Kirche und Nation in der Orthodoxie

Kirche und Nation in der Orthodoxie – Zugleich ein Beitrag zur Problematik Rußlands

Josef Schüßlburner

Aus dem Lehrschreiben des Moskauer Patriarchats der Russisch-Orthodoxen Kirche „Die Grundlagen der Sozialdoktrin der Russisch-Orthodoxen Kirche“, verabschiedet durch den Bischöflichen Jubiläumssynod vom 13.-16. August 2000 zu Moskau (Kapitel 2: Kirche und Nation):

„Der universale Charakter der Kirche bedeutet allerdings nicht, daß die Christen kein Recht auf nationale Eigenart und nationale Selbstverwirklichung hätten. Im Gegenteil, die Kirche verbindet in sich das universale mit dem nationalen Prinzip. Die Orthodoxe Kirche besteht somit in ihrer Eigenschaft als universale Kirche aus einer Anzahl autokephaler Landeskirchen. Auch in dem Bewußtsein, Bürger des himmlischen Vaterlandes zu sein, dürfen die orthodoxen Christen ihre irdische Heimat nicht vergessen….

Unter den Heiligen, die von der Orthodoxen Kirche verehrt werden, erwarben sich viele Ruhm aufgrund der Liebe und Ergebenheit zu ihrem irdischen Vaterland. … Der christliche Patriotismus bezieht sich in gleicher Weise auf die Nation als ethnische Gemeinschaft als auf die Gemeinschaft der Staatsbürger. Der orthodoxe Christ ist aufgerufen, sein Vaterland, im Sinne eines bestimmten Territoriums, zu lieben, desgleichen seine über die Welt verstreuten Blutsbrüder. Diese Liebe ist eine Art, das göttliche Gebot der Nächstenliebe zu befolgen, welches die Liebe zur Familie, den Volksangehörigen sowie den Mitbürgern einschließt.

Der Patriotismus des orthodoxen Christen soll tätig sein. Er äußert sich in der Verteidigung des Vaterlands gegen den Feind, in der Arbeit zum Wohle der Heimat, im Einsatz für das öffentliche Leben, einschließlich der Teilnahme an den Angelegenheiten der Staatsverwaltung. Der Christ ist dazu aufgefordert, die nationale Kultur und das nationale Selbstbewußtsein zu wahren und weiterzuentwickeln.

Wenn die Nation – bürgerlich oder ethnisch – vollständig oder überwiegend eine monokonfessionelle orthodoxe Gemeinschaft ist, kann sie in gewissem Sinne als einheitliche Glaubensgemeinschaft betrachtet werden – als orthodoxes Volk…“

Wären solche oder zumindest ähnliche Aussagen von der deutschen katholischen oder protestantischen Bischofskonferenz zu erwarten? Vor dem Jahr 1945 und auch noch kurz danach sicherlich; seitdem aber Katholizismus und Protestantismus sich der bundesdeutschen, geheimdienstlich und parteiverbotspolitisch abgestützten Zivilreligion der staatlich zelebrierten „Bewältigung“ unterworfen haben, sind derartige Aussagen nicht mehr zu erwarten. Eine Kirche, die auch dem ethnischen Volksbegriff eine religiöse Bedeutung zuschreibt, wie die Russisch-Orthodoxe Kirche, müßte seit der am 17.01.2017 verkündeten Erkenntnis des Bundesverfassungsgerichts befürchten, dem bundesdeutschen Parteiverbotssurrogat unterworfen zu werden!

Immerhin konnte die russische Orthodoxie das geistige Vakuum auffüllen, das der totalitäre Linksextremismus in Rußland hinterlassen hatte, während vergleichbares der katholischen Kirche und den protestantischen Kirchen insbesondere hinsichtlich des Gebietes der ehemaligen „DDR“ nicht gelingt: Da gehen die Belange der Zivilreligion vor, die aber wohl eher abschreckend wirkt.

