Was unterschied West-Berlin von Puerto Rico?
Josef Schüßlburner
(Stand: 25.10.2025) Als Ausgangspunkt des außenpolitischen Denkens ist maßgeblich die internationale Lage des eigenen Landes zu analysieren, weil dies die Voraussetzung dafür schafft, daß eine derartige Analyse nicht abstrakt bleibt, sondern in die konkrete Außenpolitik überführt – zumindest konzeptionell, solange man nicht die Macht hat, dies auch umzusetzen.
Aber auch bloße Konzeptionen, die nachhaltig vertreten werden, haben eine politische Wirkung, indem sie andere zum Kompromiß zwingen können: Man kann dann anbieten, nicht so weit gehen zu wollen, wenn man im Status Quo ein bestimmtes Zugeständnis erreicht.
Zur jüngsten Situation der Bundesrepublik Deutschland vor dem 2+4-Vertrag, welcher den außenpolitischen Rechtsrahmen der deutschen Wiedervereinigung darstellt, wird nachfolgend ein Artikel aus dem Jahr 1981 mit dem Titel „Was unterscheidet West-Berlin von Puerto Rico?“ unverändert online gestellt, der sich mit dem Status von (West-)Berlin und damit indirekt auch mit der mangelnden Souveränität der Bundesrepublik Deutschland befaßt hat. Es geht dabei um ein Strafgerichtsverfahren über die Entführung eines polnischen Flugzeugs durch Ost-Berliner nach West-Berlin. Dies führte dort zu einem Strafverfahren, für das wegen der Zuständigkeit der Alliierten Kommandatura für den Luftverkehr von und nach Berlin ein US-Richter eingeflogen wurde, nachdem der Berliner Justiz vom US-Kommandanten das Strafverfahren entzogen worden war. Der anstelle deutscher bzw. Berliner Gerichte tätige US-Richter wandte in diesem Verfahren das amerikanischen Prozeßrechts an, was zu einem Geschworenengericht mit deutschen Geschworenen führte. Dieser Fall offenbarte die völkerrechtliche Lage von West-Berlin, der fast an eine amerikanische Annexion dieses Gebietes denken ließ, was den Status von West-Berlin der Rechtslage des von den USA abhängigen („unincorporated“) Puerto Rico ähnlich erscheinen ließ.
Diese Quasi-Annexion entsprach der Mentalität derjenigen besiegten Deutschen, welche sich ohnehin bei damit verbundener Abschaffung der Außenpolitik gerne von den USA hätten annektieren lassen, nach Tocqueville Folge der mit einer Kriegsniederlage einhergehenden Identifizierung mit der Siegermacht (die Leute orientieren sich letztlich nach der wirklichen Macht); s. dazu den Beitrag Innerstaatliche Feinderklärung gegen rechts: Kriegsniederlagenmentalität, Werte-terreur und innerstaatliche intelligence. Dies erklärt die Mentalität der nach innen gerichteten Feinderklärung deutscher „Demokraten“ gegen die Rechtsopposition des eigenen Landes. Dieses gar nicht wirklich als „eigen“ verstandene Land begreifen diese „Demokraten“ allerdings bei Ersetzung der Außenpolitik durch eine Weltinnenpolitik, hilfsweise Europapolitik, mehr als Provinz von „Europa“ oder gar der Welt mit Niederlassungsrecht für alle Menschenwürdeberechtigten bei Feinderklärung gegen innere Menschenfeinde, wobei diese innerstaatliche Feinderklärung mit dem Vorwurf des „Rechtsextremismus“ und das damit verbundene Nazifizieren politischer Opposition und deren ideologie-politische Gleichstellung amtlicher Art mit Politkriminellen natürlich nicht gegen die Menschenwürde gerichtet ist (weil diese für Deutsche ohnehin nicht ohne weiteres gilt, sondern umfassend nur für Menschen?).
