, besteht, wird dieses zur Aufrechterhaltung des Vielvölkerstaates Indien benötigt, weil dieses Kastensystem das gegenüber dem Nationalstaatskonzept am stärksten kontrastierende Gegenprinzip darstellt. Für den Erhalt von Pakistan wird wiederum der Islam benötigt, weil dieser von den drei (wirklichen) Weltreligionen (Buddhismus, Christentum und Islam) diejenige Religion darstellt, welche dem freiheitlichen Nationalismus und damit dem demokratischen Nationalstaat gegenüber am feindlichsten eingestellt ist. Aus einem aus säkularer Perspektive gedachten Staat der (indischen) Moslems wurde daraus schnell ein moslemischer Staat, der in der Neuzeit erste überhaupt, so daß mit Pakistan und dem dabei nicht bewältigten indischen Multikulturalismus eines Vielvölkerregimes überhaupt der zunehmend auch westeuropäische Demokratien bedrohende Islamismus entstand.   

Um ein „vertieftes Europa“ der Europaextremisten zu schaffen, wird es erforderlich sein, den Europagedanken zivilreligiös aufzuladen, was durch eine religiöse Umwertung von Demokratie und Grundrechten zu einer religiös konnotierten Werteordnung bewerkstelligt werden kann. Diese wird aus Gründen der Bekämpfung des demokratischen Nationalismus, der sich bei einem Vielvölkerstaat in Separatismus zum Ausdruck bringen wird, einen islamfreundlichen Charakter haben, auch wenn das Integrationsmodell des „Abrahamismus“, welcher nach der Vorstellung von Europa-Ideologen die „europäische Identität“ bestimmen soll, eher dem religionspolitischen Integrationsmodell des Hinduismus gleichen wird, welcher ebenfalls auf der Zusammenführung von drei grundsätzlich unvereinbaren Monotheismen beruht. Die durch Nachahmung des US-amerikanischen Vorbildes bewirkte Einwanderungspolitik zugunsten von Anhängern des Islam wird die zur Nachahmung des indischen Kastensystems notwendigen Parallelgesellschaften schaffen, die einer nationalen Solidarisierung entgegenwirken und einer übergeordneten Stelle, eben einer €-Zentrale erlauben, durch Moralintervention gegenüber Mitgliedsgebieten sich als das moralische höher stehende Prinzip auszurufen. Die Integration des Islam wird dabei genau so wenig möglich sein, wie es nicht möglich (gewesen) ist, ihn in einen hinduistisch aufgeladenen Verfassungssäkularismus zu integrieren, was dementsprechend überhaupt erst zur Existenz von Pakistan geführt hat. Der Zerfall eines derart „vertieften Europa“ in quasi-pakistanische Gebiete in Europa mit kriegerischen Auswirkungen ist daher nahezu unvermeidlich programmiert.

Unter europapolitischen Gesichtspunkten befindet sich der indische Halbkontinent in einem fortgeschrittenen Integrationsstadium. Einem „überzeugten Europäer“ sei also bei Betrachtung insbesondere des formaldemokratisch regierten Vielvölkerstaates Indische Union, aber insgesamt den indischen Subkontinent betreffend gesagt: De te fabula narratur! Die Indische Union ist nämlich, und sei es nur nolens volens, des „Europäers“ wirkliches Modell. Die deutsche Bundesregierung und die sie tragenden politischen Ampel-Kräfte sollten sich daher fragen: Ist dieses „Europa“ wirklich erstrebenswert? Ist der demokratisch regierte Vielvölkerstaat wirtschaftlich erfolgreicher und außenpolitisch friedlicher als ein System demokratisch regierter Nationalstaaten? Die Antwort dürfte klar sein: Für Anhänger eines „vertieften Europa“ der EU-Zentrale, also für die neue Bundesregierung der Ampel, stellt der indische Subkontinent unvermeidbar ein Menetekel dar! Die Ampel sollte insofern auf „rot“ gestellt werden!

“Kritik der Europaideologie – Teil 5”

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