Der vorliegend online gestellte Beitrag befaßt sich mit einer ursprünglichen Variante des Christentums, nämlich der Orthodoxie, deren größter Teil seit längerem in der russisch-orthodoxen Kirche besteht, welcher seit dem Untergang des Byzantinischen Reiches durch den Islamismus eine maßgebliche Bedeutung zukommt und dabei eng mit der Gesamtproblematik Rußlands verbunden ist. Auch für die Orthodoxie stellt sich die Problematik der Vereinbarkeit des religiösen Universalismus mit dem demokratienotwendigen politischen Partikularismus, welche die byzantinischen Zivilreligion noch ganz im Sinne der bundesdeutschen Zivilreligion, nämlich islamartig beantwortet hatte. Erst als die Volksverbundenheit der orthodoxen Kirche im osmanischen Millet-System (ähnliches ereilte den Russen unter der Tatarenherrschaft, die sich islamisierte) das Überleben von christlichen Völkern ermöglicht hatte, konnte sich die Art von Auffassungen durchsetzen, die in der angeführten Erklärung des Heiligen Bischöflichen Synod der Russisch-Orthodoxen Kirche ihren jüngsten Ausdruck gefunden hat. Theologisch hat die Orthodoxie damit die Problematik religiöser Universalismus / politischer Partikularismus wohl besser gelöst als die bundesdeutsche Katholische Bischofskonferenz, welche das Programm der AfD als „unchristlich“ bezeichnet, weil sie nationale Interessen einseitig betonen und von einem nationalistischen Kulturverständnis leben würde.

In realpolitischer Hinsicht stellt sich jedoch insbesondere für die russische Orthodoxie die Problematik der Einbindung in einen politischen Kontext, welcher trotz der Abspaltung insbesondere islamisch geprägter Gebiete der Sowjetunion doch noch wesentlich von den Bedürfnissen eines Vielvölkerstaates determiniert ist, dessen Integration dazu führt, der Kirche zur politischen Konfliktvermeidung faktisch ein Missionierungsverbot aufzuerlegen, was ebenfalls auf eine politische Funktionalisierung hinausläuft. Mit dieser Funktionalisierung zugunsten der politischen Integration eines Vielvölkerstaates, als der sich auch das nachsowjetische Rußland darstellt, sind auch die autoritären Erscheinungen im politischen System verbunden. Anders als die westlichen Kolonialmächte, welche sich zur Demokratie entwickeln konnten, weil sie die Kolonialgebiete nur völkerrechtlich als Inland, staatsrechtlich als Ausland konzipierten, konnte Rußland aus geographischen Gründen diese Trennung nicht vornehmen. Der Preis dafür ist schon immer eine autoritärere Entwicklung Rußlands verglichen mit Europa bzw. dem Rest desselben gewesen, was zeigt, daß Demokratie nur mit erheblichen autoritären Modifikationen in einem Vielvölkerstaat zu verwirklichen ist, was dann bei einem bestimmten Grad der autoritären Entwicklung die Frage aufwirft, ob dann von einer Demokratie überhaupt noch gesprochen werden kann. Diese Frage könnte sich dann auch beim bundesdeutschen „Experiment“ einer zivilreligiös determinierten Willkommenskultur stellen, die wohl nur mit Parteiverbot und Parteiverbotssurrogat gegen die „schon länger hier Lebenden“ zu verwirklichen ist.

Hinweis

Der vorliegende Beitrag ist ursprünglich erschienen als Beitrag des Verfassers zu dem im Ares-Verlag 2006 erschienenen Werk von Wolfgang Dewald / Klaus Motschmann (Hg.), Kirche Zeitgeist Nation. Gewandelte Religion, verändertes Volk? (s. dort S. 233 bis 253)

 

Die Redaktion von www.links-enttarnt.de bedankt sich beim Ares-Verlag für die Erlaubnis zur online-Stellung dieses Beitrags auf dieser Internetseite.

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