Politik als Mythos: Kampf um die ideologische Hegemonie

Politik als Mythos: Kampf um die ideologische Hegemonie- Betrachtungen unter Bezugnahme auf Japan

Josef Schüßlburner

Die hysterische Reaktion der etablierten bundesdeutschen Ideologiezentralen auf die nachvollziehbare Forderung des Oppositionspolitikers Björn Höcke, eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad vorzunehmen, zeigt auf, daß der eigentliche Kern des Politischen in Ideologien und Mythologien besteht. Die Forderung nach Steuersenkungen oder umgekehrt nach Steuererhöhungen um 50%, was die Bürger eigentlich viel mehr betreffen würde als alternative Überlegungen zur Vergangenheit, die ohnehin nicht geändert werden kann, hätte wohl keine derartigen Reaktionen hervorgerufen, insbesondere wenn dies mit dem Ideologem „soziale Gerechtigkeit“ verbunden worden wäre, die bekanntlich beide konträren Forderungen (nach Steuersenkung und nach Steuererhöhung) begründen könnte.  

Letztlich wird damit einsichtig, daß (partei-)politische Ideologien säkularisierte Mythen darstellen, die allerdings notwendigerweise zur Moderne gehören. Auch wenn die „Aufklärung“ die Absicht hatte, die „Herrschaft der Vernunft“ ohne Mythen und „Vorurteile“ zu errichten, so ist festzuhalten, daß als Folge dieses Versuchs nur totalitäre politische Mythen wie die Mythologie des Sozialismus aufgetreten sind, die dann doch nur eine (Pseudo-) Säkularisierung einer spätantiken gnostischen Religiosität darstellen, die im verdrängten Sektenwesen unterschwellig tradiert worden war. Politik wird solange „mythisch“, d.h. in große sinnstiftende Erzählungen eingebettet sein, solange sich die grundlegenden Fragen des „Warum“ der menschlichen Existenz und der menschlichen Verhältnisse nicht naturwissenschaftlich beantworten lassen (was wohl nie der Fall sein wird). Die Tatsache, daß diese Fragen, die etwa bei der Legitimität politischer Macht eine erhebliche Bedeutung haben, zur praktischen Daseinsbewältigung (und zur Vermeidung des zum Wahnsinn treibenden infinitiven Regresses) einfach abgebrochen werden müssen (Gesetze gelten, weil sie Gesetzes sind), legitimiert letztlich die Demokratie als politische Entscheidungsform; denn ließe sich für grundlegende politische Problemstellungen zwingend eine quasi naturwissenschaftliche Lösung finden, könnte dies nur die Herrschaft des Philosophenkönigs legitimieren – die der Rationalismus, sei es in Form des aufgeklärten Absolutismus oder des „wissenschaftlichen Sozialismus“ denn auch angestrebt hatte! Der sich als „demokratisch“ verstehende Sozialismus mußte dazu die „Freiheit als Einsicht in die Notwendigkeit“ (Engels) einer Entwicklung definieren, die ja eigentlich, wenn die menschliche Entwicklung (natur-) wissenschaftlich determiniert wäre, ja ohnehin eintreten müßte, so daß die Einbettung des Marxismus in die Tradition der vorwissenschaftlichen Astrologie unverkennbar ist. Gegenüber einem derartigen Pseudorationalismus ist festzuhalten: „Politisches Handeln bedarf auch im (angeblich, Anm.) postideologischen Zeitalter der Einbettung in eine große, die Vergangenheit mit der Zukunft verbindende Erzählung. Sie verleiht den tagtäglich zu treffenden Entscheidungen einen Sinn. Solche Mythen können Mut machen, sie sind aber immer auch ein Mittel im Kampf um die Macht“ (Herfried Münkler, Mythischer Zauber, in: FAZ vom 10.08.2010, S. 8).

Die Gefährlichkeit politischer Mythen, die ihnen aufgrund ihrer unvermeidbar willkürlichen Annahmen, also letztlich von Glaubenspostulaten und auch wegen ihres potentiellen Kampfcharakters und der Singularität der Sinnstiftung (es gibt jeweils nur einen „Sinn“) notwendigerweise anhaften, kann nur durch einen Mythenpluralismus, eine Polymythie, gezähmt werden, was mit dem Pluralismus der Kunststile und von Lebenseinstellungen einhergeht. Bei aller juristischer Rationalität, auf die in der Politik wirklich nicht verzichtet werden sollte, ist politisch etwa bei Wahlentscheidungen letztlich doch die Emotionalität der Menschen ausschlaggebend. Will man die mit Politik, also mit Mythologie verbundenen Gefahren quasireligiöser Unterdrückung und ins Totalitäre gehender Kampfansagen (wie „Kampf gegen rechts“) eindämmen, dann hat dies eine Vielzahl konkurrierender Staaten mit ihren unterschiedlichen kollektiven Legitimationsmythen zur Voraussetzung; es darf nicht nur den einen Mythos der Französischen Revolution oder von God’s own Country geben oder nur den einen von den politischen Klassen von „Europa“ (in der Tat der griechischen Mythologie entsprungen!) zunehmend angestrebten europäischen Einheitsmythos in Form einer gleichgeschalteten „Erinnerungskultur“, also der Geschichtspolitik mit Sinndefinition zur Begründung ansonsten kaum begründbarer „Werte“ geben, wonach dann etwa alternativlos Holocaustgedenken für Demokratie steht. Zum anderen müssen sich innerhalb eines (demokratischen) Herrschaftssystems rechte und linke ideologie-politische Tendenzen beim Ringen um die vorübergehende ideologische Hegemonie mit ihrem unterschiedlichen Weltverständnis im offenen, aber friedlich ausgetragenen Antagonismus gegenseitig in Schach halten, um politische, weltanschauliche und kulturelle Freiheit zu verwirklichen.  