Diese Mitsiegermentalität etablierter „Demokraten“ konnte sich in West-Berlin auch durch eine besondere Parteiverbotserscheinung, die gegen die NPD gerichtet war, zum Ausdruck bringen: In West-Berlin galt das Bundesverfassungsgerichtsgesetz mit seinen Parteiverbotsregelungen nicht (die Alliierten hatten dies nicht erlaubt), weshalb auch das gegen den Willen der Amerikaner nach Beendigung des Besatzungsstatuts in der westlichen BRD ergangene KPD-Verbot nicht in West-Berlin auf die kommunistische Nachfolgepartei Sozialistische Einheitspartei West-Berlin (SEW) erstreckt werden konnte (anders als im Saarland nach dessen Beitritt zur BRD). Dagegen wurde die in „Westdeutschland“ (damalige Berliner Bezeichnung für die BRD, zu der ja West-Berlin nach alliierter Auffassung nicht gehörte) nie förmlich verbotene NPD in West-Berlin von der Alliierten Kommandatura zwar nicht einem förmlichen Verbot, aber zahlreichen Wahlteilnahme- und Versammlungsverboten unterworfen, was sich letztlich deformierend auf die Demokratie-Situation von Gesamtdeutschland ausgewirkt hat, wie in dem Beitrag Von den Kommandantur-Befehlen in West-Berlin gegen die NPD zu den Verbotsanträgen / Besatzungspolitische Bezugspunkte der bundesdeutschen Parteiverbotsmentalität dargelegt ist.
Dies macht deutlich, daß die demokratietheoretisch dringend gebotene Überwindung der bundesdeutschen Verfassungsschutzkonzeption eine außenpolitische Komponente aufweist, was Ausgangspunkt der vorliegenden Serie zur Rückgewinnung des außenpolitischen Denkens darstellt.
Der nachfolgend online gestellte Artikel hat für den Verfasser auch eine entscheidende persönliche Bewandtnis. Dieser Artikel stellt den ersten von zahlreichen weiteren Beiträgen für die seinerzeit maßgebende rechte Zeitschrift Criticón dar und diese Veröffentlichungstätigkeit markiert dabei auch einen maßgeblichen Schritt seiner Abwendung von der Sozialdemokratie, welcher der Verfasser in seiner Jugendzeit angehört hatte. Dies ist dargestellt in der im Februar 2025 erschienen politischen Biografie des Verfassers:
Als Rechtsabweichler im Ministerium. Befragung zu besonderen Demokratieerlebnissen

Josef Schüßlburner und Bernd Kallina
Mit einem Vorwort von Bundesminister a.D. Prof. Dr. Rainer Ortleb
Klappenbroschur DIN A5
496 Seiten, 24,80 Euro
ISBN 978-3-87336-851-4
Veröffentlicht am 10.02.2025 beim Gerhard Hess Verlag
Der nachfolgend wiedergegebene Artikel steht auch im zeitlichen Kontext eines Referats über die Frage der seinerzeit durchaus nicht geklärten Mitgliedschaft von West-Berlin in der EWG in einem Seminar beim Völkerrechtlichen Institut der Universität Kiel bei Prof. Kewenig, dem späteren Innensenator von West-Berlin (teilgenommen an diesem Seminar hat nach Erinnerung des Verfassers auch eine spätere Vize-Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts). In diesem Buch kommt dementsprechend auch das außenpolitische und völkerrechtliche Interesse des Verfassers zum Ausdruck, das er auch beruflich verwirklichen konnte vor allem durch seine Tätigkeit beim Kodifikationsreferat der Rechtsabteilung der Vereinten Nationen in New York. Diesen Posten erhielt der Verfasser aufgrund des 1985 von der UNO für westdeutsche Staatsbürger durchführten Prüfungsverfahrens mit Schwerpunkt Kriegsvölkerrecht an der Universität Frankfurt. Von den 166 Bewerbern wurden dabei vier, davon zwei Juristen, ausgewählt. Weitere entsprechende Tätigkeiten wie Abordnung zur Europäischen Kommission in Brüssel, Teilnahme an Rechtsausschüssen internationaler Organisationen zur Erstellung internationaler oder europarechtlicher Regelungen, richterliche Tätigkeit bei quasi-gerichtlichen Beschwerdeausschüssen regionaler internationaler Organisationen und die Zuständigkeit für luftverkehrsrechtliche Außenbeziehungen, insbesondere Luftverkehrsverhandlungen neben einigen anderen Komplexen werden in dieser politischen Biographie angesprochen.
In der Befragung durch den ehemaligen Redakteur des Deutschlandfunkes, Bernd Kallina, werden dabei in dieser in Dialogform aufgebauten Biographie auch zahlreiche durch diese praktischen Tätigkeiten und in deren Zusammenhang gewonnene Einsichten internationaler Art mit geschichtspolitischen Einordnungen erläutert.