Diese Überlegungen werden im vorliegenden Essay unter Bezugnahme auf die japanische Neuzeit exemplifiziert. Japan stellt ein besonders gutes Beispiel dar, weil es der linken Mythenkritik, also der linke Pseudorationalität, welche ausgerechnet den besonders mythologischen Charakter linker Welterklärungen gerne übersieht, als befremdlich vorkommt, daß in Japan, in diesem nicht-europäischen Land, das den Sprung in die industriellen Moderne geschafft hat, die Entwicklung zu dieser naturwissenschaftlich-technisch geprägten Moderne einhergegangen ist mit der Restauration der Herrschaft eines mythischen Priesterkönigs und Abkömmling einer Gottheit. Der politische Erfolg Japans ist dabei wesentlich darauf zurückzuführen, daß dort, anders als in China, die durchaus vorhandenen Ansätze linker politischer Mythologien zurückgedrängt werden konnten. Etablierte Mythologeme, die durch die Tradition legitimiert sind, sind dabei deshalb weniger gefährlich als ad hoc ausgerufene linke Revolutionsmythologien, weil sie als gewissermaßen natürlich erlebt bei weitem weniger mit den auf Rationalität basierenden Kulturelementen in Konflikt geraten. Die – weil auf tradierte Mythen anspielend – als „konservative Revolution“ zu definierende Meiji- Restauration von 1868 hat dabei auch verhindert, daß Japan in der Krisenzeit der 1930er und 40er Jahre ein faschistisches Regime geworden ist (auch wenn die Linke das Gegenteil behauptet). Der anders als in Deutschland verhinderte formale Kontinuitätsbruch bei der politischen Herrschaftsabfolge, der den Bedarf an neuen Mythen reduziert, stellt noch immer sicher, daß die etablierte politische „Mitte“ Japans notwendigerweise nach rechts vermittelt, während sie in Deutschland aufgrund des allein schon durch „Europa“ erzeugten Bedarfs an neuen Mythen zunehmend nur nach links vermittelt, wodurch langfristig eher der Erfolg Japans als derjenige Deutschlands garantiert ist: Die Links-Vermitt(e)lung in Deutschland bewirkt insbesondere über den von Oppositionspolitiker Höcke zu Recht kritisierten Bewältigungskult mit amtlichen Schandpfählen (die in gewisser Weise jedoch Siegerdenkmäler, nämlich der amerikanischen Weltmythologie darstellen), daß das Fremde das Eigene ersetzen soll, die Rechts- Vermitt(e)lung in Japan bedeutet, daß das Fremde dazu genutzt wird, das Eigene neu und besser zu bestimmen.  

Den mythologischen Charakter der linken Weltsicht hat der Verfasser in seinem Werk

Josef Schüßlburner
Roter, Brauner und Grüner Sozialismus. Bewältigung ideologischer Übergänge von SPD bis NSDAP und darüber hinaus,
2008, Lichtschlag Medien und Werbung KG, 24,80 Euro
ISBN-10: 3939562254, ISBN-13: 978-3939562252
Dieses Buch ist im März 2015 in unveränderter 3. Auflage wieder erschienen und nunmehr auch in einer Kindle-Edition für 6,99 Euro erhältlich. Erhältlich auch hier

Außerdem geschieht die bundesdeutsche Mythenverwaltung durch die besondere als „Verfassungsschutz“ bezeichnete Staatssicherheit; dieser ist das weitere derzeit erhältliche Werk des Verfassers gewidmet:

Josef Schüßlburner/Institut für Staatspolitik
»Verfassungsschutz«: Der Extremismus der politischen Mitte
Wissenschaftliche Reihe; 30 [Arbeitsgruppe 1: Staat und Gesellschaft]
62 Seiten, ermäßigt 5 Euro, ISBN: 978-3-939869-30-6, erhältlich hier

“Politik als Mythos”

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